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Das Interview zum Buchtalk mit Doris Büchel

Die Bücher «Game Time» mit und über Patrick Fischer, Chefcoach der Schweizer Eishockey-Nationalmannschaft (2021) und «Grenzgängerin» mit und über Evelyne Binsack, Schweizer Extrembergsteigerin und Abenteurerin (2017) sind bei Wörterseh erschienen und hielten sich während mehreren Wochen auf der Schweizer Sachbuch-Bestsellerliste.

Liebe Doris, deine Geschichten handeln oft von Menschen, die mit Sport oder mit der Natur in Verbindung stehen. Das ist wohl kein Zufall, denn dir ist Sport auch wichtig, oder?
Stimmt. Ich habe mit 22 Jahren ein kleines Unternehmen, ein Aerobic Studio namens Absolutely Fitness, gegründet. Damals war es ein richtiger Boom. Auch wenn es schon lange her ist, werde ich immer wieder mal darauf angesprochen. Dann staunen die Menschen, wenn sie erfahren, dass heute das Schreiben mein Beruf ist. Umgekehrt staunen die, die mich nur vom Schreiben her kennen, wenn sie erfahren, dass ich einmal eine «Aerobicmaus» war. Es sind zwei Welten.

Zwei Welten, die einen gemeinsamen Nenner haben - nämlich zu bewegen. Seit geraumer Zeit bist du Autorin für Biografien und Briefe. Du schreibst Briefe für Menschen in ihrem allerletzten Lebensabschnitt. Wie beschäftigt bist du, sprich wie viele Anfragen erreichen dich, sagen wir mal monatlich?
Als Biografin buchen mich Menschen, die ihre Lebensgeschichte oder Auszüge daraus aufschreiben möchten. Wenn jemand bei der Geburt anfangen möchte, dann bin ich schnell mal ein Jahr beschäftigt. Aktuell arbeite ich an drei Biografien parallel.


Anders verhält es sich bei Briefen für Menschen mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung. Dort arbeite ich mit dem Hospiz Werdenberg zusammen. Konkret bedeutet dies, dass nicht die Patienten mich buchen, sondern dass die Anfragen seitens der Ärzte oder Pflegenden kommen. Es sind vielleicht zwei, drei Briefe im Monat.

Ist so ein Brief schreiben nicht eine sehr emotional-schwierige Arbeit?
Wie soll ich sagen – diese Antwort könnte den Abend füllen. Ich versuche es in Kürze: Die Patientinnen und Patienten, die ich besuche, befinden sich in einer sehr schwierigen Situation. Sie müssen sich mit dem eigenen Tod auseinandersetzen. Das heisst, wir tauchen ziemlich schnell ziemlich tief ein. Das kann schon emotional sein, das ist so, ja.

Zur Biografiearbeit im Allgemeinen kann ich nur sagen, dass von den Protagonisten fast immer zuerst dieselbe Reaktion kommt: Ja, aber weisst du - wer bin ich denn? So wichtig bin ich doch nicht, dass ich meine Geschichte erzählen müsste.

Daraufhin erwidere ich, sie sollen sich vorstellen, sie hätten die Lebensgeschichte ihrer Grossmutter oder ihres Urgrossvaters in schriftlicher Form. Wohlgemerkt, nicht nur Eckdaten wie dort geboren, Schule und Lehre dort absolviert, sondern auch, warum sie sich damals so und so entschieden haben und wie sie sich in dieser und jener Situation gefühlt haben.

Wenn ich wählen könnte – ich hätte das wahnsinnig gerne. Man macht es nicht nur für sich selbst, sondern auch für diejenigen, die zurückbleiben. Das ist von unschätzbarem Wert.

Vom 15.9. bis 17.9.23 findet in Bad Ragaz die Rahmenhandlung, ein Literaturfestival und Stadtparcours in Bad Ragaz statt. Du bist da auch mit von der Partie.
Es ist ein Literaturfestival in einem speziellen Rahmen. Die Zuhörer:innen werden in Gruppen aufgeteilt und von Autor zu Autorin geführt und überall bleiben sie rund 20 Minuten. Man bekommt also Lese-Häppchen serviert. Ich selbst lese am Samstagabend (Parcours 1). Es sind auch bekannte Namen wie Bänz Friedli, Claudia Schumacher, Lea Catrina und Christine Brand vor Ort.

