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Ta Marbuta - Gedanken zur neuen Single von MzumO

Ich muss gestehen, dass ich den Interpreten vom Namen her noch nicht kenne. MzumO könnte Afrikanisch sein, denke ich mir. Oder heisst es M zum O? Das werde ich am Schluss erfahren, wenn ich nachschaue. Auch der Titel sagt mir erst einmal gar nichts.  Ich drücke mal auf Play.


Musikalisches

Es erklingt ein Low-res Sample einer Rede auf Englisch, von der ich gerade nicht einordnen kann, von wem sie stammt. Es ist eine Motivationsrede, die besagt, man solle einfach einen tiefen Atemzug nehmen und springen. Tue ich.


Unterlegt ist sie mit einem mittig und dumpf gemischten Klavier-Loop, der sehr im Hintergrund ist, als würde man durch eine Wand hören.


Die viertaktige Akkordfolge kommt in vielen bekannten Songs vor.

Da ich gerade selbst am Produzieren bin, ein Audioprogramm läuft und mein MIDI-Keyboard vor meiner Tastatur steht, spiele ich kurz mit, um herauszufinden, welche es genau sind.


In diesem Falle wechseln sich puristisch und melancholisch die Akkorde as-Moll, Emaj7, Fis as-Moll. Dadurch, dass es einen halben Ton tiefer als von a-moll beginnt, - wahrscheinlich auch transponiert -, kriegt es einen etwas molligeren Touch. Mollis (lat.) heisst ursprünglich weich, im Gegensatz zu durus, hart. As-moll klingt übrigens bei Vielen ein wenig nach Violett, warum auch immer. Klassiker oder Jazzmusiker würden von den Intervallen VI IV V sprechen, eine altbewährte Hit- Strategie.  


Der Drumbeat klingt auch wieder, natürlich absichtlich, wie unter Wasser aufgenommen. Er ist reduziert auf einen Kick auf die Eins und  Snareschläge auf zwei und vier. Kein Hi-Hat, keine Schnörkel, nur das und das Klavier. Später setzt noch der Bass ein, aber that's it. Deep.


Dazu setzt eine klar und sauber abgemischte Stimme ein, die im Züricher Dialekt rappt. Sie flowt einigermassen gut, und doch es scheint mir angesichts der  - teils nur ansatzweise vorhandenen  -Reime, (zum Beispiel hässlich soll sich auf Message reimen), eher Wert auf die Aussage selbst gelegt worden zu sein, als auf die Form. Darum wahrscheinlich auch das spartanische Playback.  


Textliches

Auweia, da hat man mir ja wieder ein heikles Thema zugemutet, und ich überlege mir eine Weile, ob ich dazu Stellung nehmen soll.

Ok, ich tue es. Ich kann nicht auf der einen Seite auf die Massenmedien schimpfen, die alle die gleiche opportune Meinung vertreten und andererseits, wenn ich schon Gelegenheit dazu habe, einfach schweigen.


Im Text geht es um europäische Flüchtlingspolitik. Dass Menschen an den EU-Aussengrenzen keine Menschenrechte hätten, sich jedoch der Westen immer als Hüter derselben aufspiele. Da hat er wohl recht. Seit vielen Jahren ärgere ich mich selbst über viele Ungerechtigkeiten. Rechte müssen für alle gelten, Pflichten natürlich auch. Jedoch ist das nirgends so.


Verkürzt und vereinfacht gesagt: Ein Armer hat auch in der Schweiz zum Beispiel vor Gericht gegen einen Reichen praktisch keine Chance, kann doch Zweiterer Verfahren einfach immer weiter ziehen, bis der Arme völlig pleite ist. Auch grosse Länder wie als Beispiel die USA scheren sich in der Regel einen feuchten Kehricht um Völkerrechte, schreiben sie jedoch allen kleinen vor.


