«Warum John Lennon starb»
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«Warum John Lennon starb»

1. Frozen Jap

Als man Paul McCartney die Handschellen um die Arme schloss, begriff er gar nichts mehr.

Warum hatten sie ihn nicht hinten rum aus dem Gebäude geführt? Plötzlich dämmerte es ihm, als die Blitzlichter aufflammten.

Er fluchte innerlich, aber versuchte zu lächeln. Das war bei ihm ein Reflex, antrainiert in vielen Jahren Showbiz.

Niemand hatte damit gerechnet, dass sie sein Gepäck kontrollierten. Warum auch? Es wurde nirgends kontrolliert als Ex-Beatle genoss er sozusagen diplomatische Immunität.

Er hatte bisher überall sein Dope mitgenommen, weil er manchmal Lust verspürte, einen zu laden und keinen Stress wegen der Beschaffung anzetteln wollte: Nicht einmal in den USA hatte sie ihm Schwierigkeiten gemacht, in Marokko nicht, und sogar in der Türkei hatten sie ihn unbehelligt gelassen. Okay, damals in Schweden, und das Gewächshaus in Schottland, aber seither war er auch vorsichtiger geworden.

Und jetzt das!

Der Japan-Tournee mit seiner Band «Wings» gingen lange Vorbereitungen voraus. Und diplomatische Gespräche, schliesslich war seine Einreisebewilligung mehrfach abgelehnt worden.

An diesem kalten Wintermorgen war Paul McCartney auf die Gangway gestiegen und hatte tief eingeatmet. Schon so lange hatte er sich auf diesen Tag gefreut, wie ein kleines Kind die Tage bis zum Beginn dieser Tour gezählt. Die Japaner galten als besonders enthusiastische Fans.

Nach dem Flug hatten sie alle ihr Gepäck in Empfang genommen, und alles rechnete mit einer schnellen Passkontrolle, wie man sich das eben gewöhnt war. Paul McCartney überlegte sich bereits, was er an der Pressekonferenz zu erzählen gedachte.

Als der schwergewichtige Oberzöllner mit dem steifen Hut den anwesenden Dienstzöllner beiseiteschob und sich gleich sein Gepäck schnappte, ahnte Paul, dass vielleicht nicht alles ganz so glatt gehen würde.

Und – tatsächlich, zuoberst im Koffer lag ein brauner Papiersack, den der Oberzöllner gleich an sich nahm, kurz hineinblickte. Dann befahlt er Paul McCartney, im nach hinten zu folgen, wo zahlreiche grimmig dreinblickende, bewaffnete Polizisten Spalier standen.

Er blickte sich nach Linda um und zuckte die Schultern und lächelte: «Es ist sicher ein Irrtum.» Linda wusste, dass es kein Irrtum war.

Warum hab ich's nicht in mein Jackett genommen?

Warum hab ich’s nicht zu der Zahnbürste gelegt?

Warum hab ich’s nicht im Basskoffer versteckt?

Die Fragen, die er sich stellte, kamen immer schneller, immer dringlicher.

Warum musste ich das Zeug auf die Tour mitnehmen?

Warum hab ich’s nicht zu Hause gelassen?

Warum muss ich mit 37 Jahren immer noch kiffen wie ein Teenager?

Warum bin ich hochgegangen?