Du hast das Buch «Fleisch und Blut» von Susanna Schwager ausgewählt. Wann hast du das Buch entdeckt beziehungsweise gelesen?
Das war im Jahre 2017. Büne Huber von Patent Ochsner gestaltete die Ausgabe von Edition Onepage. Ich fragte ihn, wen er für die nächste Ausgabe auswählen würde, wenn er entscheiden könnte.

Er antwortete mit grosser Begeisterung «Susanna Schwager». Ich kannte sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Wenn Büne Huber mit so einer Überzeugung jemanden nennt, dann sollte man diesem Tipp schon nachgehen und das habe ich getan.

Ich habe mir also das Buch «Fleisch und Blut» besorgt und es hat mir den Ärmel reingezogen. Es hat mich regelrecht aus den Socken gehauen! Die Art und Weise wie Susanna Schwager schreibt, das hat bei mir etwas ausgelöst. Ein Stückweit ist sie dafür mitverantwortlich, dass ich heute biografisch, sprich in der ICH-Form schreibe.

Wie wichtig ist für dich der Titel und das Cover eines Buches?
Ich habe es mit den Büchern wie mit dem Wein. Entweder ich kaufe sie auf Empfehlung, oder ich lasse mich tatsächlich vom Visuellen (Cover, Titel oder Etikette) verführen.

Bist du jeweils neugierig auf den Schriftsteller/-in? Was kannst du uns über die Autorin erzählen?
Nachdem mir Susanna Schwager für Onepage empfohlen wurde, nahm ich mit ihr Kontakt auf, und tatsächlich konnten wir zusammen mit Anna Sommer (Illustratorin) eine schöne Ausgabe kreieren. Wir organisierten dann auch eine Vernissage im fabriggli.


Dabei lernte ich sie als starke und spannende Frau kennen. Sie war lange Zeit Lektorin bei Diogenes und wurde später als Autorin mehrfach für ihr literarisches Schaffen ausgezeichnet.

Doris, liest du uns bitte eine Passage aus dem Buch vor und gibst uns deine Gedanken dazu preis?
Im Buch Fleisch und Blut geht es um den «währschaften» und stolzen Metzger Hans Meister und seine Lebensgeschichte. Er ist 1913 geboren und ist der Grossvater von Susanna Schwager. Wie viele in seiner Generation, hat Hans ein wirklich hartes Leben gelebt. Als die Enkelin Susanna ihren Grossvater interviewt, ist er 92 Jahre alt.

Hans Meister starb im Jahre 2005. Im Übrigen kann ich mir gut vorstellen, dass er auch so einer war der dachte, was soll ich da bloss erzählen und sich eben gar nicht so wichtig nahm. Durch die Lektüre von Susanna habe ich erkannt, dass man nicht zwingend Geschichten erfinden muss, weil das Leben selbst Geschichten schreibt.

Hans Meister erzählt seiner Enkelin - aus dem Buch «FLEISCH UND BLUT»:


«Wir wurden wenig gelobt. Der Fritz und ich vielleicht noch am ehesten. Das gibt enorm Auftrieb. Ich erinnere mich genau an das Gefühl. Es war selten und kam eher von der Mutter. Es wurde schon säbi Zit propagiert. Die Mutter wusste das, wir kamen aber nicht lange in den Genuss. Dem Vatter lag es nicht. Ich bin sicher, dass der kleine Mensch immer noch der gleiche ist. Er kommt als Nichts auf die Welt, ganz zerbrechlich. Und hat gewisse Anlagen, die muss man fördern. Und gewisse muss man dämmen und formen. Aber dazu braucht man eine klare Vorstellung. Das ist das Erziehen. Das ist eine grosse Aufgabe. Es braucht viel Kraft und Ausdauer. Nachgeben ist bequemer. Viele Eltern sind jetzt zu faul zum Erziehen, gäll. Und Kinder sind verletzbar, man kann sie so verletzen, die vergessen das ein Leben lang nicht. Das sage ich jetzt, als alter Mann. Ich habe den Vatter später immer verteidigt vor dem Fritz. Der Fritz hat oft gehadert wegen unserer Kindheit. Aber ich glaube, im Grunde genommen war der Vatter ein guter Mensch. Er konnte es nicht zeigen, gäll. Wir konnten ihn wenig geniessen. Wenig. Die Mutter ja auch nicht. Wir konnten das Schöne sehr wenig kosten. Das macht mich traurig, siehst du?»

