Was trägt der Vogelruf?
Christine Langer bietet
dem Leser ein Baumhaus an. Ihre Gedichte laden zum Verweilen ein wie dieses
Bild meiner Kindheit, nach dem ich nur noch in Gedichten und Liedern und Erinnerungen
greifen kann.
Das lyrische Ich erzählt von «Wünschelruten und Ästen». Es gefällt sich darin, zu singen, zu tönen, zu Vogelrufen, die einander weder gleich noch dasselbe sind. Unter jedem «Apfelmeer» aber kann der Mutter Grab in der Fäulnis darunterliegen. Langers Bildsprache ist in ihrer fliegend leichten, gefiederten Schönheit doppelbödig. Immer liegt etwas darunter oder darüber, wie Schleier, oder wie Nebel, die einander ab-, jedoch nicht auflösen. Das alles geschieht mir «WEIL ICH EINEN APFELBAUM PFLANZTE», weil ich die Bäume zu lesen gelernt habe, im Gefühl.
Was ist ein Vogelruf, wenn er Fensterlicht trägt? Ist es der Ruf, den ich durch das Fenster in der Betrachtung mehr sehen als hören kann? Bei Christine Langer verdichten sich Geräusche, bis sie den vermeintlich klaren Blick verstellen und somit entlarven: Das Fenster, an dem das Licht im Vogelruf spielt, wird Spiegel meiner selbst. Auch im Tod kehrt das Licht zurück, brachial vielleicht, wir haben ihn ausgesperrt. Der Vogel kann noch im Ruf zerbrechen wie Glas und gefilterte Sonnenstrahlen, denn «ALS DAS LICHT DURCH DIE WOLKEN FIEL,/ Rückte es die Felder hinterm Stadtrand ins Zentrum./ Du öffnest alle Fenster im Haus,/ Sprichst vom Augenblick und seiner Wiederkehr,/ Als ein Sonnenflügel einmal eine Erinnerung begrub».
Die Dichterin weiß um den Herzschlag im Gras, der lesbar wird am Näherkommen des Klatschmohns, das lyrische Ich weiß, «Auf jedem Gemäuer sitzt ein Fluch, /Der in den Rucksack paßt./ Die Straßenbahn überrollt deinen Schatten». Was also trägt der Vogelruf, wenn er am Fenster zerschellt? Einer trägt Fensterlicht im letzten Atemhauch, ein anderer womöglich den Samen.
Christine Langers «Ein Vogelruf trägt Fensterlicht» ist 2022 im Alfred Kröner Verlag in Stuttgart erschienen.