Die Untergebene, die Revoltierende
Der
Roman «Ich, Mireille» bespricht schonungslos und gleichermaßen poetisch die
Folgen einer Kulturübertretung für die Frau hinein in den männlich dominierten
arabischen Raum. Die erzählende Hauptfigur Mireille ist Studentin der
Rechtswissenschaften im zweiten Jahr in Aix-en-Provence, als sie Nadir im
Januar 1968 während des Studiums kennenlernt. Es ist eine Heirat aus Liebe. Mireille
gibt das Studium zu Gunsten ihres Mannes auf und zieht mit ihm nach Marokko.
Sie wird nach der Geburt ihres ersten Kindes freiwillig, aber nicht aus
Überzeugung Muslima. Es sei schließlich nicht mehr als ein formaler Akt und
zudem leichter für die Kinder, beteuern ihr ihr Mann und ihre beiden
Schwägerinnen. Ihr Ehemann verleiht ihr daraufhin einen neuen Namen, man nennt
sie fortan «Yasmina».
Nach einem Fauxpas zu Ramadan, an dem sich Nadir als einziger Sohn nach dem Tod seines Vaters vor seiner Familie gekränkt fühlt, weil Mireille keine Nacht lang durchwachen will, verstößt er sie als seine Frau öffentlich vor dem Adoul. Mit diesem schambehafteten Bruch fügt sich die Verstoßene in die Rolle der Untergebenen, während die Innenstimme Mireilles weiterhin revoltiert. Das-sich-Fügen wird als die schrittweise Auslöschung der eigenen Identität begriffen, die für die Frauen, die sie durch die arabische Familie umgeben, gelebter und zeitweise sogar belächelter Alltag ist. «Geduld» sei das Wort der Frauen, was alles ertragen lässt und jedwede «eheliche Pflicht» erleichtert. Als Mireille sich von einem französischen Anwalt beraten lässt und erkennt, dass eine Scheidung nach arabischem Recht so gut wie unmöglich ist, trifft sie eine unverrückbare Entscheidung, in der sie gleichzeitig ihrer größten Angst begegnet, nämlich einen anonymen Tod entindividualisiert in der Fremde zu sterben. Mireille begegnet, der Angst vor der eigenen Auslöschung ...
Der Roman ist dennoch nicht als Abrechnung zu begreifen. Die Leser erfahren viel über die Schönheit und Tiefe der Kultur, die sich Mireille als Fremde niemals in Gänze öffnet, solange sich die französische Identität und Vergangenheit in ihr noch zu Wort melden. Auch über Nadir erfahren wir, wie er als Kind die westlichen Frauen in stiller Anbetung bewundert hat, als ihm als Junge noch vor der Einschulung seine schöne und geheimnisvolle, aus Frankreich angeheiratete Tante, Francoise, begegnet, die er als die bestmögliche aller mitgebrachten Trophäen bezeichnet. Er beginnt, die Werte und Sinnhaftigkeit der eigenen Sitten und Traditionen zu hinterfragen. Françoise jedoch verschwindet mit beiden Kindern zurück nach Frankreich. Etwas, das seiner zukünftigen Frau nicht gelingt.
Die Autorin widmet das Buch allen Mireilles, die Yasmina geworden sind.
«Ich,
Mireille» von Fadéla Sebti erschien erstmalig 1995 in Casablanca unter dem
französischen Titel «Moi Mireille, lorsque jʼetais Yasmina». In Marokko ist das
erste literarische Werk der Anwältin Fadéla Sebti ein Bestseller. Die deutsche
Übersetzung erschien 1997 im Donata Kinzelbach Verlag, übersetzt von Kirsten
Kleine, in Mainz.