«I am kenough» ̶ Wie man im Zuge des Barbie-Filmhypes Ken erneut (nicht) übersieht
Aber wer ist der gut trainierte, braun gebrannte Typ an ihrer Seite und wo wohnt er? Etwa am Strand oder, schlimmer, zeitweise in ihrem Cabriolet? Persönlich ist pink so gar nicht seine Farbe, aber das muss er erst erkennen.
Weltweit
spielte das quietschige Spektakel bereits über eine Milliarde Dollar ein. Mittlerweile
bricht ‹Barbie (nicht Ken) – der Film› Rekorde. Schon gleich mit Beginn der
ersten Szene im Film zerschmettert die Regisseurin Greta Gerwig das
traditionelle Puppenspiel und damit die frühe Nachahmung einer möglichen Mutterrolle
für junge Mädchen, … «It’s so much fun, ask your mother!» ist der ironische
Kommentar, den wir in der englischsprachigen Originalfassung von Helen Mirrens
Erzählstimme zu hören bekommen.
Gekonnt bricht die Regisseurin Klischees und stereotype Bilder nicht zuletzt an Kenʼs beach waves auf. Auch er muss schnell erkennen: «I canʼt even beach here!», denn die angebetete Barbie nimmt ihn kaum zur Kenntnis und lässt ihn erst recht nicht in ihrem Traumhaus übernachten. Es reicht für choreographisch gut und stets im Team einstudierte Glitzertänze zu ihrem Amüsement und dem ihrer erfolgreichen Freundinnen (Richterin und Ärztin wohnen gleich um die Ecke und tanzen können sie auch). Ken währenddessen sehnt sich nach einem Gutenachtkuss von Barbie und, aber das wagt er kaum zu hoffen, nach einem eigenen, eventuell sogar nicht an Barbie gebundenen Schlafplatz.
Nachdem Barbie das Blancieren in sehr hohen High Heels immer schlechter gelingt, gerät ihre Traumwelt aus den Fugen und damit auch Kens, denn Barbie ist seine Welt. Seine Existenz wird nur mit ihr gerechtfertigt. Ganz im Gegensatz zum «echten Leben», denn da wird Mattel von einer Männerriege regiert und nicht eine Frau befindet sich dabei in führender Position. Die stereotype, blonde Barbie wird zu der einen Barbie geschickt, die wir Frauen alle kennen und manche von uns bis heute leugnen: «Weird Barbie». Wir haben sie selbst frisiert (oft mit Muttis Nagelschere), geschminkt (unwiderruflich mit wasserfesten Filzstiften angemalt), ihr die Beine und/oder Arme gebrochen. Manches Mädchen hat gar mit Feuer an ihr experimentiert. Klugerweise hat die Regisseurin diese eine Barbie weder verleugnet noch versteckt. Sie hat bekommen, was ihr zusteht: eine Sonderrolle im Film, die der einer allwissenden Psychotherapeutin gleicht, die sich dieses Mal aber nicht mit der Innen-, sondern der Außenwelt ihrer Patientinnen (warum sollte Ken Probleme haben?) beschäftigt. Schließlich hat sie über die Grenzen des Traumlandes hinausgeschaut und überlebt in einer Form, die man nicht mehr genauer benennen kann. Wir wissen nicht, was sie vorher war. Vielleicht einmal blond? Mit dieser Figur gelingt Greta Gerwig der Clou. Barbie wird mit Fragen nach dem Tod und der eigenen Existenz in eine Sinnkrise geworfen, in der sich der Mensch seit jeher befindet. Es stellt sich nicht weniger als die Frage nach dem Menschsein (Barbie und Ken?), Frausein (Barbie) und dem, was das Sein überhaupt ausmacht (Ken).
Barbie muss also auf Anweisung der komischen Barbie (wir wissen nicht, was sie war und was sie sein wird) raus aus dem Traumland und die finden, die auf so unbarbiehafte Weise mit ihr spielt. Da Ken an Barbie gebunden ist (wo soll er sonst schlafen, Barbie-Traumland wird ausschließlich von Barbies regiert), folgt er ihr und entdeckt für sich, was es bedeutet, ein Mann zu sein. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg, denn Barbie ist schon einen Schritt weiter, als sie erkennt, dass das Frau-Sein nicht an ihrer hautfarbenen Unterwäsche und den High Heels endet.
In kaum einem Film wurden so viele Väter, Brüder, Cousins, Großväter, Ehemänner und beste Freunde geschleppt, die gemeinsam mit Ken erkennen: «I am kenough!», und Barbie ist eine von vielen möglichen Optionen für einen Ken, der nicht nur Wellen reiten kann, sondern bald auch Pferde.
Julia Kulewatz ist studierte Literaturwissenschaftlerin, unabhängige Verlegerin und Autorin im Herzen Deutschlands. Sie unterrichtet Kreatives Schreiben und löst Schreibblockaden an Universitäten und anderen Einrichtungen.