Musikperlen: «Bündnerflaisch– Debütalbum» (2004)
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Musikperlen: «Bündnerflaisch– Debütalbum» (2004)

2002 war ich gemeinsam mit meiner Familie an der Higa in Chur unterwegs und schleifte mich mühsam von Stand zu Stand. Die Gewerbemesse, die jedes Jahr stattfindet und sowieso immer die gleichen Attraktionen bot, war auch in diesem Jahr wieder schrecklich langweilig und gleichzeitig auf Grund der vielen drängelnden Menschen, auch irgendwie stressig. Damals war ich gerade mal 14 Jahre jung und der Wahnsinn in meinem Kopf war noch überschaubar. Musik spielte zu dieser Zeit schon eine massiv grosse Rolle in meinem Leben und doch war ich eigentlich vor allem noch Fan und exzessiver Sammler von allem Möglichen, was irgendwie einen Bezug zur Materie hatte.


Also spazierte ich durch die Stadthalle, in der die Higa jeweils stattfindet und plötzlich sprach mich der Gitarrist Manu Bosch an. Er wollte mir eine CD von einer Band andrehen, die ich bis zu diesem Moment noch gar nicht kannte. Die Band nannte sich «Abbazappa» und abgesehen vom Sänger mit der grossen Nase waren die anderen Mitmusiker nicht erkennbar auf dem Cover. Prinzipiell war ich ja immer dazu bereit CDs zu kaufen, doch in diesem Moment war ich ein wenig überrumpelt und wollte doch lieber kurz reinhören in die «Bündner Schiiba», bevor ich ihm die 20 Franken in die Hand drücken wollte. Zu meinem Pech hatten sie vor Kurzem erst gerade ihr Set zu Ende gebracht und ich war schlichtweg zu spät gekommen. Damals hörte ich noch stark auf meinen Bruder Matthias, der damals aber für «Abbazappa» nur ziemlich abschätzige Worte fand. Also liess ich es bleiben und kaufte die CD erst ein paar Jahre später, als es die Band bereits schon nicht mehr gab.


Doch genug zu Abbazappa. Ein richtig einschneidendes Erlebnis, welches meine Hörgewohnheiten auf den Kopf stellte, war das 2004 erschienene, selbstbetitelte Album von Bündnerflaisch mit dem grandiosen Kuh-Cover.


Auf diesem Tonträger hörte ich erstmals astreinen Bündner Pop/Rock mit witzigen Texten in breitestem Churerdialekt. Während May Day vor allem deftig rockten, boten Bündnerflaisch einen spannenden alternativen Mix aus Pop, ein bisschen Rap, tanzbarem Funk, sowie eine gewisse Lässigkeit. Sehr schnell kannte ich alle Texte von ihnen und freute mich damals sehr auf den ersten Konzertbesuch bei den Jungs in der Werkstatt. Wie auch schon zu Abbazappa-Zeiten musste ich merken, dass die Musik der Domleschger nicht bei allen auf offene Ohren stiessen wie bei mir. Mein Mentor Hans Conzett hatte eher einen Bezug zur Vorgängerband und auch meine langjährige Kollegin Sarah Mark fand die Texte von Sergio Greco jetzt nicht gerade sehr prickelnd. Sie respektierte jedoch die Tatsache, dass Bündnerflaisch innert kürzester Zeit von ihrem Debüt über 4000 Exemplare verkauft hatten. Ein paar Jahre später passierte mir Ähnliches, als das Album «Ulässig» rauskam. Ich lehnte es vor allem wegen der ersten Titel-gebenden Single und dessen dadaistischen Textes ab. Ich verurteilte die Jungs zu Unrecht, denn das Album, welches ich ein halbes Jahr später komplett durchhörte, war gar nicht so schlecht, wie es der erste Vorgeschmack (oder war dort noch die Nummer Amerika zuerst?) vermuten liess.


Doch zurück zum Debüt. Ich weiss nicht an was es genau gelegen hat, aber mich hat diese erste Platte unglaublich gepackt. Während des Hypes um die neue Formation kamen auch viele Presseartikel raus, die ich allesamt gesammelt habe. Ich erinnere mich noch an eine grossartige Geschichte in der Migroszeitung, bei der die Jungs mitten in einer Bündnerfleisch-Trocknerei standen. Ihre Anwesenheit in diversen Medien befeuerte mein Fantum und ich bereitete mich gewissenhaft auf das erste Konzert der Jungs vor.


Der grosse Abend kam und ich stand natürlich in der ersten Reihe – von Anfang an bis zum letzten Ton. Jeden einzelnen Song sang ich lauthals mit, was Sergio Greco sogar bei dem BF-Song «Frei» ein wenig durcheinander brachte.  Aus diesem Grund wurden mein damaliger Gitarrist Luciano Giovanoli und ich nach dem Konzert in den Backstagebereich geladen und feierten mit den Bündnerflaisch-Jungs eine ausgelassene Party, was ich heute noch in guter Erinnerung habe. Von diesem Konzertabend gibt es sogar noch eine Aufnahme, die ich euch hier nicht vorenthalten möchte. Hier ist der legendäre Song «Schiiba» in der «Bündnerflaisch – Version».