2. Die Geschichte der Beatles (bis 1980)

ist schnell erzählt. Zu Beginn der 40er Jahre geboren, lernten sich drei Liverpooler Boys namens  George, John und Paul Mitte der 50er Jahre kennen. Ursprünglich spielten sie Skiffle, dann Rock’n’Roll, schliesslich stiessen Bassist Stu und Schlagzeuger Pete dazu. Die Band hatte ein paar Auftritte in Hamburg und wurde dann von Manager Brian entdeckt, der ihnen einen Plattenvertrag verschaffte. Mittlerweile war der Bassist ausgestiegen und nachher gestorben (das hatte er nun davon), und der Schlagzeuger rausgeschmissen worden; letzteren ersetzte Richard, der Ringo genannt wurde. Paul wechselte zum Bass, George und John spielten Gitarre. John und Paul, und später auch George, komponierten massenweise Popsongs, von denen viele grosse Hits wurden. Ringo komponierte nicht sehr viel, so schrieben ihm die Jungs immer wieder mal ein paar Songs auf den Leib. Eine grosse Hysterie, die Beatlemania, erfasste die Welt in den 60er Jahren und die Gruppe wurde immer bekannter. Die Queen verlieh ihnen einen Orden. Nach ein paar Jahren hatte die Band genug von den Live-Auftritten und beschloss, nur noch im Studio zu spielen und ihr eigenes Plattenlabel zu gründen. Ihr Manager starb, während die Firma begann, auf Hochtouren Geld zu verlieren. Im Studio entfremdeten sich die Beatles voneinander, Drogen und Frauen trugen das ihre zu der Sache bei. 1969 spielten sie ein letztes Mal live, auf dem Dach ihres Studios, danach nahmen sie noch ein letztes Meisterwerk-Album auf, und John verkündete den anderen, dass er die Gruppe verlassen würde und ausserdem gab er den Orden zurück. Paul verliess dann auch die Gruppe, allerdings mit einer grossen Pressekonferenz und der Präsentation seines ersten Solo-Albums: «Ich habe nicht die Beatles verlassen. Die Beatles haben die Beatles verlassen, aber das will keiner wissen.»

In den 70er Jahren hatten vor allem die Anwälte der Beatles zu tun, um die Finanzknäuel zu entwirren, und erst 1976 waren sie offiziell und amtlich getrennt. George veröffentlichte Soloalben, fuhr Autorennen und gründete eine Filmfirma. Ringo veröffentlichte Soloalben, spielte den Partylöwen und ab und zu in Filmen. Paul veröffentlichte Soloalben, gründete eine neue Band, die Wings, fing nochmals ganz unten an. Mitte der 70er Jahre kam die Sache mächtig ins Rollen und er veröffentlichte einen Dokumentarfilm über sich selber (Wing Over America). John veröffentlichte Soloalben, stritt sich mit Yoko, dem CIA und Türstehern, erhielt endlich die Green Card und einen Sohn. Nach einer Komödie in den 60ern und avantgardistischen Filmen in den 70ern beschränkte sich seine Filmerei auf Privataufnahmen seines Sohnes Sean.  


3. Watching the wheels

Es gab genau vier Tätigkeiten, mit denen John Lennon momentan sein Leben verbrachte.

Das erste war Sean. Er fütterte ihn, spielte mit ihm, ging mit ihm spazieren und brachte ihn zu Bett, wo er kleine Geschichten und Lieder vortrug, bis Sean eingeschlafen war.

Die anderen drei Dinge waren Kiffen, Fernsehen schauen und auf der Gitarre rumklimpern. War er damit beschäftigt, kümmerten sich die Kindermädchen um Sean. Seit seiner letzten LP waren schon über 4 Jahre vergangen, doch er verspürte nicht die geringste Lust, ins Showbusiness zurück zu kehren.

«Während diese Tölpel von Stadion zu Stadion und von Studio zu Studio hetzen, hab’ ich's hier um einiges gemütlicher», sagte er sich, zündete einen neuen Joint an und griff nach der Fernbedienung. Er zappte durch alle Sender, doch nichts kam, was ihn interessierte. Er verweilte bei einer Soap-Opera und lümmelte sich in die Kissen.

Yoko sah er selten. Meistens war sie im Büro beschäftigt, wo sie, wie sie sagte «den Laden auf Vordermann brachte.» Lennon interessierte sich nicht für die Höhe seines Bankkontos, alles was er wissen wollte, war, dass genügend da war, damit er nicht wieder aufzutreten brauchte.

Auf dem Bildschirm war jetzt Chuck Berry zu sehen, wie er auf eine Gitarre eindrosch. John griff nach seiner Gitarre und stellte den Fernseher leise. Als er ein paar Akkorde gespielt hatte, klingelte das Telefon. Lennon fluchte und warf die Gitarre aufs Bett. Dann nahm er den Hörer ab.

«Hallo?»

«John? Paul ist hier. Wie geht’s?»

«Welcher Paul?» fragte John ärgerlich.

Die Stimme am anderen Ende räusperte sich. «Paul McCartney.»

«Ach so.» Lennon gackerte: «Weisst du, unserer Elektriker heisst auch Paul.»

