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Das Interview zum Buchtalk mit Thomas Beerle

Passage aus dem Buch:

«Das ist aber nur ein Teil davon, Jake. Du bist im gleichen Spiel um Anerkennung gefangen. So funktioniert diese Qultur. Tu, was sie wollen, und sie werden dich mit Anerkennung überschütten. Widerstehe ihnen, und sie werden deinen Ruf töten, ob mit oder ohne Fakten… Religiöse Systeme müssen das Anerkennungsspiel spielen, damit sie funktionieren.» «Ist das der Grund, weshalb ich in einem Moment vom Senkrechtstarter zum Geächteten werden konnte?» «Genau», sagte John, «und weshalb du morgen wieder zum Senkrechtstarter werden könntest, wenn du zurückgehen und zugeben würdest, dass du an allem schuld bist. Sie würden deine Rückkehr genauso schnell feiern, wie sie dich hinausgeschmissen haben. Es kommt nur darauf an, dass du das Spiel wieder mitspielst.»


Bist du, Thomas, einer der quasi aus dem Spiel ausgestiegen ist?

Ich bin vor 14 Jahren das erste Mal aus dem System «Kirche» ausgestiegen. Ich hatte zum Glück einen Kirchenobrigkeit, die mich in meinem Denken unterstützt hat, so dass ich die ganze Sache mit dem Glauben, dem Evangelium, anders angehen konnte als üblich. Es hat mir Freude bereitet und es war spannend, einen neuen Weg zu gehen. Ich habe viele Projekte geleitet, und dies tue ich auch heute noch. Mit der Kombination Glaube und Kunst habe ich viele Menschen in der Umgebung erreicht. Wenn es jedoch um das Eingemachte geht und meistens geht es da ums Geld, genauer gesagt, dass genug Geld reinkommt, wird es kompliziert. Und in solchen Momenten taucht immer wieder die Frage auf: Mache ich jetzt das, was andere wollen, oder bin ich auf meinem Herzensweg und mache das, was mir wichtig ist? Das sind Herausforderungen, mit denen ich mich immer wieder mal herumschlage.


Im Buch steht, dass es sehr viel leichter ist aus dem System auszusteigen, als das System innerlich loszuwerden. Das kann ich nur bestätigen. Wir sollten nicht der Anerkennung hinterherrennen, egal ob verbal oder finanziell. Konkret heisst dies für mich, dass wenn ich meinen Weg gehen kann, dann gehe ich den gerne mit den Menschen, die mit mir unterwegs sein möchten. Wenn aber von der Institution, vom System her, ja gar vom politischen System Druck kommt, dann muss ich sagen: «Stop, nein, das möchte ich nicht mehr.» Dann muss ich ein anderes Gefäss suchen, aber glücklicherweise ist das im Moment kein Thema.


Dann verrät das Buch also auch etwas über dich, dein Leben und deine Überzeugungen?

Genau, das Buch bewegt mich immer wieder. Es hat mir auch Freude bereitet, denn es hat mir gezeigt, dass ich auf mich selbst hören darf und dass ich meinen Weg gehen darf, auch wenn er unkonventionell ist.


Das Gedankengut im Buch bestätigt auch eine in mir tief verankerte Überzeugung.


Wie bist du überhaupt auf dieses Buch gestossen?

Ein Pfarrkollege hat mir das Buch vor 14 Jahren geschenkt. Er hat es zwar selbst nicht gelesen, aber er hatte das Gefühl, dass mich das Buch ansprechen könnte, und siehe da, es hat mich tatsächlich angesprochen! Er hatte also absolut Recht.


Jetzt zum Inhalt – kannst du uns grob erzählen, worum es in dem Buch «Der Schrei der Wildgänse» geht oder eben nicht geht - denn manchmal hat der Leser eine gewisse Vorstellung oder gar ein Vorurteil?

Das Buch handelt von Gesprächen zwischen Jake und John. Jake ist Pfarrer und John ist ein etwas spezieller Typ. John zeichnet zwei Sachen aus: Zum einen die tiefe Beziehung zu Gott, die ihn befreit und beflügelt und auch fähig macht anderen zu helfen und dann zum anderen, dass er ganz hartnäckig ist und immer wieder kritische/schwierige Fragen stellt. Das hat mich fasziniert. Und John stellt auch Fragen an die Kirche, an die Institution, überhaupt Fragen ans Christsein und das bringt Jake verständlicherweise ziemlich aus dem Konzept, weil er das nicht erwartet hat und auch, weil er vieles nie so richtig hinterfragt hat. Er ist irgendwo in einer Tradition aufgewachsen oder hineingewachsen und merkt dann, was er da macht, ist weit entfernt von dem, was Jesus gelehrt hat. Diese Erkenntnis finde ich sehr spannend. Das Buch beschreibt einen Glaubensweg, aber der führt weg von institutionellen Kirchen, weg von Religion.


