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«Ziitsammläri» im Soundcheck

«Ziitsammlär»

Der Opener des Albums behandelt die Geschichte von einem gewissen Freddy, der leidenschaftlich und möglichst schnell auf Skiern ins Tal brettert. Die Zeit, die liegenbleibt nimmt er mit nach Hause, so dass er irgendwie nie älter wird. Es ist zum Anfang des Tonträgers eine poetische und zudem wirklich sehr amüsante Geschichte, die ich mir jetzt bei dem Titel ausserdem total anders vorgestellt hätte. Gehalten ist sie musikalisch in einem schönen folkigen Countrygewand, das zu dem ländlichen Charakters des Chansons hervorragend passt.

«T-Shirt»
Uh, solche Shirts mit grossen Geschichten im Hintergrund habe ich auch noch ein paar in meinem Kleiderschrank. Fast wie Narben auf der Haut sind auch gewisse Kleiderstücke Souvenirs, die einem in die Zeit zurückreisen lassen, was immer ein wunderbares nostalgisches Erlebnis ist. Auf dem T-shirt von Sina steht laut ihr «Born to be wild» und sie hat es, weil sie sich so gerne an diese wilde Zeit erinnert, noch nicht in die Altkleidersammlung geworfen. Dies erinnert mich an die Zeit, als ich dann mit 20 endlich mal die Haare kurz geschnitten habe. Auf die Frage von einer Kollegin, weshalb ich dies gemacht habe, sagte ich mit stolzgeschwellter Brust, dass Heavy Metal eine Lebenseinstellung und nicht bloss eine Frisur sei. Ich denke Sina zeigt mit dem bluesig angehauchten Stück genau das: Man ist, so wie man sich fühlt und das geht auch nicht weg, wenn man ein Erinnerungsstück aus einer längst vergangenen Zeit entsorgt.


«Blau»
Schöne, tiefgründige Bilder zeichnet die Walliser Ikone auf dem zarten Liebeslied. Auch wenn blau in der Musik oft für Traurigkeit steht, hält dieses Stück viel Hoffnung bereit und lädt direkt zum Träumen ein. Die einzigartige, wahre Liebe zu finden, ist etwas vom Besten, was einem im Leben passieren kann. Da jedes Wort mit viel Authentizität vorgetragen wird, zeigt mir, dass Sina auch zu diesen glücklichen Menschen gehört, was ich ihr von ganzem Herzen gönnen mag.


«Kari»
Der zweite Protagonist auf dem neuen Album ist auch wieder ein Waliser Original, dem man gerne zuhört. Kari ist ein tiefgründiger Held und Träumer, welcher der Sängerin und auch anderen Menschen einen alternativen Lebensentwurf mit seinen Gedankengängen aufzeigt. Am Lied mag ich sehr, dass es fast ein wenig wie aus der Schmiede von Patent Ochsner klingt. Das Märschli auf der Trommel, die Bläser, das Crescendo und zudem noch ein Text, der zum Nach- und Umdenken anregt – Das ist Musik, wie ich sie liebe. Hüeru güet!

«Probiär’s nomal»
Tänzelnd und wunderbar groovig baut die Gitarre das sehr eingängige Stück auf. Der motivierende Text weist auf die Vergänglichkeit des Lebens hin und animiert alle Zuhörenden, es nochmals zu versuchen und nicht aufzugeben. Die Komposition erinnert mich irgendwie an Soundtracks von Filmen aus meiner Jugend, wo auf dem Schulball zu Nummern in diesem Stil das Tanzbein geschwungen wurde. Das ist so eines der Lieder, die wie ein Felsen in der Brandung sein können und es sicher auch schaffen, einem in dunklen Stunden wieder aufzustellen.  


«Zwischumüsig Händ»
Das kleine Intermezzo ist wunderbar spielerisch und beweist eindrücklich, dass Sina es auch heute noch schafft, sich neu zu erfinden. Eine klassische A capella-Nummer, nur untermalt mit Handgeräuschen hat die Mundartlegende meines Wissens nach, bisher noch nie publiziert. Gelungen ist das Experiment aber auf jeden Fall.

«Fär wer soll i singu»
Hui, nach dem verspielten Zwischenteil kommt eine melancholische Abschiedsnummer, die direkt unter die Haut geht. Irgendwie schön der Gedanke, dass man durch das Singen wieder mit Verstorbenen verbunden sein kann. Noch mal so richtig emotional wird es, als der Chor einsetzt, der das Lied fast auf ein Gospelniveau hebt. Wunderschön!

«Rosa Rösä»
Das Fernweh ist aber den ersten Noten sofort da und man überlegt sich, wo sich die Protagonistin denn befindet. Die Ode an das Leben zeigt auf, dass man immer die Wahl hat. Man kann sich seine Tage selber schön oder düster gestalten. Sina lehnt sich zurück und zelebriert das Geniessen. Jetzt wäre es dann wirklich langsam Zeit für den Sommer, oder?


«Zwischumüsig vom richtigu Gibrüüch»
Das nächste Intermezzo ist ein Fetzen Chormusik, der mich an das neue Album von Dabu Fantastic erinnert. Ich finde diese Hommage an das gemeinsame Singen und gewissermassen auch an die Wurzeln eine wunderbare Angelegenheit. Viele haben schon mal in einem Chor gesungen und verknüpfen mit einem solchen Stück musikalische Erinnerungen an früher. Gelungen und kurzweilig.