«Ach so», echote McCartney, «hör mal, ich bin grad in der Stadt und wollte…»

«In welcher Stadt?» unterbrach ihn John.

«New York natürlich», nahm Paul McCartney den Faden wieder auf, wie er das mit allem machte, wenn er aus dem Konzept gebracht wurde. «Rat mal, was zuoberst in meinem Koffer liegt?»

«Keine Ahnung.» Wohl ein neuer Song. Lennon zuckte mit den Schultern.

«Ich hab ein Killer-Gras dabei und wollte rasch rüberkommen, um dich zu sehen, bevor ich nach Japan fliege.»

«Was machste denn in Japan?» fragte John, während er die Fernbedienung wieder zur Hand nahm und durch die Sender zappte.

«Eine Tournee, endlich.»

«Ach.» Lennon erinnerte sich an seine Abneigung gegenüber öffentlichen Auftritten, wie er sie seit ein paar Jahren hatte.

«Ich wär dann etwa um acht bei dir», sagte Paul.

Lennon kratzte sich an der Schläfe: «Uh, weisst du, heute passt es mir aber gar nicht. Ich muss Sean noch ins Bett bringen und… (ausserdem habe ich selber genug Killer-Gras, dachte er). Willst du nicht morgen kommen?»

«Nein, wir müssen um 9 auf dem Flughafen sein. One After 909, weisst du.»

«Aha, «sagte John, «tja also, wie soll ich sagen, momentan ist es…»

„Du wirst doch einen alten Kumpel nicht abweisen, oder? Ich freue mich, dich zu sehen, wir können ein bisschen über alte Zeiten quatschen, das Dope rauchen und…»

«Nein, wirklich nicht“, sagte Lennon, doch Paul unterbrach ihn: «Sei doch ein bisschen spontan, ich freue mich wirklich. Ich bin um acht bei dir. Bis dann!»

Es klickte und die Leitung war tot.

Lennon stellte den Fernseher ab und starrte vor sich hin.

Einen alten Kumpel nicht abweisen!

One After 909!

Würde der Bursche denn nie erwachsen? Okay, sie hatten sich zwar wieder versöhnt, aber ein Kumpel war Paul McCartney definitiv keiner mehr.

Lennon griff nach dem Telefonhörer und rief Yoko an. Er erzählte ihr von dem Gespräch und wies sie an, niemanden – niemanden! – zu ihm zu lassen. «Speziell keine alten Kumpel.» Dann legte er den Hörer wieder zurück und griff nach einem neuen Joint.


4. Get back

«Wie war's?» Linda lächelte verschmitzt.

Paul lächelte nicht.

Es war keine Stunde her, seit er das Hotelzimmer verlassen hatte. Statt eines gemütlichen Herumhängens mit seinem alten Weggefährten und ein paar saftigen Tüten, guten Gesprächen und vielleicht einem neuen Song, stand ein weiterer Hotelzimmer-Abend vor ihm. Er setzte sich an den Schreibtisch und zog einen braunen Papiersack aus seinem Jackett. Daraus bröselte er sich etwas Gras ab und drehte sich einen Joint.

Als die ersten Wolken durch den Raum zogen, erzählte er: «John hat mich nicht mal empfangen. Seine Alte fing mich im Foyer ab. Sie sagte, es sei unmöglich, ihn zu sehen, da er sich gerade in einer pränatalen Abnabelungsphase befinde und so weiter. Dann wurde sie primitiv und nannte mich einen geldgierigen Bastard - ausgerechnet sie! - und dann konnte ich mich auch nicht mehr zurückhalten.»

Linda, die erschrocken mit Wäsche zusammenlegen inne gehalten hatte, setzte wieder ihr Lächeln auf: «Was hast du ihr gesagt?» Jetzt musste McCartney ebenfalls grinsen: «Japanische Schlange war noch das Netteste.» Tatsächlich hatte Paul Yoko beleidigt, wie sie in ihrem ganzen Leben noch nie beleidigt worden war, mit ein paar Brocken Japanisch, die er mal gelernt hatte - speziell für diesen Zweck.

