Nachgefragt bei Jessica Matzig
Am kommenden Sonntag führst du in Sargans einen Schauspiel-Workshop für Erwachsene durch. Was dürfen die Teilnehmenden erwarten?
Ohne zu philosophisch oder abgehoben klingen zu wollen: Es erwartet sie gewissermassen eine Reise zu sich selbst. Da ich auch Psychologin bin und Schauspiel und Psychologie meiner Meinung nach untrennbar miteinander verbunden sind, kommt in meinen Workshops beides gleichermassen zum Zug. Ich arbeite also sehr psychologisch, jedoch arbeiten wir auch mit unseren Körpern beziehungsweise dem gesamten «Instrument» des Schauspielers. Nachdem ich an der Universität Zürich einen Master in Klinischer Psychologie absolviert habe, bin ich nach London gezogen und habe dort die einzige Schauspielausbildung ihrer Art absolviert, die sich auf «Movement Psychology» spezialisiert hat. Für Leute, die zum ersten Mal an einem meiner Workshops teilnehmen, ist es wie eine spannende Entdeckungsreise. Wir probieren aus, lösen Blockaden, testen Grenzen, bewegen, spielen, lachen fühlen, sind.
Muss man bereits Erfahrung in der Schauspielerei haben, damit man am Workshop teilnehmen kann?
Gar nicht. Ich habe fast jedes Mal einen grossen Teil neugierige «Newbies» dabei, die zum ersten Mal sowas ausprobieren. Das freut mich immer total und ich glaube ich kann mit gutem Gewissen behaupten, dass es bis anhin noch nie jemand bereut hat, diesen Schritt gemacht zu haben und sich somit gewissermassen auch etwas aus seiner «Comfort zone» zu bewegen. Daneben habe ich aber auch immer wieder professionelle Schauspieler in meinem Kurs, die ihr «Instrument» stimmen möchten, beziehungsweise einfach dranbleiben wollen. Die Entdeckungsreise ist nämlich nie zu Ende. Schauspielerei ist wie Sport. Ständiges Training ist unabdingbar, wenn man besser werden möchte.
Was vermittelst du den Teilnehmenden?
Die vermittelten Inhalte sind so vielfältig, dass es schwierig ist alles in einem kleinen Abschnitt in Worte zu fassen. Ich bin dabei einen sehr eigenen, holistischen Ansatz zu entwickeln, wie ich die «Schauspielerei» sehe und auch vermitteln möchte. Dazu gehören ganz viele verschiedene Bereiche. Empathie, Zuhören, Bewegung, Stimme, Aktion/Reaktion, sind nur einige wenige Beispiele. Natürlich gehört hier auch die «Auseinandersetzung mit dem eigenen Gepäck» dazu. Damit meine ich, dass kein Schauspieler darum herumkommt, sich mit seinem emotionalen Ballast, seinen Traumata, wenn man so will, auseinanderzusetzen. Alles was wir erlebt haben, besonders in den ersten Lebensjahren, wirkt sich prägend und wegweisend auf unser restliches Leben und unser Verhalten, ja selbst auf unseren Körper und unsere Bewegungen aus. Und das Ziel eines jeden Schauspielers ist die Bewusstwerdung, sowie die Auf- und Bearbeitung seines «Gepäcks», damit er - in Folge frei davon - unbedarft in andere Charaktere transformieren kann. Nun sollte das halt meiner Meinung nach halt nicht bloss das Ziel eines jeden Schauspielers sein, sondern von jedem Menschen der gesund und glücklich durchs Leben gehen möchte. Deshalb sind meine Workshops auch so gut für jedermann/-frau geeignet und ich wage mal zu behaupten, dass sie deswegen auch so gut ankommen. Wenn man alles auf einen gemeinsamen Nenner bringen möchte, würde ich den Inhalt wohl am ehesten als einen Kurs in «Persönlichkeitsentwicklung» bezeichnen. Das klingt jetzt vielleicht alles ein bisschen verkopft, jedoch gehen wir das ganze sehr spielerisch, mit kindlicher Neugierde und viel Freude am Ausprobieren an. Ich glaube fest daran, dass nichts so kathartisch ist wie das Spiel.
Du konntest bereits bei verschiedenen Produktionen und Bühnenprogrammen Erfahrungen sammeln. Gibt es so etwas wie einen Gratis-Tipp vorab für unsere Leserinnen und Leser?