«So hinnärna»
Jazzig wird es beim zehnten Stück, welches sich lustigerweise mit ganz modernen Themen der Digitalisierung befasst. Je mehr Zeit, dass man einspart, desto weniger hat man. Das hat echt einen wahren Kern. Hier schliesst sich für mich ein musikalischer Kreis, denn Adrian Stern, der dieses Album produziert hat, war lange Zeit bei Michael von der Heide Gitarrist. Und diese Nummer hier hätte sicherlich auch ganz gut im Repertoire von ihm funktioniert. Vielleicht gibt’s ja live mal ein Duett… Cool, wäre es auf jeden Fall.


«Wolku»
Ist das schon fast ein bisschen Bluegrass, was hier aus den Boxen tröpfelt? Das Lied hält eine wahnsinnige Traurigkeit inne, die einem sofort in Beschlag nimmt. Was ich nicht ganz weiss, ob es sich bei dem Lied um einen Todesfall oder um das Ende einer Beziehung geht, was ich noch spannend finde. Ich bin begeistert von Texten, die Interpretationsspielraum zulassen.

«Wart uf mich»
Irgendwie entwickelt sich die Platte ein wenig in die Richtung Country, was der Mundartlegende sehr gutsteht. Moment. Das ist ein Duett. Das müsste doch der Kunz sein, oder? Die beiden harmonieren echt gut und insgeheim hoffe ich, dass da vielleicht sogar noch mehr kommt. Der Track ist irgendwie niedlich, leichtfüssig sanft und auch ein bisschen verträumt.


«S’wird immär so sii»
Hier hört man bisschen Kunz. Christian Häni von der Band Halunke und Dabu Bucher habe ich auch herausgehört. Irgendeine Stimme kann ich nicht ganz an einem Gesicht festmachen. Was peinlich ist, wie ich nach dem Googeln feststelle, da dies eigentlich Martina Linn aus Graubünden sein müsste, die ich als Kulturjournalist ja sofort erkennen müsste. Ich tröste mich jetzt mal damit, dass sie sonst Englisch singt und ich sie drum nicht gleich erkannt habe. Und natürlich Sina. Es ist ein lustiges Stimmengemisch, dass das Thema Gerüchte auf unterhaltsame Art und Weise aufnimmt und in kurzweiliger Manier in einen Song verpackt. Das Pfeifen sagt mir persönlich auch sehr zu.

«Tanz»
Erstmals finde ich es sensationell, dass man als Künstlerin in der heutigen Zeit überhaupt noch 15 Songs auf eine CD bannt. Ich mag diese Auswahl und Vielfallt total, auch wenn ich als CD-Hörer und Nicht-Streamer wohl zu einer aussterbenden Art gehöre. Der Tanz zum Abschluss nehme ich nochmals gerne an, da er wie die vorherigen Stücke auch immer wieder sehr viele Erinnerungen geweckt hat. Eine echt schmucke Ballade ohne grossen Schnickschnack, dafür mit einer wunderschönen Stimme, die es nur von einem Piano begleitet, schafft zu berühren und zu verzaubern.

«Zwischumüsig Ds Ändi vo diinär Awäsuheit»
Das letzte Stück ist ein blusiger Rausschmeisser, der zeigt, dass es neben Menschen, die ihre Zeit sinnvoll nutzen, eben auch solche gibt, die lediglich darauf warten, bis ihr Leben durch ist. Es ist noch ein guter Reminder am Schluss, dass es sich lohnt seinen Träumen zu folgen anstatt zu warten, bis es dann vielleicht mal zu spät ist.


Fazit:
«Ziitsammläri» ist ein wunderbares Konzeptalbum zum Thema Zeit. Es gibt Songs, die zum Müssiggang inspirieren, andere die zum Weitermachen motivieren und nochmals andere die aufzeigen, dass auf dieser Welt nun mal alles endlich ist. Auch wenn das Thema von den unterschiedlichen Autor:innen (Ich habe es extra vermieden, nachzulesen, wer welchen Text verfasst hat.) recht unterschiedlich ausgelegt wird, zieht sich die Thematik Liebe wie ein roter Faden durch alle Texte. Zeit zu haben oder zu sammeln, lohnt sich nur, wenn man sie auch mit einer geliebten Person teilen kann. Dieser Leitgedanke konnte wirklich sehr stimmig vermittelt werden, was das Konzeptalbum zu einer echten Perle meiner CD-Sammlung macht. Musikalisch hat Sina mit dem Produzenten Adrian Stern einen Mann gefunden, der es schafft, ihr immer das bestmögliche Fundament zu bauen, so dass ihre Geschichten mitten aus dem Leben auch direkt in die Herzen der Zuhörerschaft wandern können. Man merkt, dass die Koryphäe weiss, dass Sina im Country und bluesig angehauchten Pop-Rock am meisten brillieren kann, trotzdem lässt er immer wieder mal neue Elemente aus anderen Genres einfliessen, so dass Sina sich regelmässig von einer neuen Seite präsentieren kann und zudem zeigen darf, dass man immer noch mit ihr rechnen darf. Während andere mit Ü-50 nur noch ihr Repertoire verwalten, ist Sina zum Glück wild und experimentierfreudig geblieben, was auf viele weitere Lieder und CDs von ihr hoffen lässt.


Mehr Infos und Tickets für die Show am Freitag gibt’s hier.

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