Die Spuckszene erwähnte er mit keinem Wort, auch ihre Verwünschungen und Verfluchungen nicht und all das unflätige Zeug, das er in den dunklen Kaschemmen auf der Reeperbahn gelernt und ihr in dem vornehmen Empfangsraum von «Lenono Music» ins Gesicht gerufen hatte. Sie werde die Polizei anrufen, hatte den Hörer schon in der Hand, als Paul aus seiner Raserei erwacht war, die Hände zusammengelegt sich kurz Richtung Yoko verbeugte hatte und das Dakota-Gebäude verliess.

«Und jetzt?» fragte Linda.

«Jetzt gehen wir nach Japan, Liebes.»

Und er erwähnte diesen Vorfall nur noch einmal.


5. How?

«Wie war's?» Lennon lächelte verschmitzt.

Sean brabbelte irgendetwas und hämmerte dann mit dem Löffelchen auf den Teller. «Aha», meinte John und fiel mit der Stimme in ein hohes Falsett, «du willst also noch mehr, hihihi…» und er löffelte den Rest des Breis in das Tellerchen seines 4 Jahre alten Sohnes.

Wo Yoko so lange blieb? John hatte eine Idee, nein, er hatte viele Ideen. Der Anruf von Paul hatte in ihm eine Trotzreaktion ausgelöst.

«Oh, hallo Schatz, da bist du ja.»

Yoko nahm Sean auf den Arm, der sofort zu schreien begann, weil man ihn von seinem Brei entfernt hatte. Schnell drückte sie Sean John an die Brust, der den Kleinen wieder auf den Stuhl setzte und ihm das Löffelchen in die Hand drückte.

«Willst du noch was essen? Ich lasse…»

«Nein, « sagte Yoko bestimmt, «ich habe im Büro gegessen. Ich muss noch ein paar Anrufe machen. Dann gehe ich ins Bett. Schlaf gut.»

Sie rauschte aus der Küche. Dann blieb sie stehen und drehte sich um: «Übrigens, dein alter Kumpel aus Liverpool war tatsächlich da, aber ich habe ihn wieder weggeschickt.»

«Gut», sagte John abwesend und betrachtete Sean.

Yoko betrachtete die beiden und lächelte. Dann drehte sie sich um und ging weiter. Sie erwähnte die hässliche Szene mit keinem Wort.


6. I'm moving on

Die Hand wählte eine lange Nummer. Mehr als zehn Stellen. Es war keine, die man im Telefonbuch fand. Nur ausgewählte Personen wussten von ihr.

Als der Summton erklang, hob sofort jemand ab und meldete sich. Die Frau, die angerufen hatte, verlangte, den höchsten Vorgesetzten zu sprechen. Diesen informierte sie, dass morgen ein bekannter westlicher Popstar eintreffen würde, und dass dieser möglicherweise illegale Substanzen bei sich führen würde. Es wäre wichtig für das Wohl des Gastlandes, wenn diese Substanzen unter keinen Umständen eingeführt würden.

Die Frau kannte sich in diplomatischen Kreisen aus. Schliesslich war sie in einer solchen Umgebung aufgewachsen. Und obwohl sie ihr Heimatland schon lange verlassen hatte, war der Kontakt zu diesen Kreisen nie abgebrochen.

Es war immer gut, wenn man die richtigen Leute kannte, fand die Yoko Ono.


7. Anyone can fly

«Dieser verdammte Bastard! Dieses Arschloch! Ich glaub's einfach nicht. Dieser Idiot hat alles vermasselt!»

Denny Laine stampfte in seinem Hotelzimmer auf und ab, während er vor sich hin fluchte. Er hatte sich seit Jahren schon so auf diese Tour gefreut. Die Japaner waren ein fantastisches Publikum. Dazu hatte er vorgehabt, während der freien Zeit japanische Kultur in sich aufzusaugen, Spaziergänge zu machen, Gebäude anzuschauen und Museen, denn schliesslich war Musik nicht seine einzige Leidenschaft.

Angefangen hatte Laine mit der Musik in den Sechzigern, war Mitglied der «Moody Blues» gewesen, hatte mit «Go now» sogar einen kleinen Hit landen können, doch als die Sache immer pompöser wurde, sprang er ab.