Übrigens: Wenn die Emotionen bei Hans hochkamen, ist die Schrift im Buch kursiv gestellt.

Soweit möglich hat die Autorin Hans‘ Erzählungen wörtlich wiedergegeben und das Berndeutsche akribisch in eine schreibbare Sprache übertragen. Diese ICH-Form, die eingestreuten Mundart-Ausdrücke, dieses Knorrige in der Sprache – all dies hat mir Hans Meister sehr nahegebracht und mich berührt.

Das ist der Grund, warum ich diese Bücher für den Buchtalk ausgewählt habe.

Im Buch geht es auch um die Liebe zu Hunden. Magst du vielleicht auch Hunde?
Ich bin auch ein Hundenarr, ja.

Im Buch steht, dass der Hund dem Hans sein Leben gerettet hat, denn die Mutter starb früh und wie wir eben gehört haben, kam vom «Vatter» nicht viel Liebe. Auch Hans Meister kam haarscharf am Verdingen vorbei. Der Hund konnte ihm diese fehlende Liebe geben und das spürt man sofort, wenn er von diesem Tier, dem Willi, spricht. Das ist sehr berührend.

Wie verankert bist du mit der Region?
Ich bin immer noch stark verwurzelt. Ist ja auch keine grosse Distanz zwischen Buchs und Triesenberg. Ich habe auch meinen Dialekt beibehalten. Meine Eltern leben hier und ich habe fünf Geschwister. Wenn man nicht mit mir in die Schule gegangen ist, dann mit einem meiner Geschwister oder aber man kennt den Vater oder die Mutter. Ich war auch nie weg, ausser am Reisen, das schon.

Du hast auch das Buch «die Frau des Metzgers» mitgenommen.
Genau. Möchte man beide Bücher lesen, dann würde ich mit Fleisch und Blut anfangen. Beim zweiten Buch «Die Frau des Metzgers» geht es um Hildi, die verstorbene Frau von Hans Meister. Leider war diese, zum Zeitpunkt als Susanna die Biografie ihrer Grossmutter schrieb, bereits gestorben. Deshalb hat sie ihren Grossvater über seine Frau befragt und auch andere Familienangehörige interviewt.

Als ich das Buch damals in den Händen hielt und begriff, dass nicht Hildi ihre Geschichte erzählt hatte, war ich zuerst ein wenig enttäuscht. Es lohnt sich aber definitiv beide Bücher zu lesen.

Im Buch wird Hildi als die Schweigende bezeichnet. Was sagst du dazu?
Hildi war kein Huscheli. Sie war nicht laut, aber sie konnte sich durchsetzen und hat die Kinder, als Hans im Krieg war, allein grossgezogen.

Die Familie lebte im Solothurnischen, aber egal ob hier oder dort, dieses Schweigen von dem gesprochen wird, war häufig auch eine Art Schutz.

Diese beiden Bücher haben meinen Horizont erweitert. Ich habe dadurch ein besseres Verständnis für diese Generation bekommen. Für mich stehen Hildi und Hans stellvertretend für viele Lebensgeschichten von Menschen jener Generation.

Und ich bin immer wieder überrascht, wie die Welt sich in einer relativ kurzen Zeit so stark verändern konnte.

Liebe Doris, vielen Dank, dass du uns zwei Biografien von Susanna Schwager vorgestellt hast. Ich wünsche dir weiterhin viel Erfolg und Freude beim Schreiben.

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