MzumO meint zum Beispiel Flüchtlinge aus Afrika, welche in die EU fliehen wollen, denke ich zumindest. Teilweise werden sie gnadenlos niedergeknüppelt und vertrieben, ein anderer Teil, will man Arte-Dokus Glauben zu diesem Thema Glauben schenken, und das tue ich, sogar gezielt eingeschleust und versklavt.  


Er prangert den reichen, weissen Mann an, und dass der nur den Seinen helfe, anderen aber nicht. Auch ich habe mir schon Gedanken darüber gemacht, warum afghanische Flüchtlinge anders als ukrainische behandelt werden. (Anscheinend, weil es so viele wie noch nie seien, so Simonetta Somaruga.)


Der Polit-Rapper spricht davon, dass wir alle Spiegel lesen würden. Ich zähle mich nicht zu diesem «wir», denn ich lese immer möglichst Seiten, im Beispiel des Spiegels auch den Anti-Spiegel. Auch mit anderen Verallgemeinerungen bin ich nicht ganz einverstanden, aber es ist klar, dass er die Masse meint.


Wir hätten die Welt «abgefickt» und dann die Grenzen abgesperrt, wir würden für uns sein wollen. Wir werden also generell alle angeklagt. Hmmm...


Ich habe mich schon in einem anderen Text dazu geäussert zur Frage, ob ich alle Schuld von Regierungen auf mich nehmen will, wie mir von klein auf schon in der Schule gepredigt wird. Die wirklichen Schuldigen an der Macht werden kaum angeprangert. Nein, es ist nicht an allem der kleine weisse Mann schuld und auch nicht seine Vorfahren, die sein Land aufgebaut haben.  


Aber das Thema des bösen, rassistischen, rechten, weissen Mannes und seiner Weltherrschaft ist ja gerade, zusammen mit anderen, unglaublich en vogue. Woke. Ich halte vieles davon eher für ein bisschen «wolke» statt aufgewacht, um ein neues Adjektiv zu finden, und empfinde manche dieser gerade modernen Bewegungen für absolut nicht zielführend, sondern im Gegenteil eben für spaltend statt vereinend, die Diskussion darüber aber für absolut essenziell.


Anzuklagen, ohne Lösungen zu bieten, ist relativ einfach und in meinen Augen populistisch, diesmal von linker Seite, aber diese Methode ist derzeit offensichtlich sehr zeitgemäss und grassierend. Die Mehrheit hält es es offensichtlich für keine Lösung, einfach alle Grenzen zu öffnen, und nicht nur bürgerliche Kreise halten es sogar insgesamt für naiv und blauäugig.


Auch zur Frage mit der Schweizer Unterstützung für Frontex, die er erwähnt, wurde eben argumentiert, dass mit mehr ausgebildetem Personal diese massiven Missstände an den Aussengrenzen des Schengenraumes sich eben verbessern würden.


Hoffen wir es. MzumO zeigt diese Doppelmoral, dass man auf der einen Seite alle integrieren wolle und auf der anderen Seite sogenannte Push-Backs mache. Er will etwas verändern, fordert Change.

Meine Laienmeinung wäre, dass man vielleicht einmal in armen Ländern selbst eingreifen müsste. Und doch erscheint es mir, dass die internationale westliche Politik das eben gar nicht wirklich will, sondern nur oberflächlich und publikumswirksam hilft, damit man wiedergewählt wird.


Aber zum Beispiel ausbeutende Rohstoffverträge, die mit korrupten Politikern immer und immer wieder seit der Kolonialzeit geschlossen werden, einmal neu und fair zu verhandeln, habe ich noch nirgends gelesen.


Warum nicht? Alle Grossmächte und/oder ehemaligen Kolonialmächte scheinen absichtlich solche korrupten Marionetten an die Spitze besagter Länder zu hieven und die bleiben auch an der Macht, solange sie nach deren Pfeife tanzen. Sie selbst tanzen ja auch nach der Melodie der internationalen Grosskonzerne, welche mittlerweile eine Machtkonzentration wie nie in der Geschichte der Menschheit erreicht haben.


