Musikperlen: «May Day – Abduldalilai» (1996)
Bild/Illu/Video: zVg.

Musikperlen: «May Day – Abduldalilai» (1996)

Ich begriff es schon früh: May Day sind immer dann am besten, wenn grosse Veränderungen anstehen. So entstand ihr Klassiker mit dem Titel «Uftaut» als ein geplantes Abschiedsgeschenk an die Fans und auch die heutige Musikperle «Abduldalilai» markierte einen grossen Umbruch, nämlich das Ende der Ära mit Sänger André Renggli.

Doch schauen wir nochmals ein wenig zurück in die Geschichte der Zizerser Legenden.

In ihrem Lebenslauf auf der Webseite steht bei dem Jahr 1996 folgender Text:

«Am 5. Februar erscheint die dritte CD «Abduldalilai» und platziert sich in der Schweizer Hitparade auf dem 16. Platz. Die CD-Taufe findet am 2. März in der Turnhalle Obergasse in Zizers statt. Am 11. April, großes Konzert im Hallenstadion in Chur, 8. Juni Calanda-Sound- Festival... Über 60 Konzerte in der ganzen Schweiz. Aus beruflichen Gründen (Italienaufenthalt, Milano) verlässt der Leadsänger André Renggli die Band.»

Das ist eine recht knappe Beschreibung für das erfolgreichste Album ihrer Karriere, weshalb ich hier doch sehr gerne ein mehr aushole:

Die Rockdinos May Day sind die Band, die mich von Kindesbeinen an am meisten geprägt hat. Sie waren irgendwie immer da und die Mitglieder sind inzwischen für mich fast ein wenig zu Familienmitgliedern geworden. Das Gütesiegel May Day stand für mich immer für geniale Texte, richtigen Rock und vor allem eine gewisse Ehrlichkeit. Denn vor ihnen sang kaum jemand auf Bündner Deutsch und selbst ich brauchte persönlich lange für die Erkenntnis mir es dann irgendwann doch noch einzugestehen, dass mein Englisch nicht wirklich so brillant ist, wie ich es mir immer ausmalte. Die besten Texte können eben nur entstehen, wenn man in der Sprache schreibt, in der man auch träumt.


Auch ich lernte May Day mit dem Superhit «Alles wäga diar» auf Radio Grischa kennen. Es zogen aber noch ein paar Jahre durchs Land, bis ich von meinen Eltern die Erlaubnis erhielt ein Konzert meiner Helden besuchen zu dürfen. Meine Premiere war im Jahr 2004, also vor 15 Jahren. Sie spielten zu ihrem 25-jährigen Jubiläum im Torkel Zizers. Dieses Ambiente, das ellenlange Set und einfach alles von diesem Abend, empfand ich als sensationell und unvergesslich. Es war so eine Art Werkschau, bei der Martin Wittwer, damals noch Frontmann der Jungs, jeden Song dem Publikum genauer vorstellte, wodurch auch diverse Raritäten, die ich anschliessend nie wieder live gehört habe, erklärt und anschliessend unplugged vorgetragen wurden. Mein grosser Vorteil bestand damals darin, dass ich jeden einzelnen Song des knapp dreistündigen Sets auswendig konnte und auch stets inbrünstig mitsang.


Anschliessend ans Konzert erhielt ich zudem die Möglichkeit zu einem Interview mit dem Leadsänger und Gründungsmitglied Martin Wittwer für die Abschlusszeitung der Sek. Der Sound der etwas älteren Herren sagte mir in meiner «Sturm und Drang»-Phase ziemlich zu und ich versuchte mit meiner Begeisterung auch diverse Kollegen anzustecken. Mein persönliches Highlight war es, als ich am letzten Schultag meiner Oberstufenkarriere vor der gesamten versammelten Oberstufe im Feld Jenaz den Song «Alles wäga diar» vortragen durfte, was mir grossen Applaus einbrachte. Zufälligerweise sind zwei prägende Momente meines Lebens eng mit May Day verknüpft, nämlich das erste Interview, das meine journalistische Neugier zum Leben erweckte und das erste Konzert mit einer Band, wo ich mit ihren Federn süchtig nach Auftritten und Applaus wurde.

