Ich, der Fleischtiger - Oder Tsch Tsch Tschuldigung
Ich bin in einer Familie aufgewachsen, die ohne mit der Wimper zu zucken drei bis fünfmal Fleisch am Tag essen konnte und ohne Milchprodukte und Eier ganz gewiss keinen Tag verstreichen liess. Hinzu kam ein Vater, der bis heute jegliche Form von Gemüse, Salat und Früchten verweigert und selbst Pommes aus Prinzip nicht isst, weil die ja aus Kartoffeln und somit Gemüse (und - Gott bewahre – im schlimmsten Fall sogar gesund) sind. Wir Kinder folgten diesem Beispiel. Bis ich 15 Jahre alt war, ass ich tatsächlich kein Gemüse ausser den seltsamen runden Karotten aus der Dose. Rückblickend gesehen ernährte ich mich katastrophal. Dementsprechend sah ich auch aus.
Woher tierische Produkte stammten, wusste ich aber immer. Ich war kein naturfremdes Stadtkind, das Fleisch für etwas hält, das in Plastikcontainern im Supermarkt wuchs. Darauf war ich auch stolz. Dass ein Tier nun mal geschlachtet werden musste, damit mein Schnitzel auf dem Teller landet, war mir bewusst. Was das wirklich bedeutet, habe ich aber verdrängt und alle, die damit ein Problem hatten, habe ich für schwach und verweichlicht gehalten.
Als Kind hatte ich sogar eine Phase lang den grössten Spass daran, meiner Schwester mit rohem Fleisch aus dem Kühlschrank hinterher zu rennen, wenn sie mich nervte. Sie ekelte sich nämlich vor allem, was darauf hinwies, dass ihr Essen zuvor ein lebendiges Tier gewesen ist. Ich fand das total lächerlich.
Auch woher unsere Milch stammt, wusste ich. Wir hatten schliesslich eine fesselnde Milch-Woche in der Schule, wo wir den Weg von der Kuh zum Milchglas Schritt für Schritt vor Ort verfolgen konnten. Ich liebte diese Themenwoche und lernte mit viel Freude, wie die ganzen Prozesse in dieser Kette ablaufen. Dass da auch Männer darin vorkamen, die ihre Arme bis zum Anschlag in die Geschlechtsteile von Kühen steckten, um sie zu besamen, fand ich zwar eklig für die armen Männer, aber ansonsten völlig normal. Die Kälber in ihren Iglus fand ich einfach nur süss und das Füttern mit der Flasche zum Dahinschmelzen.
Und Eier? Die waren die goldene Wunderwaffe meiner Oma, deren Kochkünste ich immer bewunderte. Das Geheimrezept all ihrer Backwaren hat sie mir damals allwissend lächelnd zugeflüstert: Immer ein Ei mehr, als im Rezept steht. Und die Eier holte man natürlich vom Hof der Nachbarin. Der war zwar immer etwas suspekt und nicht wirklich einsehbar. Ein Huhn habe ich dort mein Leben lang nicht gesehen. Aber die Eier waren toll und wurden wöchentlich in grossen 30er-Kartons von meinem Opa geholt und in allen möglichen Varianten verwertet und verzehrt. Dass es ganz schlimme Legebatterien mit gequälten Hühnern gibt, wusste man zwar aus dem Fernsehen, aber die hatten ja nichts mit UNSEREN Eiern zu tun.
Als junge Erwachsene habe ich dann zwar aus Vernunft angefangen, etwas Gemüse zu essen, aber wenn ich ehrlich bin auch nicht gerade vielfältig und wenn dann nur als klitzekleine farbige Deko neben Fleisch und Sättigungsbeilagen. Wirklich gern hatte ich kaum etwas davon und meist hab’ ich es klein gehackt und unter die Beilagen gemischt. Fleisch war mein Gemüse. Selbst unsere Hochzeit war ein Grillfest mit Fleischbergen und ich nannte mich manchmal «Fleischtiger».
Vegetarier gab es kaum in meinem Umfeld. Veganer kannte ich keine und hielt sie für völlig abgedrehte Extremisten. «Und die Rüebli isst du nur, wenn sie selbst aus der Erde springen, oder was?!» hätte ich einem Veganer wohl abschätzig lächelnd an den Kopf geknallt, wenn ich einen getroffen hätte. Und auch für Vegetarier hatte ich kaum Verständnis. Ich habe zwar akzeptiert, dass sie kein Fleisch essen wollen. Aber wenn ein Vegetarier zum Beispiel keine Fleischbrühe in seiner Suppe oder an seinem Gemüse haben wollte, konnte ich dafür beim besten Willen kein Verständnis aufbringen. Ich habe genervt meine Augen verdreht wegen diesen komplizierten Menschen, die sich aber auch echt anstellen konnten.
Auch wenn ich es ungern zugebe: Ich war wohl die geballte Ignoranz und Überheblichkeit, die mich heute in anderen Menschen oft zum Verzweifeln bringt. Genau das, lässt mich aber auch unheimlich viel Verständnis aufbringen. Ich habe auch 30 Jahre lang die Augen ganz fest zugekniffen und alles ganz laut überspielt. So laut, dass ich die ganz, ganz leisen Stimmen in mir selbst nicht hören konnte. Denn das Fleischkonsum nicht wirklich ethisch vertretbar ist, war mir ja schon irgendwie bewusst. Ich wollte halt einfach trotzdem auf meinen Genuss nicht verzichten und an Milchprodukten und Eiern konnte ich bei bestem Willen nichts Verwerfliches erkennen.
Gelebt habe ich wie die meisten Menschen, die ich kenne: Mit einer Mischung aus mal mehr und mal weniger bewusstem Wegsehen und der Beruhigung des eigenen Gewissens mit den immer gleichen Floskeln. Schliesslich konsumiere ich bewusst, achte auf gute Haltung und bei uns ist sowieso alles besser als im Ausland. Richtig? … richtig?
Was um alles in der Welt muss passieren, um so einen Menschen komplett umzustimmen? Uff... ganz schön viel. Und gleichzeitig irgendwie ganz wenig. Ich erzähl es euch. Nächste Woche.