«Hakuna Matata» im Soundcheck
Ich lernte Sandro Dietrich, wie die meisten wahrscheinlich, durch die Sendung «Musicstar» kennen. Wenn ich mir heute die Auftritte von ihm auf Youtube anschaue, verstehe ich es ganz gut, wieso er diese Geschichte gerne hinter sich lässt. Seine erste Single «Z’Läba got witer», welche dann 2007 bei Tyrolis herauskam, gefiel mir recht gut, denn neben Bündnerflaisch bot sein Sound irgendwie eine angenehme Bündner Popalternative. Ich erinnere mich noch daran, wie Roman Frigg mit seinem Bruder Marco, sowie Dani Schmid ihm eine Soloband zimmern wollten, aus der dann irgendwie, vielleicht sogar leider, gar nix wurde. Durch meine musikalische Freundschaft mit den Frick-Brüdern, die damals noch aktiv als Romacs unterwegs waren, sowie dem Virtuosen Guitardani lernte ich bald auch Sandro Dietrich kennen. Über die Jahre hinweg ist unser Kontakt nie abgebrochen und auch einige Songs von oder mit ihm fanden auf den Kompilations Bock uf Rock Platz.
Für mich war Sandro Dietrich bis vor zwei/drei Jahren immer ein Musiker, der noch auf der Suche war. Auch wenn einige Songs von ihm heute noch ziemlich hörenswert sind, wie beispielsweise sein Versuch am Eurovision Songcontest teilzunehmen, hinterliess der Produzent und Sänger doch auch hin und wieder mit veröffentlichten Liedern mehr Fragen als Antworten. Dietrich lebt im Moment und will am liebsten von seinen früheren Liedern nichts mehr wissen, was ich einerseits verstehen kann, andererseits ist jeder veröffentlichte Song auch ein Zeuge der jeweiligen Zeit und des musikalischen Werdegangs.
2019 ist Dietrich nicht nur erfolgreicher Musikproduzent bei Klangstark, sondern auch als Solokünstler mit dem neuen Album «Hakuna Matata» am Start. Was mir vor dem Hören sofort auffällt, ist, dass er weder «Bluamamaitli» noch das Duett mit Nyna namens «Für immer» auf’s Album genommen hat, was doch ein wenig schade ist, da es sich dabei um tolle Songs mit einer gewissen Leichtigkeit handelt. Aber er wird dafür sicher Gründe geben.
«Intro»
Ein kurzes Gewitter, eine verträumte Melodie und schon hat er die Hörerschaft fest in der Hand. Mir gefällt sofort der Klang des Rides, der zeigt, dass hier ein Handwerker seine Musik vorstellt.
Und prompt hat er mich mit dem Intro auf eine falsche Fährte gelockt, denn beim ersten richtigen Song hat er einen Effekt auf der Stimme, der zwar modern und innovativ klingt, aber zeitgleich auch etwas Industrielles und Kaltes hat. Ich will nicht den Puristen raushängen lassen, aber solche technischen Hilfsmittel hätte Sandro definitiv nicht nötig, da er eigentlich ganz gut singen kann. Das rockige Stück ist sonst aber ein recht stimmiges und spannendes, welches in dieser Art und Weise doch eher selten in Graubünden produziert wird.
«Gföhrlich»
Besser? Ja, definitiv besser. Die groovige Rock-Pop-Ode an eine gefährliche Frau voller verspielter Erotik und gemeinsamen Spass ist witzig und authentisch. Die rockige Nummer könnte mit solider Liveband im Rücken eine ganz geile Geschichte an seinen Konzerten werden.
Der Titelsong kommt mit Klavier und einem spannenden «Afrika»-Rhythmus, der einem sofort ein Lächeln auf die Lippen zaubert. Das Loblied auf die schönen Seiten des Lebens kann vor allem durch das häufige Repetieren des Ausdrucks rasch mitgesungen werden. Das Lied, welches einen recht bekannten Namensvetter aus den König der Löwen-Filmen hat, setzt sich vor allem durch Zeilen aus dem Leben vom Disney-Kitsch ab und schafft es dem Alltagstrott der Zuhörer eine gewisse Leichtigkeit und Sorglosigkeit einzuhauchen. Gelungene Happy-Hymne!
Der nächste Song erinnert ein wenig an «Shape of you» und hat doch dank dem spannenden Text und dem spannenden Aufbau einen ganz eigenen Touch. Ist es für einen Sommerhit echt schon zu spät? Der hier würde sich noch gut dazu eignen.