Ich könnte jetzt schon klassische Tipps aufzählen, die man in jedem Schauspiel-Ratgeber findet. Aber das ist ja nicht Sinn und Zweck. Damit lässt sich auch nicht viel anfangen, wenn man sie einfach nur liest. Beim Schauspiel arbeitet man mit dem Körper und es geht darum den Mut aufzubringen Dinge auszuprobieren. Es gibt kein richtig oder falsch. Aber es geht ums «Erleben». Theorie ist schön und gut aber Schauspiel ist eben immer noch «tun» und nicht «fühlen» wie Leute das fälschlicherweise oft glauben. Aber darauf gehe ich jetzt nicht ein, das würde den Rahmen sprengen. In meinen Workshops erläutere ich aber, wie ich das meine.
Heute ist sozusagen Jede und Jeder eine Art Schauspieler oder Schauspielerin. Zumindest wenn man die Facebook-Profile vieler Menschen anschaut, die eine Scheinwelt vermitteln. Was für Auswirkungen hat dies auf unsere Psyche?
Schwierig. Jeder und jede präsentiert sich auf den sozialen Medien natürlich nur von seiner Schokoladenseite. Anscheinend gibt es bereits erste Studien die zeigen, dass das ständige Betrachten fremder Profile längerfristig zu Depressionen führen kann, weil sich ein Gefühl der Minderwertigkeit einschleicht, wenn man sich ständig anschauen muss wie toll, erfolgreich und schön die anderen sind. Dass das dabei eben meistens mehr Schein als Sein ist, rückt dabei in den Hintergrund. Ich nutze die Sozialen Medien auch, jedoch erlaube ich mir auch ab und zu rauszuposaunen, wenn es mir mal nicht gut geht. Mir persönlich ist Authentizität viel wichtiger, als dass ich den Drang verspüre anderen das Gefühl geben zu müssen, dass bei mir immer alles Friede, Freude, Eierkuchen ist. Und abgesehen davon: Ich finde, gerade als Künstler hat man doch gewissermassen auch eine Verantwortung das Leben so darzustellen wie es ist. Und Leben ist nun mal nicht immer nur schön. Manchmal bekommt man vom Leben auch ganz schön einen Tritt in den Hintern verpasst. Ich finde es wichtig, dass das auch zur Sprache kommt. Ausserdem: Wenn ich weiss, dass es dir gerade nicht so gut geht, habe ich die Chance darauf zu reagieren. So lang du allen «heile Welt» vorspielst, wird niemand auf die Idee kommen, dass irgendwas mit dir nicht in Ordnung sein könnte und du vielleicht Hilfe brauchst...
Wie wichtig ist es für dich persönlich in Rollen schlüpfen zu können und so dem Alltag, respektive deinem «normalen» Leben zu entfliehen?
Ich sage manchmal «Die Schauspielerei hat mein Leben gerettet» und tatsächlich hatte ich oft das Gefühl, dass es mir, wenn vielleicht nicht gerade das Leben, dann zumindest den Verstand gerettet hat. Das war zum Beispiel der Fall als ich «Himmelfahrtskommando» drehen durfte, gleich nachdem mein Papa gestorben war. Damals für fast vier Wochen in eine andere Rolle schlüpfen zu dürfen, ja jemand anders sein zu dürfen, hat mich wohl davor bewahrt komplett vom Schmerz überwältigt zu werden. Ausserdem wusste ich: Mein Papa hatte sich so für mich gefreut, er war der Einzige gewesen, dem ich das Drehbuch zum Lesen gegeben hatte und mit dem ich über den Film und die Rolle diskutiert hatte. Ich musste es einfach tun, auch für ihn.
Die Erfahrung hat mein Leben verändert. Allerdings muss ich dazu noch sagen, dass es, obwohl früher manchmal tatsächlich eine «Flucht», mittlerweile ja mein «normales» Leben ist. Das fühlt sich - auch wenn der Job natürlich mit Schwierigkeiten, Risiken und Unsicherheiten verbunden ist - toll und wie ein riesiges Privileg an. Daher gibt es für mich eigentlich glücklicherweise nicht mehr viel vor dem ich «flüchten» müsste.
Schauspielerei wird oft als Traumberuf bezeichnet. Wie erlebst du dies?
