«Black Friday», die Kuh und die Bio-Eier
Bild/Illu/Video: Wolfgang Frey

«Black Friday», die Kuh und die Bio-Eier

In dieser «Black-Friday»-Woche habe ich mich vor allem eines gefragt: Was machen solche Rabattschlachten eigentlich mit dem Wert der Dinge? Drückt der Preis den Wert eines Produkts überhaupt noch aus?

Es kann ja schlechterdings nicht wirklich sein, dass die Arbeit, die Menschen in ein Produkt stecken, plötzlich nur noch die Hälfte wert sein soll. Und auch nicht, dass die Rohstoffe, die letztlich unserem Planeten auf dem Feld oder im Bergwerk abgerungen werden (nicht selten auch durch Kinderarbeit) nur noch halb so wertvoll sein sollten, nur weil grade «Black Friday» ist.

(Wir wissen ja auch längst, was alles für seltene Rohstoffe aus afrikanischen Minen inzwischen in unseren Smartphones und sonstigen Gadgets stecken. Ansonsten bitte googeln.)

Noch nicht billig genug?
Ähnliche Gedanken kommen mir, wenn ich durch «Lidl»- oder «Aldi»-Filialen laufe und sehe, wie sich die Sonderartikel der vergangenen Wochen (also der bereits vergangenen «Aktionen») immer noch geradezu stapeln. Offenbar haben diese Produkte trotz ihrer geringen Preise für den/die Konsument/innen überhaupt keinen Wert, sonst wären sie längst verkauft. Und auch in diesen Produkten – seien sie nun so sinnlos wie ein elektrischer Büchsenöffner, eine Packung Feuchttücher oder eine weitere Lichterkette mit Batteriebetrieb – stecken letztlich Arbeit und Rohstoffe.

Mir scheint, solche überfüllten Angebotskörbe und -kisten in den
Discountern sind ein geradezu erschreckend konkreter Ausdruck unserer Überflussgesellschaft. Die Läden bringen das Zeugs einfach nicht mehr los. Es ist im Wortsinn überflüssig. Und dass das die Kundschaft dieser Geschäfte offenbar ebenfalls so sieht, es nicht kauft, sondern mehrheitlich stehen lässt, ist in diesem Zusammenhang schon ein regelrechter Lichtblick.

Was ist uns etwas wert und wenn ja, was?
Vielleicht ist es überhaupt an der Zeit, neu darüber nachzudenken, was den Wert eines Dings (für uns selbst!) eigentlich ausmacht. Zeit, uns zu fragen, was wir eigentlich tatsächlich brauchen, welchen Nutzen wir von einem Produkt haben. Macht es uns glücklich oder liegt es in paar Tage später längst ungenutzt im Schrank? Spüren wir den Wert der eingesetzten Rohstoffe oder die Arbeit, die andere Menschen dort hineingelegt haben – oder ist uns das egal?

Um es auf den Punkt zu bringen: Schätzen wir bei einem Glas Milch aus dem Sonderangebot das Dasein der Kuh als Milchkuh samt Trennungsschmerz von ihren Kindern (einsam im Kälbcheniglu) und deren mutterlose Schicksale?

Ich bin weder Veganer, noch ein militanter. Mir geht es einfach nur um die Wertschätzung. Wenn Sie mich fragen, ist das Glas Milch genauso viel wert wie immer. Und es wird bereits zum regulären Preis im Supermarkt viel zu billig verkauft. Ich bin einfach nur froh, dass die Milch nicht auch noch zur «Black Friday»-Aktion geworden ist.

Über was freuen wir uns wirklich?
Vielleicht ist die Frage nach dem Wert eine ganz gute, gerade auch jetzt vor Weihnachten. Ich selbst bekomme manchmal selbst gebackene Weihnachtsplätzchen geschenkt. Dieser Tage kam so ein Päckchen viele hundert Kilometer weit mit der Post.