Die Bevölkerungen sind sowieso längst egal, so jedenfalls mein persönlicher, auch hier wieder zugespitzter Eindruck, auch hierzulande.


Auch der berühmte Satz von Peter Scholl-Latour klingt noch vielen in den Ohren, und ist eben nicht so einfach von der Hand zu weisen:

«Wer halb Kalkutta aufnimmt, hilft nicht etwa Kalkutta, sondern wird selbst zu Kalkutta!»


Wenn man es genau betrachten will, ist es eben nicht so einfach mit diesem Gut und Böse. Doch differenzierte Betrachtungsweisen vermisse ich persönlich vor allem in letzter Zeit sehr, doch das kann ich natürlich bei einem Rap-Text jetzt natürlich auch nicht erwarten. Und Patentlösungen habe ich selbst auch nicht zu bieten.


Ich erwarte auch nicht von einem Schlager, dass er mir die Quantentheorie erklärt. Jedoch, so mein Gefühl: Dauernd muss ich in letzter Zeit entweder schwarz oder weiss sein, es gibt nichts mehr dazwischen, - bin ich es nicht, werde ich gnadenlos ausgegrenzt, bin ich das absolute Böse in Menschenform. Häufig genau eben von jenen, die sonst alle Grenzen öffnen wollen und dauernd Toleranz predigen. Totalitäre «Toleranz».


Doch eigentlich, so denke ich mir, ist ja die Hauptaufgabe des Raps, des ursprünglich aus den schwarzen, amerikanischen Ghettos stammenden Sprechgesangs zu sich wiederholenden Samples, aufzurütteln und Missstände anzuprangern.


Und das tut dieser eindringliche Text gewiss und regt auch sicherlich zu einer Diskussion an, bessere, andere Wege zu finden. Gegen Schluss ruft er zum Vereinen auf und wird noch erfreulicherweise ein kleines bisschen selbstkritisch.


Das Thema ist wichtig und wird immer noch dringender, denn in der nächsten Zeit werden Flüchtlingswellen sicher nicht verebben, sondern zu Sturmfluten anwachsen, dazu muss man kein Hellseher sein.  Ich kenne jedoch jedenfalls niemanden, der will, dass Menschen an Grenzen misshandelt werden, dass Menschen ihretwegen sterben. Lediglich die Frage nach dem Weg, wie man damit umgeht, spaltet die Gemüter. Gut und gut gemeint ist ein grosser Unterschied, und das (längst geplante?) Chaos hilft allen, nur nicht den Menschen, egal auf welcher Seite des Zauns sie stehen.


Zum Rapper: Einem Artikel über ihn aus 2020 entnehme ich, dass MzumOs Weg ihn über Bülach, St.Gallen, New York, Genf und Lima schliesslich nach Tel Aviv geführt habe. Er hat in St. Gallen und Genf internationale Beziehungen studiert und macht seinen Doktortitel in Nahoststudien.


Na, dann sind wir ja einmal gespannt auf seine zukünftigen Lösungswege in der Realität. Und natürlich auf sein neues Album.
Ein Interview mit ihm ist hier bei Qultur.ch unter der Rubrik «Nachgefragt» zu finden, und hier erklärt er auch genau seine Motivation zu seinen sozialkritischen Texten. Und das tut er hier und andernorts differenzierter, als er es in einem Rap Text mit ein paar Zeilen tun kann.


«Ta Marbuta» ist die zweitletzte Single von MzumO's kommenden Album «Barzakh», welches am 22.07.22 erscheint. Am 19.07 findet im Enfant Terrible in Zürich eine Pre-Listening Session statt – nach der Album-Veröffentlichung eine kleine Release-Tournee.

Ta Marbuta auf Spotify: https://sptfy.com/KBdt
PS: Ach ja, dieser Wikipediaartikel klärt darüber auf, was Ta Marbuta heisst.

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