Naja, ich höre sehr oft von Leuten: «So leben wie du, das könnte ich nie!» Und natürlich ist mein Leben etwas unkonventioneller als das der meisten Menschen. Ich glaube sofort, dass das nicht jedermann oder jederfraus Sache ist. Für mich persönlich ist es jedoch ein absoluter Traumberuf. Ich nehme dafür aber Dinge in Kauf, die für viele Menschen unvorstellbar wären. Aber ich setze meine Prioritäten halt anders. Das Ausleben meiner Kreativität und meine persönliche Freiheit sind mir zum Beispiel wichtiger als finanzielle Sicherheit. Aber ich verstehe wirklich jeden und jeder bei dem das anders ist. Gerade wenn man in einem so sicherheitsobsessiven Land wie der Schweiz aufgewachsen ist. Aber wenn ich etwas gelernt habe in meinem bisherigen Leben, dann ist es leider, dass so etwas wie Sicherheit nicht existiert. Niemand ist vor Schicksalsschlägen gefeit. Und ich habe lieber keine Sicherheit und mache etwas, wofür mein Herz brennt, als dass ich keine Sicherheit habe und dazu noch etwas mache, was mich nicht oder nur teilweise erfüllt. Nur schon der Gedanke daran betrübt mich. Und trotzdem: Es ist natürlich gut möglich, dass ich irgendwann «müde» werde vom Ganzen und mich nach etwas mehr Stabilität sehne. Aber bis dieser Punkt erreicht ist: Vollgas voraus!
Künstler und Schauspieler haben derzeit eine schwierige Zeit. Wie hast du die letzten Monate seit der Corona-Pandemie verbracht?
Wie die meisten Künstler hat es auch mich erwischt. Meine grosse Sommerproduktion auf der Burg Gutenberg bei der ich die Hauptrolle des «Käthchens» in Kleists «Das Käthchen von Heilbronn» gespielt hätte, wurde wegen des Virus abgesagt beziehungsweise um ein ganzes Jahr verschoben. Auch andere Jobs sind wegen des Virus ins Wasser gefallen. So findet das «Movie Camp» für das ich arbeite und in Rahmen dessen Kinder und Teenager lernen wie man Filme macht, dieses Jahr leider nicht statt. Dazu kann ich sagen, dass es natürlich finanziell gerade nicht so eine tolle Zeit ist. Der einzige Trost: Als Künstlerin bin ich es mir immerhin gewohnt harte Zeiten durchzumachen. Natürlich freue ich mich aber darüber, dass es jetzt langsam wieder weitergeht.
Wie hat sich die Arbeit in dieser Zeit bei dir verändert?
Sie ist buchstäblich stehen geblieben. Keine Proben, keine Vorstellungen, keine Dreharbeiten, nichts. Von irgendwie gefühlt 150% Beschäftigungsgrad waren es plötzlich 0%. Ich hätte also eigentlich Zeit etwas Introspektion gehabt, vielleicht auch für die persönliche Weiterbildung, etc. Jedoch war es bei mir so, dass sich am Anfang des Lockdowns einer meiner besten Freunde und Regisseur meines ersten Filmes das Leben genommen hat. Das hat mich völlig destabilisiert. Ich kann gut mit den ganzen finanziellen Schwierigkeiten leben, die sich aus den den letzten Monaten ergeben haben, mit der Tatsache, dass ich im Moment nicht weiss, wo ich ab Oktober wohnen werde und mit nervigen Umständen, wie dass jetzt im dümmsten Moment auch noch mein Laptop kaputt gegangen ist und so weiter. Aber dieser Verlust schmerzt so wahnsinnig und setzt alles dermassen in Perspektive, dass ich mich nicht beschweren mag über Dinge, die plötzlich gar nicht mehr so relevant scheinen...
Zum Schluss noch: Hat es beim Workshop am kommenden Sonntag noch Plätze frei? Sprich was muss ich unternehmen, dass ich mit dabei sein und von deinen Tipps profitieren kann?
Es hat noch Plätze frei und ich freue mich sehr über jeden und jede von euch! Wer Interesse hat, kann ein E-Mail an info@jessicamatzig.com senden. Dann erhaltet ihr weitere Infos. Der Workshop dauert von 14 bis 18:30 und kostet für Normalverdiener 65 CHF und für Künstler/Wenigverdiener/AHV/IV-Empfänger 45 CHF.