Sie waren damals einfach auch eine verdammt gute Kombo mit Peter Beglinger am Schlagzeug, Gianni Lorenz am Bass, Sergio Greco am Gesang, Michael Gertschen am Klavier und Karl Studach an der Gitarre und ich war einer ihrer grössten Fans. Ich glaube, ich wäre es auch ewig geblieben, wenn sie nicht ständig bei jedem neuem Album die Besetzung gewechselt hätten. Das war wirklich irgendwie schade. Während die Neuzugänge beim zweiten Album «Gsehsch guat us» Ervin Janz und Rolf Caflisch noch Sinn machten, waren es später Musiker aus dem Unterland, welche die Band komplettierten, was mir nie so richtig geheuer war. Ich finde, man kann eine Band nicht Bündnerflaisch nennen und nachher Musiker aus der ganzen Schweiz dafür aufbieten… Mit der Ulässig-Formation hatte ich dann auch die Ehre am Openair Trin gemeinsam auf der Bühne zu stehen und auch einige spätere Bünderflaisch-Songs bekam ich für meine «Bock uf Rock»-Kompilation auch einen exklusiven Track weit vor der CD-Veröffentlichung, was mein «2004-Ich» wahrscheinlich ziemlich zum Ausflippen gebracht hätte und ich auch heute noch dankbar als nicht selbstverständlich erachte.


Aktuell besteht die Band schon recht lange nur noch aus den beiden Herren Gertschen und Greco, die als Unterhaltungsduo nach wie vor einen guten Job abgeben und für lustige Momente sorgen. Doch schauen wir noch einmal zurück, wie das Werk von damals klingt, welches in mir vor fast 20 Jahren den Mut weckte ebenfalls auf Mundart zu setzen.


Ziemlich rockig und mit viel Druck nach vorne startet das Stück «Frei», welches die Freiheit porträtiert, wenn man denn dazu bereit ist, sie in ihr oder sein Herz zu lassen. Die groovige Strophe zielt auf einen epochalen Refrain, der zum Mitsingen einlädt. Der fast komplette Zusammenfall des Gebildes im Zwischenteil, dicht gefolgt von den heavy Achteln, vermag zu gefallen und zeigt auf, dass hin und wieder auch bei einer Popband ein paar Devilhorns nicht komplett falsch am Platz sind. Endgeil, wie Bega seine Küche gegen den Schluss hin wie eine Wildsau bearbeitet. Da fällt mir die Kinnlade auch heute noch runter vor Bewunderung. So wird eine CD mit viel Wucht eröffnet.

Auch das zweite Lied der CD, namens «Meh» startet mit einem ziemlich coolen Fill-in der Bünder Drumlegende. Die Ode an die Liebe ist verträumter Midtempo-Pop, der auch heute nichts an seiner Frische verloren hat. Erstaunlich, wie viel von den Texten auch heute noch abrufbereit in meinem Oberstübchen bereit liegt. Hach, einfach wunderbar, wie das klingt, wenn Michael Gertschen mit seinem Klavier den Lead übernimmt.


«Stärn» war die erste Singleauskopplung des Albums und trotzdem hat mir dieses Lied nie zu 100% gefallen, was wahrscheinlich an den Reggae-Einflüssen liegen mag. Inzwischen finde ich es gar nicht mehr so schlimm und stimme direkt in den «Barababap»-Chor mit ein.

Das nächste Liedlein «Wünschä» fand ich immer sehr witzig, da Greco einen ausgezeichneten und lebensbejahenden Humor hat, der mir immer sehr zu gesagt hat. Das groovige Spektakel, das motivierend die Zuhörer an der Hand nimmt und zu neuen Herausforderungen animiert, klingt heute noch ziemlich funny und wurde bei Radio Grischa zeitenweise fast inflationär gespielt. Ziemlich cool fand ich die Referenz an die Vorgängerband Abbazappa, bei der drei der fünf Herren der Formation ja schon aktiv gewesen sind.

Fast keine Erinnerung hatte ich bis zum jetztigen Wiederhören an das Stück «Schuwiederdoh», welches jazzig angehaucht und angenehm relaxt aus den Boxen tropft. Eigentlich ein ganz interessantes Stück in dem Greco ziemlich viel sehnsüchtige Gefühle in die Noten drückt.


Der Bündner Radiohit Nummer 1 «Crestasee» war 2002 omnipräsent in den Ohren der Bündner Bevölkerung. Dies wie kaum ein anderes Lied, mal abgesehen von May Day’s «Alles wäga diar». Lange bevor DJ Mico mit «Graubünda» ein Lied über die Schönheit des Kantons erschuf, war dies die Hymne für kleine und grosse Graubündenfans aus allen Himmelsrichtungen. Und jetzt alle nochmals: «Am Crestasee hani di zerscht Mal gseh.»


