Bild/Illu/Video: Martin Kägi

Bündner Mundartszene im Aufwind

Es war ein relativ taffes Programm, welches Lou Zarra für das «1. Bündner Pop & Rock Mundart Festival» auf die Beine gestellt hatte. Der Plan am Eingang versprach Bündner Musik von 20 Uhr bis zwei Uhr in der Nacht und schon bereits kurz nach der Türöffnung schlenderten die ersten Mundartfans ins Loucy.


Irgendwie überkam mich bei dieser Veranstaltung ein spezielles Nostalgie-Gefühl, wenn ich daran denke, dass vor 10-15 Jahren Mundart in Graubünden, ich nehme jetzt mal die Rapper raus, nur von May Day, Tyte Stone, Bündnerflaisch und ganz kurz auch von Notschtrom praktiziert wurde. Ich war schon damals und bin es auch noch heute begeisterter Hörer von Musik, bei der man jedes Wort versteht. Doch zu dieser von mir genannten Zeit war Mundartmusik aus Graubünden irgendwie verpönt und selbst ich besorgte mir oft Nachschub für meine Ohren im Kanton Bern. Als ich dann kurz nach der Türöffnung beim Loucy ankam, war ich doch ein wenig überrascht und es kam eine Mischung aus Erstaunen und Erleichterung zugleich auf, denn es schien so, als ob die Zeiten vorbei sind, in denen ich mehr oder weniger alleine mit meiner Faszination für Dialektmusik war. Die Mundartszene Graubünden lebt, wie sie es wohl in diesem Ausmass noch nie getan hat.


Neue Stärken und baldige Legenden
Die Bündner Hitparadenstürmerin Carmen Cresta zeigte sich sehr bemüht, das Publikum mit ihrer Rockshow für sich zu gewinnen. Dafür war sie auch bereit auf ein «Schemmelchen» zu stehen und die noch etwas lasche Zuhörerschaft lautstark zum Mitsingen und Klatschen zu animieren. Ihre starke Band im Hintergrund spielte druckvoll nach vorne und Lieder wie «Hamsterrad» oder die Ballade «Aurora» verfehlten ihre Wirkung definitiv nicht. Dass bei ihr noch neues spannendes Material im Köcher steckt, zeigte das Anstimmen des neuen Werks «Ja oder nei», bei dem ihr neuer Tastenmann Marco eine tragende und groovende Rolle innehat.


Nach einer kurzen Pause ging es auf der Hauptbühne weiter mit der Band Tschent. Die Jungs Thomas Studach, Erich Locher, Daniel Berther und Raphael Guler, an diesem Abend unterstützt vom Gastmusiker Dave Murdoc am Klavier, zeigten sich bluesrockig und ziemlich tight. Die bissige Lyrik, die solide Zusammenspiel, sowie der unglaublich charismatische Frontmann Thomas Studach, welcher federleicht über die Bühne tänzelte, boten ein Gesamtpaket, das wie Wein mit dem Alter immer besser zu werden scheint. Hits wie das schmissige «San Bernardino» oder das düstere «Verbrenna» zeigten, dass Rock mit Bündner Texten sich nicht anbiedern muss und auch durchaus eine eigene, unkommerzielle, aber trotzdem geile Note haben kann. Tschent sind so eine Kombo, die es schafft, die Zuschauer rasch abzuholen, da ihre Musik so direkt und authentisch daherkommt.


