1.5 Grad oder was unsere Gabeln mit Naturkatastrophen zu tun haben
Der Bericht erreichte uns in einer Zeit, in der viele Menschen die Auswirkungen des Klimawandels immer deutlicher zu spüren bekommen haben. Während in diesem Sommer in Nord- und Mitteleuropa schwere Unwetter und Überschwemmungen eine Spur der Verwüstung hinterliessen, kämpfte der Süden Europas mit extremer Hitze. Die Hitzewellen belasten nicht nur die Gesundheit der Bevölkerung, sondern auch die Ernten und die Wasserversorgung.
Hinzu kommen weitflächige Waldbrände, die wir Menschen kaum mehr unter Kontrolle bekommen. Es sind Horrorbilder. Bilder, die es auch früher immer wieder gegeben hat - aber Bilder, die sich häufen. Doch was heisst das für uns?
Nun, wenn ich die Kommentarspalten auf den sozialen Medien unter Beiträgen zum Thema Klima lese, dann weiss ich manchmal nicht, ob Ungläubigkeit, Traurigkeit oder Empörung in mir überwiegen. Gefühlt jeder dritte Kommentar scherzt darüber, dass es ruhig noch wärmer werden soll, damit auch bei uns Urlaubsfeeling im Sommer aufkomme. Und geschätzt die Hälfte der Kommentare wettert darüber, dass irgendjemand anders irgendetwas anderes endlich ändern solle – ob irgendwelche anderen Länder, irgendwelche Politiker oder irgendwelche Industriezweige – alle, bloss nicht wir selbst.
Dieses Fingerzeigen ist jedoch eine Haltung, die jeglichen Fortschritt und jede Verbesserung verunmöglicht. Denn ja, es gibt bestimmt immer jemanden, der es noch schlechter macht und seine Handlungen dringend überdenken solltet. Das heisst jedoch nicht, dass wir selbst fein raus sind. Because - guess what: Die, auf die wir mit dem Finger zeigen, zeigen mit ihren Fingern auch wieder auf andere. Und während wir alle mit diesem sinnfreien Zeigespiel beschäftigt sind und «aber du zuerst!» rufen, wird unser Ökosystem in viel zu naher Zukunft kollabieren.
Okay, es gib also nichts Gutes, ausser man tut es. Das ist nicht neu, aber was zur Hölle soll man denn tun und wo fängt man bitte an? Oft macht sich Überforderung und ein Gefühl von Hilflosigkeit breit. Und das ist nachvollziehbar, denn unsere Gesellschaft hat sich unendlich viele Praktiken zur Gewohnheit gemacht, die komplett irrsinnig sind und langfristig nicht funktionieren können. Wir vergessen dabei jedoch oft, dass unser Kassenzettel unser wichtigster und mächtigster Stimmzettel ist. Nachfrage bestimmt schlussendlich das Angebot und so können wir mit unserem Konsum massgeblich Wirtschaft und Politik beeinflussen. Natürlich vermag ein Kassenzettel allein nichts auszurichten. Aber je mehr Menschen ihren Konsum überdenken und neue Gewohnheiten in ihr Leben integrieren, desto mehr kann bewegt werden. Und genau darum zählt jeder einzelne.
Nichts konsumieren wir so oft, wie Nahrung. Dennoch vergessen wir diesen Wirtschaftszweig oft, weil er einerseits so selbstverständlich ist und wir ihn uns andererseits gerne schönreden. Laut dem Bundesamt für Statistik hat allein der Detailhandel in der Schweiz im Jahr 2020 mit Lebensmitteln einen Rekordumsatz von knapp 30 Milliarden Franken verzeichnet. Das entspricht einer Umsatzsteigerung von über 11 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Lebensmittel-Lieferkette ist weltweit verantwortlich für 26% der Treibhausgas-Emissionen, etwa 32% der Bodenübersäuerung und 78% der Eutrophierung (grosse Mengen von Nitrat und Phosphor, die durch Überdüngung in Gewässer gelangen und diese bedrohen).
Bei unserer Ernährung anzusetzen, macht also durchaus Sinn. Im Gegensatz zu vielen anderen Bereichen des Umweltschutzes müssen wir uns hier nicht damit auseinandersetzen wie viel, sondern was wir konsumieren. Denn die Umweltauswirkungen von Lebensmittelprodukten unterscheiden sich enorm.