Doch zurück zur Geschichte. Die Rockdinos standen mit neuem Album bereit und ich reservierte mir schon ziemlich bald einen Platz in der ersten Reihe an jedem Konzert der «Vollmond»-Tour. Damals bestand May Day aus dem noch langhaarigen Rolf Caflisch am Schlagzeug, dem heute noch aktiven Ainga Dobbelare und dem inzwischen ausgeschiedenen Gery Tönz an den Gitarren, sowie den drei Gründungsmitgliedern Röbi Rohner am Bass, Edwin Zinsli an den Tasten und Martin Wittwer am Gesang und der Gitarre. In dieser Zeit, in der May Day noch etwas intensiver tourte, als sie es heute tun, war ich sogar an der Meisterfeier vom Hockeyclub Davos, obwohl ich nicht einen Match der Davoser gesehen hatte. Auch wenn mir die Sportart Hockey bis heute ziemlich fremd ist, hat sich die Reise irgendwie gelohnt, denn May Day spielte dort ein rockiges Set. Ja, es war eine Zeit lang fast ein wenig so, als würde ich bald Roadie bei den Jungs werden. Ich freundete mich mit dem inzwischen leider verstorbenen Merchandiser Dani Cavelti an und fachsimpelte mit ihm regelmässig vor den Konzerten über die Geschichte von May Day. Ich hatte damals sogar als einer von den wenigen noch die Schallplatte «Gnuag vo eu» von ihnen zu Hause und tippte, als ich Zeit dazu fand, alle Texte für die Webseite der Band ab. Nicht um irgendwem was zu beweisen, sondern einfach aus purer Freude an der Musik. Ich war zu dieser Zeit regelrecht angefressen und habe ganz nebenbei auch noch einiges mitgenommen für meine eigene musikalische Laufbahn. Vor allem von Robert und Edwin konnte ich viel lernen, da sie mir immer wieder wichtige Tipps mit auf den Weg gegeben haben. Ich denke, bei denen könnte ich heute noch jederzeit klingeln mit irgendwelchen Fragen, die würden sich immer gerne Zeit nehmen. Solch offene Ohren, wie sie es für mich immer hatten, wollte ich auch für junge Musiker haben, was mir bis jetzt, glaube ich zumindest, recht gut gelungen ist.


Doch zurück zur Musik: May Day hat an und für sich viele Stationen durchlebt.


Es gab die erste Ära mit Edwin Zinsli am Gesang, die erfolgreichste Ära mit dem Sänger André Renggli, die rockige bis popige Ära mit Martin Wittwer am Gesang, das kurze Intermezzo mit Andri Padrun am Mikrophon und nun haben sie mit Tom Graf einen wirklich genialen Sänger gefunden, der auch einfach ein geiler Hund und Festbruder ist. Viele Bands lösen sich ja schon wegen dem kleinsten Klamauk auf, doch May Day haben es geschafft, sich immer wieder zusammen zu raufen und sich jedes Mal auch ein wenig neu zu erfinden. Diese 40 Jahre Musik- Karriere muss ihnen ausserdem erst mal jemand nachmachen. Chapeau!


Doch genug Geschichtskunde, wir kommen zu den Liedern des Evergreens:


«Wind im Hoor» ist feinster Pop-Rock mit schönen fliegenden Klavierklängen. Die Uptemponummer gefällt auch den Kids vor allem durch die, jetzt kann ich es ja so sagen, ein wenig blöden Wortspiele in der Strophe von Martin Wittwer. Doch das tolle Zusammenspiel der erfolgreichsten Zusammensetzung und der ausschweifende Chor am Schluss, lassen diese fast ein wenig vergessen. «I bin kai Maa, zum ganz lang ha.» - habe ich schon früh lauthals mitgesungen, ohne mir der Bedeutung dieser Zeilen überhaupt bewusst zu sein. Heute mit 31 muss ich sagen, dass ich sehr wohl ein Mann bin, der von meiner Frau noch viele weitere Jahre behalten werden kann.

Das Kriminalstück «Max und Hedi» ist ein ganz spezielles Lied. Denn neben dem Track «Zmitzt in dr Nacht» auf dem Album «Durchbruch» ist es das einzige Stück, dass von André Renggli getextet wurde für May Day. Wer diese beiden Songs kennt, fragt sich schon ein wenig, wieso der stimmgewaltige Sänger nicht öfters zum Stift gegriffen hat, denn dieses Rockmonster hier, gehört zweifelsfrei in den Klassikerecken und klingt auch heute noch ziemlich frisch.


«As tuat weh» ist der beste Trennungssong, der in Graubünden je geschrieben wurde. Wie viele Körbe und gescheiterte Schwärmereien ich mit dieser Ballade verarbeitet habe, zeigt nur schon der Fakt, dass ich jede noch so kleine Melodie vom tragenden Piano oder der Gitarre im Schlaf rezitieren kann. Auch wenn es melancholisch um eine Trennung im von Robert Rohner geschriebenen Stück geht, bringt der Song gegen Ende auch ein wenig unterschwellige Hoffnung mit, denn auch wenn die Frau weg ist, sind die Kollegen, die es nur gut meinen mit einem, irgendwie immer noch da und man versinkt nicht komplett in der Einsamkeit. Magisch!


«Dr Kaiser» ist gestorben – jetzt wird alles besser. Das war zumindest der Plan des Stückes, welches von Edwin Zinsli getextet wurde. Doch die Menschheit lernt leider wenig aus der Geschichte und Krieg und Leid wiederholen sich stetig. Das Lied ist ein zeitloses Stück Sozialkritik, das auch 23 Jahre nach der Veröffentlichung leider immer noch eine gewisse Aktualität besitzt. Interessant von der musikalischen Front ist in diesem Lied sicher die Melodie des Akkordeons und der militärische Zwischenteil vom Trommler Johnny Buschauer. Grandios!