Gefühlvoll und doch groovig kommt die nächste Nummer «Sägmiär» um die Ecke. Die hat mir immer wahnsinnig gut gefallen, da sie leicht melancholisch angefärbt ist und ziemlich gut die allgemeinen Kommunikationsprobleme zwischen Frauen und Männern beschreiben. Hier stimmt einiges, die hohen Chöre von Greco, die direkt unter die Haut fahren, die Trompete im Hintergrund, der tighte Beat und das wundervolle Zusammenspiel der Band. Schwierig so einen Hit in Worte zu fassen, so etwas hört man am besten gleich selber an und fühlt den feinen, aber doch recht wesentlichen Unterschied.

Das Werk «Hehoi» erzählt eine ziemlich witzige Geschichte über eine recht einseitige Freundschaft. Das Off-Beat-Werk groovt auch 15 Jahre später noch ziemlich gut und ist ein wahrer Stimmungserheller.

Ja, ich gebe es zu mit italienischer Musik kann man mich sonst jagen. Doch das Stück «Lasciami» hat mir immer sehr gut gefallen durch den beschwingten und gegen den Refrain hin ziemlich rockigen Charakter. Sonst lässt man mich mit Italo-Musik besser in Ruhe, aber eine Nummer der Bündnerflaisch-Jungs geht ganz gut und hat was Abwechslungsreiches.


Beim emotional geladenen Lied «Ammorgaamvieri» läuft es mir auch heute noch direkt eiskalt den Rücken hinunter. Die Orchestrierung, die hier Gertschen gemeinsam mit dem Produzenten Lou Zarra auffährt, ist Weltklasse und ziemlich grosses Kino. Eigentlich sollte es wieder mehr Zusammenarbeiten der beiden Genies geben. Huch, leichte Kost ist das Werk aber auch heute immer noch nicht…


Nach so viel erdrückender Trauer kommt mit «Dr Wäg» wieder ein positives Lied, welches dankbar Abschied nimmt. Nach einer Beziehung müssen nicht immer nur Verlierer übrig bleiben, wie dieses Lied federleicht beweist.

Das von Manu Bosch komponierte «Wolka» war lange mein Lieblingsstück auf der CD, da es etwas Verträumtes hat und durch die Melodie des Klaviers immer noch sofort funktioniert. Hier kommen mir sofort wieder diverse Souvenirs aus meinem Leben in den Sinn, denn diese CD und spezifisch dieses Lied haben mich einen Sommer lang ziemlich intensiv als Soundtrack begleitet. So muss bedingungslose Zufriedenheit mit einem Hauch Freiheit klingen. Hit!

Oh ja, die Heavyhymne «4 Täg» mit den jaulenden Gitarren von Karly geht auch heute noch ziemlich ab. Als diese CD rauskam, hätte ich es mir nie vorstellen können, wie es ist, wenn man mal ein paar Tage von seiner Partnerin getrennt ist, da ich damals noch der festen Überzeugung war, nie die richtige Frau zu finden… Doch heute ist es für mich regelrecht dramatisch, wenn meine Liebste sich entscheidet mit ihren Kolleginnen wieder mal einen Wochenendtrip zu unternehmen. Ein spezielles Gefühl, das einem dann übermannt; hier recht treffend in einen Song gepackt.

«Selbergseh» ist gegen den Schluss eine motivierende Ode zur Selbsthilfe. Das Rockstück ist noch einmal ziemlich druckvoll und fand mit «A Frau» auf dem nächsten Album einen passenden Nachfolger. Gelungen!


Die Abschlussnummer «Fürmi» ist lustig und Greco beweist, welche Gabe er als Erzähler eigentlich hat. Die Geschichte mitten aus dem Leben, ist spannend und animiert, wieder ein wenig mehr auf einem selbst zu schauen.


Der versteckte Track «L.A.N.H.» ist Comedy pur und zeigt, dass die Domleschger trotz musikalischer Professionalität auch mal Zeit für ein paar Witze finden. Auschecken!


Schlussfazit:
Das selbstbetitelte Debütalbum von Bündnerflaisch hat einen spannenden, roten Faden voller Positivität, groovt dank der tollen Ursprungsbesetzung wahnsinnig gut und hat durch die stimmige Umsetzung auch 15 Jahre später nichts an Frische verloren. Nicht umsonst ist es ihr bisher erfolgreichstes Werk, denn der Mix aus Spass an der Sache, druckvollem Rock, grossen Popmomenten und einer ansteckenden Spielfreude ist auch heute noch ziemlich fesselnd. Insgeheim hoffe ich ja immer noch ein klein wenig auf eine Reunion der Originalbesetzung… Vielleicht auf das 20-jährige Jubiläum?!?

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