Obschon Denny Laine die Beatles mochte, kam es ihm gerade recht, dass sich die Band aufgelöst hatte, weil ihn Paul 1970 angefragt hatte, ob er in seiner neuen Band mitspielen wolle. «Nichts grosses» hatte es geheissen, «eine kleine, rockige 4-Mann-Band. Back to the roots, weisst du. Und keine Beatles-Songs. Wir schreiben zusammen neue Songs, Mann.»

Statt Lennon/McCartney Laine/McCartney! Denny war begeistert.

Als Rocker von der Strasse schätzte er das Leben on the road. Obwohl seine Alarmglocken beharrlich schrillten, stieg er in die Sache ein. Die Wings fingen an zu proben, und Laine merkte bald, dass er zwar bei den Arrangements mitreden durfte, bei der Songauswahl hingegen nicht.

Und Paul hatte so viele Songs. So verringerten sich die sechs Denny-Laine-Songs erst auf vier, dann auf zwei, und schliesslich wurden sie mit keinem Wort mehr erwähnt.

Obwohl Denny insgeheim manchmal Linda mit Yoko verglich, hatte er doch grossen Respekt vor ihr, weil sie ackerte wie eine Wilde. Die ganzen Kids, den Haushalt, dazu Pauls unerschütterliche Lektionen im Keyboardspiel, das ewige Tributzollen an den wunderbaren Gatten, nebenbei noch Fotografieren und Reiten - Denny wusste nicht, wie sie das alles schaffte.

Schliesslich hatten es die Wings aller Häme zum Trotz doch noch geschafft, international erfolgreich zu werden, und es war auch nicht mehr so schlimm, denn inzwischen hatte es Denny wirklich dazu gereicht, als Co-Autor in den Credits erwähnt zu werden, was ihn vorerst zufriedenstellte. Solang er genug Kohle hatte, um damit durchzukommen und Musik machen konnte, war er mehr als zufrieden.

Er erinnerte sich gerne an die Sessions für «Band on the run» in Afrika, dort war wirklich sowas wie ein Bandfeeling aufgekommen, ebenso bei den «London Town»-Sessions auf den Schiffen, doch mit «Back to the egg» hatte McCartney Denny Laine bewiesen, dass er nur eine kleine Figur auf dem grossen Schachbrett des Ex-Beatles war.

Der Bruch kam für ihn eigentlich, als McCartney bei «Mull of Kintyre» scheinbar vergessen hatte, von wem der Song wirklich war. Laine, stinksauer, drohte, an die Öffentlichkeit zu gehen, bis ihn McCartney mit einer extragrossen Weihnachtsgratifikation zufriedenstellen konnte.

Es klopfte an die Tür.

«Herein».

Linda trat ins Zimmer. «Hi.»

«Hi.» Laine machte keine Anstalten, seinen Ärger zu verbergen.

«Sie haben ihn dabehalten. Er muss mindestens neun Tage im Gefängnis bleiben, hat man mir gesagt, » sagte sie.

«Neun Tage?» Laine pfiff durch die Zähne. «Jede Menge Zeit, ein paar neue Songs zu schreiben. Was machen wir?»

Linda sagte trotzig: «Die Tournee habe ich abgesagt. Wir warten hier, bis er wieder freikommt.»

«Neun Tage?» Laine flippte aus: «Das ist mir zu lang. Ich reise sofort ab. Hab keine Lust, die Zeit hier zu verplempern.»

«Du kannst ja trotzdem noch was anschauen?»

«Was anschauen? Um an jedem Ort, wo man hingeht, böse Blicke zu ernten und hören zu müssen, schau, das ist ein Typ aus der Band, dessen Boss sie mit Drogen hopsgenommen haben.»

«Das ist nicht fair…» warf Linda ein, und jetzt stieg Denny Laine vollends an die Decke. «Nicht fair? Hey, dein Göttergatte hat uns allen einen Riesenschaden eingebrockt. Finanziell sowieso, und vom Image nicht zu reden. Da könnte ich ja gleich bei den Grateful Dead einsteigen! Nein, ich reise ab.»

Er liess Linda stehen und langte nach dem Telefonhörer, um den Tourmanager anzurufen. Ed? Besorg mir bitte ein Flugticket nach London, so schnell wie möglich. Wie? Nein. Ich warte. Bye.»

Als Laine sich wieder umdrehte, sah er gerade noch, wie sich die Tür schloss. Er drehte sich um und zerrte seinen Koffer unter dem Bett hervor.