«I Träuma»
Nach dem beschwingten Vorgänger kommt eine etwas ruhigere Nummer, die verträumt vor sich her tropft und sich philosophisch mit der Endlichkeit des Lebens beschäftigt. Ich überlege mir gerade, was das für ein Perkussionsinstrument im Hintergrund ist, aber freue mich sehr über den emotionalen Zwischenteil vor dem Refrain, der einem ins Land der Träume entführt und gleichzeitig unter die Haut fährt.
Nach dem Träumen kommt das böse Erwachen im grauen Alltag. Der nie endende Kreis des Lebens, bestimmt durch das Ticken der Uhren ist melancholisch angehaucht, da auf dem Terminplan neben viel Arbeit und dem Geld-Nachjagen wenig übrigbleibt. Die solide Popnummer passt sich perfekt ein ins Klanggebilde und tanzt textlich federleicht dem roten Faden entlang.
«Nacht Am See»
Opala, Hitalarm! Der Partysoundtrack für die nie enden wollende Sommerpartys am See bleibt sofort in den Gehörgängen haften. Wenn Dietrich zu diesem Ohrwurm kein Video produziert, kann ich ihm auch nicht mehr weiterhelfen. Hier pappen Sommersouvenirs auf, die so mancher Hörer vielleicht sogar selbst schon erlebt hat. Die feine Melodie, die Chronik eines Festes und der unwiderstehlich tanzbare Song machen diese Nummer zu einer echten Perle.
«Alles Was I Will» feat. Hedgehog
Die Marimbaklänge, wie sie hier verwendet werden, sind allerspätestens seit Capital Bra ziemlich angesagt und klingen doch bei Dietrich frischer und weniger repetitiv als beim deutschen Chartstürmer. Das Meeting der beiden Bündner Popstars ist eine ziemlich spannende Angelegenheit und ist mindestens zehn Mal gelungener als ihr lauwarmer Fussballsong. Die beiden Sandros haben sich in den vergangenen Jahren eben auch ziemlich entwickelt, was man sofort hört. Eine der besten Bündner Kollaborationen des Jahres und nebenbei, der einzige Song auf dem Album für den Dietrich selbst beim Text Hand angelegt hat.
«Oder Umgekehrt»
Oh cool, was ist das eine Flöte im Hintergrund? Das Werk, welches mit ziemlich viel Drive nach vorne daherkommt, ist eine dynamische Popgeschichte mit sehr viel Hitpotenzial. Die Samples im Hintergrund sind grandios und auch sonst lädt der Song ein, Feinheiten bei der Produktion zu entdecken und beim Text mit Tiefgang genauer hinzuhören. Ein grosser Song!
Interessant, wie GM und Sandro hier ein Sehnsuchtsthema so witzig und modern in ein Lied verpacken. Ja, wenn man auf die Post von der richtigen Person wartet, kann dies eine endlose und eintönige Geschichte werden. Ganz anders verhält es sich mit diesem Lied, welches irgendwie ganz kurzweilig durch die Boxen dringt.
«Über Alli Berga»
Mit viel Popappeal verabschiedet sich Sandro von seinen Fans und macht sich über alle Berge davon. Das Loblied an das gmeinsame Abhauen ist irgendwie süss aufgebaut und beschreibt, wie einem in den wichtigen Momenten oft leider die richtigen Worte fehlen. Da hat sein Schatz sicher sehr Freude dran.
Schlussfazit:
Spannend, wie reif und gut durchdacht das Debütalbum «Hakuna Matata» daherkommt. Auch wenn ich mir textlich zum Teil ein wenig mehr persönliche Anekdoten von Sandro gewünscht hätte, sind die Texte von Gimma ziemlich genau auf den Punkt geschrieben und deren Interpretation von Dietrich lassen einem glauben, dass er sie so fühlt, als hätte er sie selbst genau so erlebt. Das Duo erinnert phasenweise an Elton John und Bernie Taupin, welche sich ebenfalls fantastisch ergänzen. Man merkt, dass Dietrich nun endlich angekommen und glücklich mit seiner Musik ist. Diese ansteckende Freude ist hörbar und verlängert den Sommer nochmals um ein paar zusätzliche Stunden. Auch wenn sich beim Lied «Regaschirm» wahrscheinlich die Geister scheiden werden, Songs wie «Oder Umgekehrt», «Nacht Am See», «Alles Was I Will» oder auch der Titeltrack sind Hits, die für jede und jeden was bieten und keinen Zweifel daran lassen, dass das Duo etwas von ihrem Handwerk versteht. Weiter so. Wir hoffen alle, dass es bis zum nächsten Album nicht wieder über zehn Jahre dauert…