Drei Sandys für ein Halleluja

Als nächster Act betrat der Produzent und Sänger Sandro Dietrich die kleine Bühne neben dem Eingang. Sein Gitarrist hatte ihm kurzfristig abgesagt, weshalb er kurzerhand ein paar Samples auf das Drumpad programmieren musste. Natürlich «gäbig», wenn das eigene Studio sich im gleichen Gebäude befindet, andererseits hätte ich ihn ziemlich gerne mit der kompletten Band gesehen. Dies kann ich dann aber ja sicher im nächsten Sommer an ein paar Openairs nachholen… Auch wenn viele Sounds aus der Konserve kamen, war ein enormen Zuwachs der Zuschauer vor der Bühne sofort spürbar. Vor allem bei der weiblichen Hörerschaft schienen Songs wie «Bluamameitli» oder «Hakuna Matata» sehr gut anzukommen, denn sie wurden lauthals mitgesungen und regelrecht zelebriert. Als dann Dietrich für den Song «Alles was i will» den Prättigauer Sonnyboy Hedgehog auf die Bühne bat, gab es bei der Damenwelt kein Halten mehr und die Smartphones wurden massenhaft gezückt. Ich hatte lustigerweise irgendwie das Gefühl sie würden jetzt den EM-Song anspielen, da ich ganz vergessen hatte, dass Sandy Gansner auch auf Dietrichs neuem Album vertreten ist. Schon noch irgendwie spannend, dass es in der heutigen populären Bündner Musik gleich drei Sandys gibt, die alle auch noch so nach miteinander verbunden sind. Sandy Fetz ist die Sängerin in der Band von Sandy Hedgehog Gansner und produziert wird auch noch bei Sandy Dietrich. Das wird sicher einige lustige Verwechslungen im Studio geben, aber jetzt zurück zum Thema. Dietrich’s Auftritt mit seinen zwei Backingmusiker war auf einem professionellen Level, welches mich phasenweise an die Auftritte von Ritschi erinnerte, den ich auch schon öfters live erlebt habe. Interessant, wie er seine Hits doch ein wenig rockiger umsetzt und ihm die Herzen des Publikums scharenweise zu fliegen. Da bin ich sehr gespannt, was noch alles kommen wird.


«Alles wägem Crestasee»

Nach der kurzlebigen und unterhaltsamen Dietrichshow, betraten die Zizerser Rockdinosaurier May Day die Bühne. Wie Lou in seiner Vorstellungsrede erklärte, sei die Idee des Musikfestivals eigentlich um diese Herren herum gewachsen. Beim Treffen von «Musik unterscheidet nicht» im Loucy habe er sie angehauen, ob dies etwas für sie wäre. Die Jungs von May Day sagten sofort zu und so kam es, dass heute Abend die Bündner Mundartmusik gemeinsam gefeiert werden könne. Die Herren rund um den Sunnyboy Thomas Graf zeigten eine Zusammenstellung ihrer besten Lieder mit einem speziellen Augenmerk auf die rockigen Knaller. Auch wenn beim ersten Song «I heba ab» irgendwo eine Verzögerung das Klangbild leicht störte, zeigten die alten Herren, dass sie nach wie vor eine enorme Spielfreude an den Tag legen und solche kleine technische Problemchen locker und geschmeidig wegrocken. Das grosse Finale mit dem Überhit «Alles wäga diar» und «Raucha hinterm Schualhuus» liess keine Wünsche offen und animierte das inzwischen ziemlich gut besuchte Loucy zum lautstarken Mitsingen.


Wie Bündner Hits im «Kleinkunst»-Stil klingen, zeigten nach der epischen Rockshow von May Day, die beiden Herren Sergio Greco und Michael Gertschen alias Bündnerflaisch. Der Tastenmann aus dem Wallis gab den Hits wie «Anna», «Crestasee» oder «Ulässig» ein komplett neues Gewand, das die Zuhörer zum Tanzen brachte. Ich hoffe doch sehr, dass die vielen positiven Feedbacks bei den Herren wieder die Lust auf Liveshows geweckt hat, denn viele der Songs der insgesamt vier Alben haben einen zeitlosen Charakter, der auch heute noch sehr zu gefallen vermag.


Die schwierige Aufgabe um 1 Uhr auf die Bühne zu gehen und das Publikum noch einmal richtig zu packen, hatte die Band Hedgehog. Die Formation machte dies solide, da sie nach knapp drei Jahren Zusammenspiel ihren Stuff ziemlich gut im Griff haben und mit Gassenhauern wie «S.O.S», «Hai» oder natürlich «Narba» das Publikum jedes Mal im Sturm erobern.


Schlussfazit:
Das 1. Bündner Pop & Rock Mundart Festival war ein musikalisches Erlebnis der anderen Art. Durch die geschickte Programmierung wurde aufgezeigt, wie facettenreich Bündner Musik mit Mundarttexten sein kann und dass gottseidank noch nicht ganz alle in Graubünden auf Englisch setzen. Auch sonst erinnerte das Festival in vielen Momenten fast ein wenig an ein Klassentreffen der lokalen Musikszene. Wenn Musiker aus verschiedenen Stilen zusammen feiern, dann geht das Konzept des definitiv Festivals auf und es findet ein aktiver Austausch, völlig ungezwungen und ungeplant statt, was doch einfach etwas Wunderbares ist. Gut so, weiter so!

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