Im Buch läuft es beim Protagonisten Jake eine ganze Weile gar nicht gut. Er bemüht sich so und es wird einfach schlimmer und schlimmer. Was sagst du dazu?

Der Mensch muss Prozesse durchgehen und die sind manchmal richtig schwierig, aber solche Prozesse bringen ihn auch weiter, sie sind sogar zielführend, aber oft ist das erst im Nachhinein erkennbar. Nach meiner Erfahrung ist das Leben nach so einem Prozess oft befreiter.


Als Jake wieder einmal auf John trifft, berichtet ihm dieser, dass er sich nicht mehr länger unter der drückenden Schuld, ständig zu versagen, und auch nicht mehr unter den fordernden Verpflichtungen einer selbstproduzierten Gerechtigkeit unterliegt. Und er ist sogar so weit, dass er dies auch nicht mehr anderen überstülpt. Was sagst du dazu, Thomas?

Genau das möchte ich beherzigen. Im Buch freut sich John über den Erfolg von Jake.


Die folgende Weisheit zu diesem Thema gefällt mir besonders gut:

«Man kann eine Raupe nicht in eine Schmetterlingsform pressen und sie zum Fliegen bringen. Sie muss von innen her verwandelt werden.»

Was leider oft passiert und dies überall, also nicht nur in kirchlichen Institutionen, sondern auch in der Politik und Wirtschaft ist, dass ein System missbraucht wird. John spricht im Buch von einem Scham-Management-System, oft mit den besten Absichten, aber immer mit den schlimmsten Folgen.


Also spätestens hier bin ich mir sicher, dass ein paar Berufskollegen ein Problem mit diesem Buch haben. Könnte das sein?

Viele meiner Kollegen haben sich ebenfalls weiterentwickelt und sind auf einem ähnlichen Weg unterwegs wie ich. Und dann gibt es natürlich auch Pfarrpersonen, die sehr traditionell geprägt sind und das auch leben und offenkundig Mühe mit diesem Buch haben. Und es gibt die Sorte Mensch, die, sobald was von Amerika kommt oder eine amerikanische Kirche dahinter steht, sofort dagegen ist.


Gehört für dich das weltbekannte Buch «Die Hütte – Ein Wochenende mit Gott» von William Paul Young in dieselbe Sparte wie «Der Schrei der Wildgänse»?

Ja, das kann man so sehen. Unter anderem, weil Wayne Jacobsen der Lektor von «Die Hütte» ist. Sein Gedankengut ist in den Diskussionen zwischen Jake und John eingeflossen. Darum sind die Bücher tatsächlich gedankenverwandt. Der andere Autor, Dave Coleman war Pfarrer und ist aus dem System Kirche ausgestiegen. Er ist heute freischaffend unterwegs. Wayne Jacobsen ist Journalist und Bücherautor.


Siehst du das Buch als Lebenshilfe oder ist es ein Buch, dass die bisherige Lehre in Frage stellt und deshalb eher irritierend ist?

Für mich ist es eine sehr intensive Lebenshilfe. Was mich fasziniert, ist die Ehrlichkeit, die in dem Buch gelebt wird. John stellt kritische Fragen, mühsame Fragen und Jake lässt sich darauf ein. Das ist für mich der Schlüssel - sich darauf einlassen und dabei ehrlich zu reagieren.


Warum heisst das Buch eigentlich «Der Schrei der Wildgänse»?

Weil Wildgänse oft in Keilformationen fliegen und so miteinander kommunizieren. Sie rufen und es ist nicht immer die gleiche Gans an der Spitze, sondern sie wechseln sich ab. Gänse helfen einander und es ist ganz speziell, denn wenn eine Gans müde ist und nicht mehr weiterfliegen kann, dann gesellt sich eine andere Gans zu der Müden, damit sich diese ausruhen kann und danach nicht alleine weiterfliegen muss. So miteinander unterwegs zu sein, das ist auch für uns Menschen wünschenswert.


Und an dieser Stelle möchte ich eine letzte Passage aus dem Buch zitieren: «Gänse fliegen miteinander in dieser Formation - nicht, weil sie dazu verpflichtet sind, sondern weil dadurch ihre Last leichter wird und sie ihrem Ziel näherkommen.»


Thomas, danke für deine spannenden Ausführungen zum Buch «Der Schrei der Wildgänse» von Wayne Jacobsen/Dave Coleman.


Vorschau: Der nächste Anlass «Ein Gast – ein Buch, der Buchtalk» findet am Mittwoch, 26.10.2022 um 19 Uhr statt. Zu Gast in der Bibliothek Buchs ist Petra Näf, Stadträtin, mit dem Buch «Freundschaft» von Wolfgang Krüger.

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