«Das Vöglein, das es auf den Ast geschafft hat»
So etwas Wunderschönes, Schockierendes und Hoffnungsvolles zugleich habe ich noch nie gesehen. Es freut mich sehr, dass ich euch heute die Geschichte hinter diesem Bild erzählen darf! Denn die Themen unerfüllter Kinderwunsch und künstliche Befruchtung sind meiner Meinung nach zu Unrecht Tabuthemen.
Melanie und Dominik mit dem Baby aus dem Reagenzglas
oder
«Das Vöglein, das es auf den Ast geschafft hat»
Dominik kommt mit zwei Taschen ins Wohnzimmer. Seinen zwei Monate alten Sohn trägt er mit einer Traghilfe auf der Brust. Dieser schmiegt sich zufrieden an Papas Brust und schläft ein. Dominik setzt sich zu seiner Frau Melanie und mir und leert die Taschen auf dem Tisch aus: Zum Vorschein kommen rund 500 Hormon- und Blutverdünnungsspritzen. «Von der ersten Spritze an wusste ich, dass ich einmal so ein Bild machen möchte, wenn es klappen sollte!», sagt Melanie. Sie ist 28 Jahre alt und Mutter von einem Sohn und drei Sternenkindern.
«Niemand nahm uns ernst!»
Melanie und Dominik heirateten im jungen Alter von 22 und 24 Jahren. Kurz nach der Hochzeit setzte Melanie die Pille ab und die beiden versuchten schwanger zu werden. Nach zwei Jahren wurde Melanie schwanger, verlor das Baby aber in der sechsten Schwangerschaftswoche. Darauf holte sich Melanie Hilfe beim Frauenarzt. Untersuchungen zeigten: Sowohl sie als auch Dominik sind gesund. Ihre Fruchtbarkeit ist nicht beeinträchtigt. Melanie schaut mich an und sagt: «Weisst du, was mich traurig machte? Niemand nahm uns ernst. Alle rieten uns, es weiter zu probieren, schliesslich seien wir jung und gesund!» Spätestens nach der zweiten Fehlgeburt in der 14. Schwangerschaftswoche wusste Melanie aber: Etwas stimmt nicht! Das Paar meldete sich bei einer Kinderwunschklinik. «Unsere Hemmungen vor diesem Schritt waren wirklich unbegründet», sagte Dominik. «Heute würde ich diesen Schritt viel früher gehen.», sagte Melanie.
Letzte Hoffnung
Das Paar versuchte es zuerst mit einer Insemination. Dabei wurden die Spermien direkt in die Gebärmutter gespritzt. Die Erfolgsquote von dieser Methode liegt etwa bei 15 Prozent. Drei Versuche zahlt die Krankenkasse. Als diese fehlschlugen, war Melanie mit ihren Nerven am Ende: «Ich konnte so einfach nicht mehr weitermachen!» Dominik ergänzte: «Es war schrecklich, nur zusehen zu können, wie Melanie erfolglos all diese Bürden auf sich nahm. Ich fühlte mich einfach nur hilflos!»
Schliesslich entschieden sich Melanie und Dominik für ihre letzte Hoffnung: Eine künstliche Befruchtung. Dessen Erfolgsquote ist ungefähr doppelt so hoch wie derjenigen einer Insemination. Die Kosten belaufen sich auf rund 10'000 Franken und müssen selbst getragen werden. Melanie wurden Eizellen entnommen und mit Dominiks Spermium befruchtet. Die Befruchtung klappte in fünf Fällen. Eines der befruchteten Eizellen wurde Melanie eingesetzt, vier wurden eingefroren.
Unerwartete Erkenntnis
Melanie wurde beim ersten Versuch schwanger, verlor aber auch ihr drittes Baby kurz vor der zwölften Schwangerschaftswoche. Dieses Mal konnte aber das Erbmaterial untersucht werden. Das Baby war erstaunlicherweise gesund. Darauf machte die Ärztin in der Kinderwunschklinik einen Bluttest bei Melanie. Es stellte sich heraus, dass Melanie an einer Blutgerinnungsstörung leidet. Diese verhindert, dass die Babys in ihrem Bauch überleben. Das war die Erkenntnis! Melanie bekam neben Hormon- auch Blutverdünnungsspritzen und liess sich das zweite befruchtete Ei einsetzen. Neun Monate später - und fast sechs Jahre nach dem ersten Versuch schwanger zu werden - durften Melanie und Dominik endlich ihren grössten Traum in den Armen halten: einen kerngesunden Sohn!
Das Vöglein auf dem Ast
An ihren langen Leidensweg mit dem schönsten Happy End erinnert nicht nur das Foto ihres Neugeborenen inmitten des Herzens aus Hormon- und Blutverdünnungsspritzens. Auch ein gemeinsames Tattoo erzählt die Geschichte von Melanie und Dominik: Zwei Vögel sitzen auf einem Ast. Drei kleine Vögel fliegen darüber. «Demnächst wird das Tattoo um ein weiteres Vögeli ergänzt, das es auf den Ast geschafft hat», erklärt Melanie. Sie sieht mit einem liebevollen Blick zu Dominik. Auf dessen Brust schläft immer noch zufrieden ihr gemeinsames Baby. «Auch wenn bisher nur eins das Licht der Welt erblicken durfte, für mich zählen auch unsere Sternenkinder!» Ausserdem fügte sie - in Anspielung an ihre eingefrorenen befruchteten Eizellen - mit einem Lächeln an: «Genauso wie die drei Kinder, die noch darauf warten, ausgetragen zu werden!»
Titelbild: Das kleine Wunder inmitten eines Spritzen-Herzens.
Quelle: sweetsunshine.li
Foto2: Detailaufnahme der Hormon- und Blutverdünnungsspritzen.
Quelle: sweetsunshine.li
Foto 3 und 4: Das Tattoo von Melanie und Dominik wird demnächst um ein kleines Vögeli ergänzt, das es auf den Ast geschafft hat.
Quelle: zVg.