«Endlich Sunntig» beschreibt den Alltagsstress der Erwachsenen, der sich mir auch erst mit den Jahren in seiner ganzen Pracht offenbarte. Das Loblied auf den Ruhetag Sonntag ist witzig und hat doch auch eine feine Prise Selbstkritik inne. Weniger ist eben ab und zu doch mehr, vor allem wenn es um Verpflichtungen unter der Woche geht.

Das Titelstück des Albums erzählt die Geschichte des Sohns «Abduldalilai» vom weltberühmten Mani Matter-Kater «Ferdinand». Das doppeldeutige Stück ist ein Loblied auf die Andersartigkeit und den Mut zur Musikalität, was heute noch so strotzt vor Selbstbewusstsein und Hoffnung schenkt. Gelungene Fortsetzung der Geschichte, die im Orginal etwas tragisch geendet hat.

«Weder Fisch no Vogel» habe ich in meiner Pubertät so häufig gehört, wie kaum ein anderes Lied. Der Lehrer Zinsli trifft hier den Nerv aller aufwachsenden Jungs und schenkt Trost in einer schwierigen Zeit. «Nüma Kind und doch gliich no kai Maa» oder das ewige zwischen Stuhl und Bank sein, bringt sicher auch andere Jugendliche zur Weissglut und war ebenfalls bei mir nie einfach. Irgendwie war es aber auch eine schöne und spannende Zeit und wann immer ich mir sie zurückwünsche, höre ich in dieses Lied rein und fühle mich erneut so wunderbar verloren.


«Summerziit» ist ein weiteres Stück Lebensgeschichte, welcher der begnadete Geschichtenerzähler Zinsli ein eigenes musikalisches Denkmal gesetzt hat. Das erste Mal in die Ferien, das erste Mal die Freiheit spüren und alle Alltagssorgen zu Hause lassen. - Das sind Dinge, die man nie vergisst und die in diesem Reisesoundtrack imposant porträtiert werden.

Ein episches Drumsolo zum Start leitet die Bierhymne ein, welche humoristisch geschickt aufgebaut ist und heute noch sehr elegant den Zustand beschreibt, bei dem es nur noch weitergeht, wenn endlich Gerstensaft ins Spiel kommt: «GMAP» oder «Gib miar a Piar» ist klassischer May Day-Rock, der heute noch Bock macht und an jeder Party Jung und Alt abzuholen vermag.  Fett!

«Frauaphauer» knüpft humoristisch an den Vorgänger an. Martin Wittwer erklärt dabei süffisant, wie er bei einer Frau landen will, der er selbst nicht wirklich gewachsen ist. Das abwechslungsreiche Arrangement ist treibend nach vorne gerichtet und spannend gestaltet.


Das nächste treibende Wittwer-Brett «Nid min Tag» zeigt sich als treffende Chronik eines schlechten Tages. Auch hier zeigt der grandiose Komponist, wie ständig mehr Spannung in das Stück geladen werden kann. Zu hören gibt es noch grandiosen Chorgesang von den Jungs, der sofort zum kollektiven Mitsingen einlädt.


Die grandiose Popballade «Schön, dass es Di git» vom Duo Rohner/Wittwer ist ganz grosses Kino und auch heute noch ziemlich zeitlos. Ich kann mich jetzt noch bildhaft daran erinnern, als wäre es gestern gewesen, wie begeistert ich damals war, als ich die paar Gitarrenakkorde dieses Liedes auch spielen konnte in meinem Kinderzimmer in Jenaz. Hui, wenn Renggli den singt, läuft es einem heute noch eiskalt den Rücken runter. Was für ein Hit!


Der Song «Kinderland» hat mich persönlich nie wirklich gross berührt. Dies wird wahrscheinlich auch eher dann der Fall sein, wenn meine Frau und ich selbst Kinder haben. Das Werk ist epochal aufgebaut und erhält nach und nach immer mehr Schwung, was der interessanten Komposition von Wittwer geschuldet ist, der auch erstmals selbst den Leadgesang phasenweise übernimmt.

Zusammenfassung:
«Abduldalilai» ist kein «Uftaut», das muss vorab erwähnt werden. Das Abschlussalbum mit dem grossartigen André Renggli am Gesang ist ein Werk, welches weniger roh und rudimentär (Danke Thomas Graf für das passende Wort) daher kommt als «Uftaut», aber mit grossen Melodien begeistert. May Day haben hier den perfekten Mix aus Pop, Rock und Texten aus dem Leben gefunden. Die vielfältigen Texte, die Renggli, Wittwer, Rohner und vor allem Zinsli bei diesem Werk eingebracht haben, machen die CD zu einer echten Perle, die heute noch erstaunliche Aktualität besitzt. In diesem Jahr feiern sie ja 40-jähriges Jubiläum, wie wäre es einen Abend lang, die Nostalgie aufleben zu lassen und das «Winning team» nochmals zusammen zu bringen? Mich persönlich würde es sehr freuen!  

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