Und auch wenn das Porto den wirtschaftlich anzunehmenden Preis der Kekse weit überschreitet, freue ich mich darüber mehr als über alles andere. Ich weiss, wieviel Arbeit und Herzblut darin steckt und ich denke, am Ende spürt man sowas auch – eben nicht den Preis sondern den Wert.

Einen neuen HD-Fernseher können wir uns kaufen, dass jemand an uns denkt und sich einen halben Tag hinstellt, um uns etwas zu backen oder basteln, das können wir gar nicht bezahlen. Das ist einfach ein Geschenk.

Und bei dem HD-Fernseher sollten wir uns eines fragen, und zwar dasselbe wie bei der Milchkuh und ihren Babys. Nämlich: Wie kann es sein, dass es so etwas überhaupt zum halben Preis geben kann?

Da geht es uns wie der Kuh
Ganz einfach. Weil die Preise in unserer kapitalistischen Wirtschaft
längst nicht mehr den tatsächlichen Wert eines Produkts abbilden. Das merken viele von uns auch auf dem Lohnzettel. Die eingesetzte Arbeit wird längst nicht mehr so gut vergolten, wie sie sollte. Da geht es uns Schnäppchenjägern wie Kuh und Kälbchen.

Und woher stammt das fulminante Rabattpotenzial? Auch das ist einfach: Aus der Marge der Produzenten und Händler. Sie produzieren dank Globalisierung billig (oft auf Kosten des Planeten und der Arbeiter/innen in Übersee) und nehmen hier bei uns ein Mehrfaches der tatsächlichen Produktionskosten. Dann die Marge mal für einen Tag zu halbieren, das tut ihnen nicht weh. Sie verdienen immer noch daran.

Und wir?
Was macht das alles mit uns? Denken wir vielleicht, «gut, dass wir den Grosskapitalisten etwas von ihrem Profit abgerungen haben; gut so, sind wir auch mal auf der Gewinnerseite!»

Touché, das denke ich oft selbst auch. Aber: Macht uns dieses Denken glücklich? Die Erkenntnis, dass in diesem System letztlich alle ausgebeutet werden (vom Planeten bis zu den Arbeiter/innen) könnte uns zumindest einmal nachdenklich machen. Denn wenn wir diese Logik mitgehen, müssten wir eigentlich auch der kommenden eigenen Lohnkürzung freudig entgegensehen. Dann macht unser Arbeitgeber mehr Profit und wir haben unseren Arbeitsplatz wenigstens sicher.

Was ist der Wert eines Dings für uns ganz persönlich? Welchen Preis sind wir deshalb bereit, dafür zu zahlen? Stimmen Wert und Preis überhaupt noch ansatzweise überein? Warum kann ich in der Schweiz jeden Tag (eben womöglich in einem anderen Supermarkt oder Discounter) WC-Papier oder Kaffee zum halben Preis kaufen – und mich fragen, wer kauft das eigentlich noch zum regulären Preis?

Über den Wert entscheiden wir
Wenn Wert und Preis in den Läden offenbar (und eben nicht nur am «Black Friday») nur noch so wenig miteinander zu tun haben, dann ist es an UNS, neu nachzudenken: WAS ist uns WAS eigentlich tatsächlich WERT? Welche Rolle spielen für UNS noch Kuh und Kälbchen – eingedenk dessen, dass wir in diesem System letztlich selbst schon welche sind?

Ich selbst esse kaum Eier. Aber wenn ich an der Strasse nach Bad Ragaz an dem Bio-Hof vorbeikomme, wo mir die Bäuerin ihre Hühner, ihr ziemlich grosses (Hühnchen-)Häuschen und ihre Wiese schon mal gezeigt hat, dann nehme ich immer welche mit. Dass sie nur 70 Rappen das Stück kosten, stört mich nicht. Höchstens insofern, als dass ich das viel zu wenig finde. Und selbst wenn sie am «Black Friday» nur 35 Rappen kosten würden, ich gäbe ihr 70. Sie sind es einfach WERT.


Wolfgang Frey ist Journalist, Autor, Publizist und Gründer der
Heiligkreuzer Seifenmanufaktur.

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