Zehn Stunden später wachte er auf. Das Flugzeug dröhnte. Er schaute zum Fenster hinaus und dachte, dass es verrückt sei, dass so ein grosser Vogel fliegen könne. Aber die kleinen können es besser, dachte er, und das war es genau. Er war nur ein kleiner Vogel, hatte kleine Flügel, aber er konnte selber fliegen. Jeder kann fliegen. Das wäre doch ein guter Titel für einen Song!

Denny Laine wusste jetzt, was er zu tun hatte. Zuhause würde er gleich seine Kündigung als Paul Flügelmann einreichen, damit ihn der Boss auch schön auf seinem massiven Nicht-Tropenholz-Schreibtisch hatte, wenn er aus den Ferien zurückkam. Falls er zurückkam.

Und dann würde er seine eigene Platte machen. Ohne Buddy-Holly-Schmus und ohne Pauls Einmischung. Alles was Paul konnte, konnte er auch. Dachte Denny…


8. Waterfalls

Paul McCartney stand zuoberst auf einem Hügel und atmete tief durch. Er hauchte eine Atemwolke in den Abendhimmel, dann drehte sich um die eigene Achse und blickte in den Sonnenuntergang. Schottland war schön. Es war der beste Platz, den er kannte. So viele Songs waren ihm hier in den Sinn gekommen. So viele Male hatten er und Linda sich hier geliebt. Unter sich sah er in der Ferne Rauch aus dem kleinen Häuschen aufsteigen, das mit dem angrenzenden Stall, das er bewohnte.

Das war etwas anderes als die verdammte Zelle auf japanischem Boden, dachte er, und war gleich wieder auf Hundertachtzig. Die Zeit im Gefängnis war absolut erniedrigend für ihn gewesen, obwohl sie ihn gut behandelt hatten. Mit den anderen Insassen im Bau «Hey Jude» zu singen, empfang er nicht als Höhepunkt seiner Karriere. Die Weltpresse war hämisch über ihn hergefallen und Japan konnte er sich wohl für immer abschreiben.

Paul McCartney war wütend auf die japanischen Behörden, welche ihn so abschätzig behandelt hatten, völlig kühl und distanziert verurteilten, und auf die Jungs von der Band, die ohne ihn zurück gereist waren. Besonders auf Denny Laine, der den Ausstieg aus der Band inzwischen schon öffentlich bekannt gegeben und zudem eine Spott-Single auf dem Markt geschmissen hatte (Japanese Tears). Und ein ganz kleines bisschen auf sich selber, weil er so blöd gewesen war, das Gras mitzunehmen.

In Schottland konnte er paffen, soviel er wollte, da krähte kein Hahn mehr danach. Er hatte es auch gut versteckt.

Da kamen ihm die Fragen, die er sich nach der Verhaftung gestellt hatte, wieder in den Sinn. Mal angenommen, er, Paul, wäre nicht alleine schuld an der Verhaftung gewesen. Vielleicht war jemand daran interessiert, ihm Knüppel zwischen die Beine zu werfen.

Mal angenommen, er hätte das Dope nicht dabeigehabt. Wäre er dann auch hochgenommen worden? Der Oberzöllner hatte als erstes seinen Koffer und den Papiersack an sich gerissen. Er musste vom Dope gewusst haben. Entweder hatten sie das beim Abflug in der Durchleuchtung gesehen und den japanischen Behörden einen Tipp gegeben. Das konnte sich Paul allerdings nicht vorstellen, denn irgendwie war er in England so was wie eine heilige Kuh, mit der man sich nicht ernsthaft anlegt.

Wer wusste sonst noch vom Dope?

Laine? aber seine Rolle als braves Schäfchen hatte er bis jetzt zu gut gespielt. Nein, zu sowas war er nicht fähig.

Die Neuen? Die wussten nichts vom Gras.

Wem hatte er sonst noch davon erzählt?

Jetzt fiel Paul der misslungene Versuch ein, John zu besuchen und plötzlich fügten sich die Puzzlestücke zusammen. Er konnte sich plötzlich sehr gut vorstellen, wer den japanischen Behörden den Tipp gegeben hatte.    