Die Studie von Joseph Moore (Oxford University) und Thomas Nemecek (Schweizer Kompetenzzentrum für landwirtschaftliche Forschung) aus dem Jahr 2018 liefert dazu besonders aussagekräftige Daten, da darin die bisher grösste Menge an Daten untersucht wurde. Über mehrere Jahre wurden Daten zu Herstellung, Vertrieb und Verpackung von Produkten analysiert, die 90% der konsumierten Lebensmittel abbilden. Gleichzeitig wurden Daten aus 38'700 Landwitschaftsbetrieben und 1'600 weiterverarbeitenden Betrieben, Einzelhändlern und Verpackungsarten aus 119 Ländern ausgewertet. Ziel der Studie war, auf Grundlage der grossen Unterschiede verschiedener Produktionsarten zu analysieren, auf welche Art die Umweltkosten der Lebensmittelindustrie am besten gesenkt werden könnten.
Die Schwankungen der Umweltbelastungen zwischen verschiedenen Produzenten für ein und dasselbe Produkt sind teilweise enorm und können – vor allem bei tierischen Produkten - um das 50-fache variieren. Es gibt also enorm viel Potential, durch die Fokussierung auf besonders nachhaltige Produktionen, Umweltkosten einzusparen.
Allerdings haben selbst die umweltfreundlichsten tierischen Produkte in der Regel deutlich schlechtere Ökobilanzen als deren pflanzliche Ersatzprodukte. Die Forscher sind sich deshalb sicher, dass eine Ernährungsumstellung der Konsumenten weitaus mehr Vorteile für die Umwelt hat, als die Umstellung der Produktionsmethoden der Produzenten je erreichen könnte. Die Umstellung der aktuellen Ernährungsgewohnheiten auf eine Ernährung ohne tierische Produkte würde im Durchschnitt ca. 3.1 Milliarden Hektar Land einsparen und den CO2-Ausstoss der Lebensmittelindustrie um 49% die Bodenversauerung um 50% und die Eutrophication um 49% reduzieren. Zudem könnte ein Grossteil des Landes, das nicht mehr für die Produktion tierischer Lebensmittel benötigt wird, renaturiert werden und somit über die kommenden Jahre etwa 8 Milliarden Tonnen CO2 jährlich aus der Atmosphäre filtern.
Das Fazit der Studie ist eindeutig: Eine Ernährung ohne tierische Produkte ist unsere beste Chance, unseren negativen Einfluss auf die Umwelt zu reduzieren. Der Effekt ist sogar deutlich grösser, als wenn zum Beispiel Flugreisen reduziert oder auf elektrische Autos gesetzt wird.
Auch die Agrarorganisation der UNO hält fest, dass die von Nutztieren verursachten Treibhausgase den grösseren Anteil ausmachen als die des globalen Verkehrs. Alle Autos, LKWs, Flugzeuge und Schiffe der Welt zusammen belasten die Umwelt also weniger stark als die Nutztierhaltung weltweit. In der Schweiz zeigen Studien, dass die Umweltbelastung durch Ernährung den zweitgrössten Posten ausmacht. Sie kommt damit knapp hinter dem allgemeinen Konsum, der jedoch viele unterschiedliche Bereiche zusammenfasst.
Klingt für euch alles unglaubwürdig und nach leerem Geschwätz? Man kann sich die Thematik auch rein logisch erklären, ohne Studien und Statistiken zu wälzen. Das Grundprinzip ist nämlich relativ simpel:
Es ist nicht möglich, tierische Produkte effizienter zu produzieren als pflanzliche. Denn Ein Tier lebt und verbraucht in jeder Sekunde Energie, die später nicht in Form von Fleisch, Milch oder Eiern an den Konsumenten geht. Diese Energie muss den Tieren zugeführt werden. Das geschieht in Form von Futter und Wasser. Es kann folglich nie ökologischer sein, Pflanzen anzubauen, sie extra gezüchteten Tieren zu verfüttern bis sie gross genug gewachsen sind und sie dann zu töten und einen Teil ihrer Körper zu essen, als die Pflanzen direkt für den Menschen anzubauen. Die Nutztierhaltung ist ein Umweg der Kalorien, der nicht effizient und ökologisch ist.
In der Agrarwissenschaft wird diese Energieeffizienz genannt. Je nach erzeugtem Lebensmittel können hier unterschiedliche Prozentsätze ausgewiesen werden. Sie beschreiben, wie viel Prozent der Kalorien, die zugefüttert werden, später in Form von Produkten für den Mensch wieder gewonnen werden. Lammfleisch zum Beispiel hat nur 2%, Rindfleisch 3%, Schweinefleisch 14% und Eier als «Spitzenreiter» 18% Energieeffizienz vorzuweisen. Aber selbst 18% sind miserable Werte, die in keinem Wirtschaftszweig sonst so bestehen könnten.
