Bild/Illu/Video: Ekki Helbig

Dioramen bauen: «Angebetetes, Geliebtes, im Gold der Zeit» Teil II/IV

Befragt man Helbigs Dioramen nach ihren (Hintergrund-)Geschichten durch den eigenen prüfend betrachtenden, oftmals staunenden Blick, so treten die surrealistischen Einflüsse in ihrem Detail-Reichtum ungebremst, mitunter augenzwinkernd und voller Humor, zutage. Die gestellte Realität des Schaukastens überwindet sich selbst, wird etwas ganz Eigenes, das sich manchmal sogar ihrem «Schöpfer», ihrem «Erbauer», entzieht und sich frech über ihn erheben kann.


Wie eines seiner Vorbilder, der liebevoll als «Lieblingskünstler» bezeichnete Joseph Cornell (1903–1972), der lange Zeit als Vertreter einer Textil-Firma in New York arbeitete, findet Helbig «Baumaterial» unter anderem auf Flohmärkten und in Antiquariaten, die die Sammelleidenschaft des Comic-Urgesteins zu wecken vermögen. Auf diesen Streifzügen spielen die in die Dioramen eingearbeiteten Hyper- und Subtexte als Paratexte eine zuweilen lediglich subtil angedeutete Schlüsselrolle für den selbst zusammengestellten Bausatz, der Diorama wird. Diese können aus Fundstücken wie viktorianischen Postkarten, Fotos oder antiquarischen Briefen bestehen. Die Collage ist die versteckte Gedankentechnik, die auch dem Diorama zugrunde liegt. Selektion und Kombination im eckigen Raum der so genannten «boxes», die Joseph Cornell, beeinflusst von den großen Surrealisten wie André Breton und Max Ernst, «constructions» nannte. Treffsichere Bezeichnungen, auf die auch Ekki Helbig in seinen Dioramen in ihrer grundpoetischen Aussage Rückbezug nimmt.


Fragt man den «Baumeister» nach Bildern zur Entstehung seiner Schaukästen, so beginnt er zu überlegen, ob diese überhaupt existieren. Work-in-progress-Arbeiten gibt es eher selten zu sehen. Vorstadien, die wiederum als ein eigenständiges Bild funktionieren, sind trotzdem vorhanden. So sieht der aufmerksame Betrachter, wie sich bspw. das Diorama «Swing for the Crime, Detail 2» aus einem in Szene gesetzten Detail herausschält und damit aus diesem Zentrum heraus in den Raum hinein entwickelt. Die wiederholte Dopplung des gerahmten Blickes erfolgt, einmal konkret durch eine kleinen vergoldeten Bilderrahmen im Diorama um die Augen herum, dann durch eine nachgebildete, ebenfalls vergoldete Strukturtapete, schließlich durch gebeizte Miniatur-Holzstreben im Bild und letztendlich durch die formgebende Kastenform des Dioramas selbst. Auch der Ausstellungsraum, in dem der Schaukasten steht und damit ins Verhältnis gesetzt wird, trifft dabei eine Aussage.


Die so im Diorama inszenierten Augen blicken auf den Betrachter zurück, der stumme Dialog, in den man durch die Betrachtung tritt, findet auf diesem Wege seine ganz eigene Betonung. Dass es sich dabei nur um Ausschnitte handeln kann, sehen wir daran, dass auch die Augen aus einem Comic, einer Manga-Szene zunächst herausgerissen und dann erst gerahmt scheinen. Der Arbeitsprozess wird auf diese Weise sichtbar gemacht.


Im fertiggestellten Folgebild zum Diorama «Swing for the Crime» wird die Aussage jedoch zu einer anderen. Der Blick wird abgelenkt durch ein Sammelsurium an hinzugekommenen Gegenständen, die aus dem Raum und über den geöffneten Raum hinaus verweisen, beinahe eine museale Anordnung von Welt: Zwei graue männliche Figuren stehen im Vordergrund. Eine dem Geld verpflichtet (ein Bündel Scheine liegt ebenfalls grau in griffbereiter Nähe), die andere dem Schweigen (wie der Reißverschlussmund unschwer erkennen lässt). Beide Figuren sind wiederum in stiller Übereinkunft mit dem sich in der Mitte unter dem gerahmten Augenbild befindlichen Scheingeldstapel und die graue Farbe miteinander verbunden. Ein zugeschnürter Sack in der linken Ecke des Dioramas lässt weitere Abenteuer finanzieller Natur erahnen. Auf einer Ablage direkt unter dem Augenbild sehen wir zwei in Farbe gehaltene Hamburger, für jeden «Ganoven» einen, sowie graue Revolver und eine große graue Vase, die auch eine Urne sein könnte. Das zentral unter dem Bild abgelegte Nudelholz gibt spannende Rätsel zu bürgerlich wehrhaft inszenierten Frauengeschichten auf. Die Cola-Flasche in der linken Ecke ist ein direkter Verweis auf das Herkunftsland derselben.

Schauen wir uns im Kontrast dazu den «Plattensammler. Exotica Version» in seinem Vorstadium an, so sehen wir, dass allem voran zuerst die hölzernen Regale für die Sammlung im Diorama aufgestellt wurden, bevor Ekki Helbig den Kosmos rund um die Platte und den Sammler geöffnet hat. Ganz wie auch im echten Leben. Die Exotik der Musik wird durch verschiedene Miniaturplattencover präsent gemacht. Wieder durch Text. Wir erfahren: «Other Worlds, Other Sounds». Im Subtext zeigt sich auch ein omnipräsentes, erotisch Weibliches und wir können schmunzelnd erahnen, was neben exotischer Musik unter anderem noch gesammelt wurde. Auch die Gitarre steht dem Plattensammler (linke Diorama-Ecke) direkt gegenüber, (rechte Diorama-Ecke). Was den Stellenwert der persönlichen Musikgeschichte des Sammlers mit diesem Gegenstand unterstreicht. Nichts Geringeres als «VOODOO» geht von ihr aus. Die Gitarre steht für den Plattensammler, der Plattensammler steht für die Gitarre und damit für die angebetete Musik. Beide sind gleichzeitig und in der gleichwertigen Platzierung zu jeder Zeit austauschbar als Angebetetes, als Geliebtes. Sie sind, um es mit André Breton zu sagen; «l ҆or du temps», «das gesuchte Gold der Zeit», welches auch den Blick auf die Verbrechen in Ekki Helbigs «Swing for the Crime» rahmt.  

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