9. Starting over

Zu dieser Zeit gab John Lennon Vollgas. Seit dem nicht erfolgten Besuch seines alten Kumpels im letzten Winter war in ihm die alte Leidenschaft wieder erwacht.

Und die alte Hassliebe.

Und der Konkurrenzkampf.

Was auch immer: Schon im Frühling hatte er angefangen, seine Songideen nicht gleich wieder zu vergessen, sondern aufzunehmen: Skurrile, kleine Pop-Perlen, die für ihn einfach Fingerübungen waren. Fingerübungen für die wahren Songs, die er im Sommer zu schreiben hoffte. Dann erzählte er Yoko von der Idee und spielte ihr einen Song vor, war völlig erstaunt, als sie gleich mit einem Song antwortete, doch damit war das Konzept für «Double Fantasy» geboren.

Wie immer, wenn er mit einem Projekt schwanger ging, machte Lennon keine Kompromisse und schlug ein beängstigendes Tempo an. Die Musiker rissen sich um den Job, doch er wählte sympathische Leute, die um der Musik willen dabei sein wollten. Modern sollte es klingen, nach dem New York der 80er-Jahre eben. «Sie sollen nur sehen, dass wir's immer noch können - zusammen!» lächelte er, und schmolz langsam wieder in die grosse Maschinerie, mit Studios, Videos, Fotos und Autogrammen. Kaum war die LP im Kasten, ging es an die Produktion von Yokos neuer Single. Wie hatte er doch vor 10 Jahren gesagt? «Auf einmal bist du 30 und es gibt noch so viel zu tun.» Mittlerweile war er 40. Zu seinem Geburtstag liess Yoko Flugzeuge starten, die ihm einen Geburtstagswunsch in den Himmel rauchten. Beide liebten sie das Vergängliche.


10. Why don't we do it on the road

Die Hand wählte eine lange Nummer. Mehr als zehn Stellen. Es war keine, die man im Telefonbuch fand. Nur ausgewählte Personen wussten von ihr.

Als der Summton erklang, hob sofort jemand ab und meldete sich. Der Mann, die angerufen hatte, verlangte, den höchsten Vorgesetzten zu sprechen.

Dann bat er um Diskretion und schilderte sein Begehren. Der Angerufene erläuterte die Schwierigkeiten, bis man jemand gefunden hätte, bis man den mittels Drogen, Hypnose und anderen Mitteln dazu gebracht hätte, den Auftrag auszuführen. Der Anrufer erklärte, dass ein sehr hoher Betrag für diesen Auftrag zur Verfügung gestellt werden würde. Und nannte ihn.

Obwohl der Anrufer das Land seiner ersten Tourneen, das schmutzige Viertel in Hamburg, mit all seinen Huren und Schlägertypen und Zuhältern, selten mehr besuchte, war der Kontakt zu diesen Kreisen nie abgebrochen.

Es war immer gut, wenn man die richtigen Leute kannte, fand Paul McCartney.

In der nächsten gingen öfters Anrufe zwischen den beiden Apparaten hin und her, damit die Einzelheiten besprochen werden konnten. «Die Tageszeit? Spielt keine Rolle. Es muss noch in diesem Jahr geschehen, das ist die Hauptsache. Eine Autobombe? Nein, ich will, dass es auf der Strasse gemacht wird.» «Geht in Ordnung, Sir.»  


11. Run for your life

Am Abend des 8. Dezember verliessen John und Yoko das Dakota House, um im Studio an der Nummer «Walking on thin Ice» für Yoko zu arbeiten. Als sie zurückkamen, lümmelten einige Fans vor der Haustüre rum, darunter der dickliche Nerd, dem Lennon bereits am Nachmittag ein Autogramm gegeben hatte. Dieser zog jetzt eine Pistole aus dem Jackett und streckte John Lennon mit ein paar Schüssen nieder.

Ironischerweise war es Lennon gewesen, der nur Wochen zuvor eine grössere Spende an die New Yorker Polizei zum Erwerb von kugelsicheren Westen überwiesen hatte. Der Mörder erklärte, der Teufel habe ihm befohlen, dies zu tun, und sitzt, nach mehreren abgelehnten Haftentlassungsgesuchen, immer noch.

