Musikperlen: «11am – Self titled» (2005)
Lange bevor das Debüt-Album «Bittersweet Tragedies» von 11am rauskam, war ich bereits grosser Fan des Churer Trios. Damals, als Rolf Caflisch noch bei May Day trommelte und seine Haare lang trug, stiess ich fast ein wenig zufällig auf die heutige Perle in der Musikabteilung im Manor Chur. Damals und auch heute noch habe ich ab und zu die blöde Angewohnheit, wenn mir der Stil eines Musikers sehr gut gefällt, mir gleich kurz nach dessen Entdeckung alle miterschaffenen Werke zu besorgen. Damals als Yves Zogg, Ervin Janz und Rolf Caflisch in der neuen Formation für Furore sorgten, war ich, wie in der letzten Musikperle bereits erwähnt, grosser May Day-Fan. Diese Sammelwut hat mir ab und zu schräge Tracks oder auch ganze Alben von Künstlern eingebracht, die schrecklich schlecht sind und rasch in Vergessenheit gerieten. Doch in diesem Fall, bei der unbetitelten 11am-EP, hat sie für einmal ein äusserst positives Ende genommen. Ich, der junge Musikfan aus dem Prättigau pilgerte direkt nach dem Kauf dieser EP an jedes ihrer Konzerte und versuchte dabei einige der Skills vom Jazzdrummer Caflisch abzugucken. In dieser Zeit knüpfte ich speziell mit dem Frontmann Ervin Janz ein freundschaftliches Verhältnis, welches noch bis heute Bestand hat.
Die EP hatte zwar nur eine Hand voll Lieder, doch die Songs haben mich sofort gepackt. Der Band selbst öffnete dieser kurze Ausschnitt ihres Schaffens in der Musikwelt Schweiz einige Türen. Sie waren zwischen 2005 und 2006 stetig in der Zeitung, spielten sich dann bis ins Finale des Musikwettbewerbs «Battle of the Bands» und für mich war es irgendwie als Teenager berauschend mit solch talentierten und auch berühmten Musikern befreundet zu sein.
Zwei Mal waren sie auf meinen Kompilations «Bock uf Rock» zu Gast und beide Male lieferten sie grandios ab. Auch heute empfinde ich 11am als eine der besten, kreativsten und musikalischsten Acts der Ostschweiz, die sich für ihren Erfolg nie verbogen haben. (Eine kleine Ausnahme bildet das kurze Intermezzo bei Bündnerflaisch. Doch das ist eine andere Geschichte.)
Was mich bis heute ein klein wenig frustriert ist der Fakt, dass trotz intellektuellem Songwriting, charmantem Auftritt und vielen weiteren stimmigen Faktoren, ihnen der ganz grosse Durchbruch bis heute verwehrt geblieben ist. Es ist fast ein wenig wie bei den Ramones, denn auch in Graubünden verneigt sich heute praktisch jeder Musikschaffende vor der Leistung der Herren. Bei solchen Sachen ist es ab und zu unmöglich das Universum zu verstehen und doch hoffe ich es sehr, der Formation, bei welcher nur noch der musikalische Mastermind Ervin vom Orginal verblieben ist, ein kleines Denkmal setzten zu können, welches ihnen auch in Zukunft ein paar neue Hörer einbringen wird. Denn wenn eine Band aus Graubünden nach 14 Jahren noch immer kreativ ist und weiterhin Gas gibt, sollte das gefeiert und gefördert werden.
Lassen wir die Zeitreise beginnen und mit dem Brett «Save my Soul» knallt es mich gleich zurück an ihre heissen Shows vor mehr als 10 Jahren. Das Rockbrett beginnt mit einem tragenden Riff, welches heute noch verdammt frisch klingt. Der Song bricht zur Strophe hin fast komplett zusammen und wird mit Geflüster, akustischen Feinheiten und einem spannenden Aufbau zu einem sehr mitsingbaren Chorus geführt. Der kurze Heavy-Metal-Zwischenteil, plus der anschliessende Aufbau auf das Finale hin ist episch. Ich hatte fast ein wenig vergessen, wie grandios das Orginal ist, da ich in den vergangenen Jahren vor allem auf die «Album»-Interpretation zurückgegriffen habe, welche mehr auf Mitsingteile setzte.