Und das gilt auch für die Schweiz und auch für die so hochgelobten Betriebe von Nebenan. Auch hier sind enorme Landflächen für die Erzeugung von Futtermitteln nötig. Wir sehen jedoch nur einen Bruchteil davon, denn vieles wird importiert. So importiert die Schweiz jährlich zum Beispiel rund 300'000 Tonnen Soja als Futtermittel. Wichtigstes Herkunftsland ist Brasilien, wo dafür Regenwald abgeholzt wird. Im Gegensatz dazu kommt das Soja für Nahrungsmittel für Menschen in der Schweiz fast ausschliesslich aus Europa. Es macht neben dem Soja, das für Futtermittel verbraucht wird einen verschwindend kleinen Anteil von ca. 20-25 Prozent aus. Auch gentechnisch manipulierter Anbau ist für menschliche Nahrungsmittel nicht erlaubt.
Auch für die Unterwasserwelt gilt dasselbe Prinzip. Egal wie viele Strohhalme und Plastiktüten wir ablehnen, um die Weltmeere zu schonen – solange wir trotzdem Fisch essen, verursachen wir immensen Schaden für die Ökosysteme der Meere. Das «Great Pacific Garbage Patch» ist eine 1.6 Millionen Quadratkilometer grosse, schwimmende Insel aus Müll, die sich im Meer gesammelt hat. Das Müllfeld ist somit fast 40 Mal so gross wie die Schweiz. 46% davon besteht aus Fischernetzen. Im Gegensatz dazu kommen nur 0.03% des Plastiks in unseren Ozeanen von Strohhalmen.
Natürlich macht es trotzdem Sinn, auf Plastik Strohhalme oder Strohhalme generell zu verzichten. Schliesslich können wir ja auch problemlos aus einem Glas trinken. Aber wer gewillt ist, die Weltmeere zu schützen, indem er sein Getränk ohne Strohhalm trinkt, sollte sich vielleicht auch Gedanken darüber machen, dazu keinen Fisch zu essen. Das gilt im Übrigen auch für Zuchtfisch. Auch aus der Schweiz. Denn auch dieser wird mit Fischfutter gefüttert, das grösstenteils aus Meeresfisch besteht und die Aufzucht eines Fisches benötigt deutlich mehr Kilogramm an Futter, als das Endgewicht des Fisches schlussendlich ausmacht. Die kürzlich erschienene Dokumentation «Seaspiracy» auf Netflix fasst diese und dutzende andere Fakten anschaulich zusammen und ist sehr zu empfehlen.
Schlussendlich kann man es drehen und wenden wie man will: Wir unterschätzen die Macht unserer Gabeln massiv. Denn was wir mit ihnen in unseren Mund führen hat enorme Auswirkungen auf unsere Umwelt. Höchste Zeit, dass wir uns anfangen, mehr Gedanken darüber zu machen. Oder wollen wir unseren Kindern und Enkelkindern in ein paar Jahren schulterzuckend sagen «Tut mir leid, ist jetzt halt nicht mehr viel übrig für euch. Aber Wurst und Käse waren einfach zu lecker»?
Das Fazit ist dabei durchwegs positiv, auch wenn es im ersten Moment bedrohlich wirkt, weil es das eigene Handeln betrifft. Es heisst eben auch, dass wir selbst etwas tun können. Jede*r von uns. Jeden Tag. Mehrfach. Wir haben es in der Hand. Und zwar wortwörtlich. Wir müssen es uns nur bewusstwerden und umsetzen.
Dabei ist der Verzicht auf tierische Lebensmittel kein Verzicht auf Genuss. Es ist lediglich eine Umstellung von Gewohnheiten. Und eigentlich ist es auch kein Verzicht. Man ändert lediglich seine Perspektive und sieht Rinder, Schweine, Hühner und Co. einfach genauso wenig als Nahrungsmittel an wie Hunde, Katzen oder Wellensittiche. Wie einfach das geht und wie lecker das sein kann, zeige ich euch regelmässig auf meinem Instagram-Account und in Zukunft auch immer wieder hier auf Qultur.
Quellen:
Rekordumsatz mit Lebensmitteln im Schweizer Detailhandel
Reducing food’s environmental impacts
Avoiding meat and dairy is ‘single biggest way’ to reduce your impact on Earth
Umweltvergleich: Vegan vor Öko-Tierprodukten
Reduktionspotenziale von Treibhausgasemissionen aus der Schweizer NutztierhaltungJ. Gillespie, F. Flanders: Modern Livestock and Poultry Production. Cengage Learning. 2009.
G. E. Bradford: Contributions of animal agriculture to meeting global human food demand. In: Livestock Production Science. 59(2-3), 1999, S. 95–112.
Wirkungsanalye: Nachhaltigkeit der Schweizer Soja-Importe - Eine Studie im Auftrag des Bundesamtes für Umwelt Dr. Jan Grenz, Dra. Graciele Angnes Version 2.3, 22. Januar 2020