Die Generation vor uns weiss, wo sie gerade war, als der Tod von John F. Kennedy verkündet wurde; die Generation nach uns hat dieses Erlebnis mit dem 11. September 2001. Aber für uns, für uns war es der 8. Dezember 1980, als die Zeit angehalten wurde. Meine Mutter weckte mich, blickte mich triumphierend an und sagte: «In den Nachrichten haben sie gesagt, sie haben einen der Beatles ermordet.» Sie wusste um meine grenzenlose Bewunderung um die Band, die mich durch meine gesamte Schulzeit vorherrschend begleitet hatte und jetzt, da ich 17 war, nicht minder anhielt.

Mittlerweile bin ich 46 und höre nicht mehr oft Beatles. Die einzige Band, die ich damals schon viel hörte und jetzt immer noch, sind die Beach Boys. Die Beatles sind mir ein wenig verleidet: Ich kenne all ihre Songs in- und auswendig, die grossen Geheimnisse, die sich um die Band noch rankten, als ich 17 war, sind mehr oder weniger gelüftet.

Die CDs haben die Platten abgelöst, die bei mir seinerzeit die Kassetten ablösten; obwohl ich mittlerweile nicht mehr überzeugt bin, dass man sich den neuen Medien anpassen sollte, zumal eben meine mp3-Sammlung auf der Festplatte hops gegangen ist, und die Festplatte mit dem Backup auch, und so hätte ich gerne «Beatles '65» zurück, die ich mit 15 dauernd hörte, und vielleicht sogar «Wings Greatest» oder das weisse Album, letzteres dann allerdings schon lieber auf LP, mit den vier Porträts und dem Riesenposter mit den Fotoschnipseln und den Texten hintendrauf. Warum immer das neueste haben, Platte statt Kassette, CD statt Platte, Remix-CD statt CD, Remix-Download? Die Beatles müssen an mir ein Vermögen verdient haben, und keiner ihrer Tonträger war «Nice Price». Die haben immer die volle Ladung kassiert und tun das heute noch. Zum Teil mindestens, habe ich mir doch eben Ringos Country-Album von 1970 beschafft. Klingt ähnlich wie Weens Country-Album, spielen zum Teil auch die gleichen Leute mit, bloss sind bei Ween die Gesänge ein wenig besser.

Die ersten Beatles-Kassetten, die ich mir zutat, waren das «Rote Album» und «Let it be». Ich klaute übrigens beide aus einem Warenhaus, und hatte wochenlang ein schlechtes Gewissen, wenn ich Beatles hörte.


12. Getting better

«Und? Bist du jetzt zufrieden? Geht’s dir besser?»

«Die Welt wird es nie erfahren.»

«Nein, wird sie nicht.»

Richard Starkey blickte dem Bassisten seiner früheren Band in die greisen Augen. «Von mir jedenfalls nicht. Aber du musst damit leben.»

Richard, oder Ringo, wie er genannt wurde, schickte sich an, seinen Besuch im Londoner Stadthaus von Paul, in St. Johns Wood, zu beenden. In dem zweistündigen Gespräch hatte ihm sein alter Bandkumpel, lange Jahre danach, die Wahrheit über etwas zu Gehör gebracht, was er insgeheim schon lange vermutet hatte.

«Aber für den Tod von George kann ich wirklich nichts.» Es sollte ein Witz sein, sie alle hatten schon immer schwarzen Humor geliebt.

Ringo blickte ernst und stützte sich auf seinen Stock.

«Nicht lustig. Manche Dinge ändern sich nie. Tss... du bist immer noch so wie früher. Es war deine Entscheidung und wir können sie nur akzeptieren. Ich wünsche dir ein schönes Leben, Paul!»


















Mehr zum Autor

Coni Allemann, (*1963) aus Klosters, bekannt als Bartli Valär, ist nicht nur der Erfinder des Begriffs «Züzi», er hat es bis anhin mit 2 Filmen, 4 Büchern, 9 CDs, 12 Bühnenprogrammen und unzähligen Auftritten geschafft, Poesie und Musik, Humor und Ernsthaftigkeit, Mimikry und Originalität zu verbinden - und dies in Mundart, auf Deutsch, Englisch, Französisch, Romanisch und Italienisch, gemäss seinem Credo: «Ich bin nicht der beste, in dem was ich tue, sondern der einzige, der macht, was ich mache.»

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