Freudentaumel
«Wie viele Medaillen hast du Mama?» fragte unsere jüngere Tochter.
«Zwei wahrscheinlich». Ich überlege, vielleicht auch noch eine dritte. Bestimmt eine Silberne. Zweiter Platz Skirennen Skilager 6. Klasse. Zu wenig für einen Medaillenkasten.
Dafür ernte ich ein mitleidiges Lächeln der Fragenden. Das
sieht bei ihr natürlich anders aus.
Meine Begeisterung für Sport ist erst im Erwachsenenalter erwacht. Bewegung in
Gesellschaft, im Team, das motiviert mich. Deshalb bin ich dieses Jahr wieder
beim dorfinternen Wettkampf dabei.
Ende des letzten Monats stand bereits die siebte Disziplin auf dem Programm. Seilziehen. Unser Team bestand aus vier Männern, zwei Frauen, einem Coach. Bereits nach den ersten Zügen war der Ehrgeiz erwacht. Gemeinsam versuchten wir unsere Taktik zu verbessern, was uns nicht schlecht gelang. Natürlich gab auch ich mir Mühe die Tipps umzusetzen. Aber vor allem sah ich meine Aufgabe darin, das Seil nicht loszulassen und nicht zu stolpern. Die Muskelkraft lieferten definitiv die Männer.
Und so steigerten wir uns und schafften, ganz zu unserer Freude, den Finaleinzug. Unser Gegner, die einzige Mannschaft die wir vorher nicht bezwingen konnten.
Wer schon einmal diese Sportart ausgeübt hat, weiss wie
kräfteraubend ein einziger Zug sein kann.
Aber es ist eben auch Mannschaftssport pur. Die Redewendung «am gleichen
Strick ziehen» hat schliesslich auch seinen Ursprung. Das «Zusammen» ist das
Wichtigste, dazu die Anweisungen des Coach befolgen. Ein Alleingang ist
aussichtslos, denn das Gegengewicht ist zu schwer.
Wir machen alles nochmals wie bisher und entscheiden den ersten
Zug für uns. Seitenwechsel. Diesmal sind wir nicht bereit genug und verlieren.
Die Spannung steigt. Dritter und letzter Zug. Sieg oder Niederlage.
Bereit - Seil auf - spannen - Pull!
Halten – atmen und auf Kommando ziehen und gleichzeitig versuchen einen Schritt
nach hinten zu machen – halten – versuchen stehen zu bleiben – ziehen. Der
Coach feuert uns an und auch vom Platzrand höre ich bekannte Stimmen die uns
zurufen. Denken kann ich nicht mehr viel, ich komme an meine Grenzen und das
Gefühl «ich kann nicht mehr» steigt in mir hoch. Sofort verdränge ich den
Gedanken, schliesse die Augen und gebe nochmals alles. Schliesslich ist die
Kraft und der Wille der Anderen förmlich zu spüren. Aber es ist zäh. Die Gegner
wollen das gleiche wie wir, gewinnen.
Plötzlich gibt der Wiederstand nach. Meine ganze Anspannung löst sich und ich
falle, wie jedes Mal, ins Gras, drehe mich um und bleibe einen Moment liegen. Leider
keine gute Idee, sofort habe ich den ganzen Mund voller Gras. Zeit wieder
aufzustehen. Zeit zu feiern.