Groovig und mit etwas Akkordeon im Gepäck ist «Deep inside» eine komplett andere spannende Geschichte. Die lustigen Frasierungen vom Sänger Ervin lassen die Zuhörerschaft erahnen, welch grosse Freude dem Musikprofessor das Schreiben und Einspielen des Werkes gewesen sein muss. Beim Solo kommen Erinnerungen an Paris auf und doch sind die unterstützenden harten Gitarren irgendwie nicht das Passende für die Stadt der Liebe.
Neben dem rockigen Opener kommt mit «There» ein wenig Pop-Appeal ins Werk. Dies vor allem weil erst beim zweiten Anlauf die volle Schubkraft des Refrains angeworfen wird. Die Hymne klingt heute noch so, als wäre sie erst vor kurzem erschienen, obwohl das Werk doch schon fast 15 Jahre auf dem Buckel hat. Ach, wie ich die Triokonzerte von ihnen vermisse, bei denen Ervin seine Gitarre aus der Hand gab, kurz ans Piano trat und dort seine Vielfältigkeit unter Beweis stellte. Bei diesem Werk hier, kommt das kompositorische Feingefühl und das Zusammenspiel der beiden Instrumente optimal zur Geltung.
Warum habe ich eigentlich genau «Sorry» als Track für Bock uf Rock und nicht was rockigers ausgewählt? Die Ballade ist ziemlich soft, sehr gut geeignet um dabei mitzusingen und doch hat sie irgendwie nicht mehr den gleichen Glanz wie früher. Das liegt aber definitiv nicht an der Qualität, sondern vielmehr daran, dass ich dieses Stück an die zwei Millionen Mal mindestens gehört habe. Ein klassisches Beispiel dafür, dass auch bei der Musik hin und wieder die Dosis das Gift macht.
Als ich das imposante Orchester am Anfang des Liedes «Why R U sad?» höre, stehe ich gleich wieder oben in Degen am Openair Val Lumnezia. Damals spielte Papa Roach und 11am am gleichen Tag, was für mich der Himmel auf Erden bedeutete. Aber trotzdem ist es irgendwie wirklich blöde, dass ich mich bei diesem Song sofort daran erinnere, dass Rolf Caflisch bei diesem Auftritt das Sample nicht im ersten Anlauf traf. Mein Jugendheld konnte Schlagzeug spielen wie kaum ein anderer in Graubünden und lediglich ein einziges Mal hörte ich, wie er daneben langte. Bei den unzähligen grandiosen Konzerterlebnissen, die ich dank 11am geniessen durfte, kommt mir genau dieser lächerliche Fauxpass in den Sinn…
Das abschliessende Werk ist ein richtiges Monster, das bei mehrmaligem durchhören kräftig in die Genicksmusikulatur fahren kann und federleicht zwischen leisen und röhrenden Momenten hin und her switcht.
Es sind zwar lediglich fünf Lieder, aber solche die auch heute noch Relevanz haben. Die Debüt-EP der Churer Band 11am hat dank der enormen Kreativität von Ervin Janz und Rolf Caflisch, Yves Zogg kam dann live dazu, auch heute noch eine enorme akustische Ausstrahlung. Sie vermischen hier mal so locker Metal, Pop und groovige Tanzmusik ohne den Fokus auf die grossen Melodien zu vergessen. Auch wenn die 22:32-Minuten-lange 2004 aufgenommen wurde, besticht sie durch eine Eigenständigkeit und eine herrliche Frische, die auch heute noch begeistert. Chapeau!