Musikperlen: «OBK -America is back!» (2008)
Nach zwei gescheiterten Lehren als Bäcker-Konditor und Mediamatiker, startete ich 2008 meinen letzten Versuch zur Grundausbildung und heuerte beim Media Markt Chur an. Nicht wie ich es ursprünglich geplant hatte als CD-Fachverkäufer, sondern als Consumer Electronics-Verkäufer. Es war eine wilde und spannende Zeit, da ich mit Virus of the Cactus ziemlich durch das Land gezogen bin und dann im August, knapp einen Monat nach meinem Lehrbeginn, die erste Kompilation mit dem Titel «Bock uf Rock» veröffentlicht habe. In der Computerabteilung, wo meine Ausbildung begann, arbeiteten damals einige interessante Persönlichkeiten, wie beispielsweise Roland Ryffel von Blududerino, Peter Brehm von Senceless und eben auch der Churer Rapper Livio Biondini. Zu dieser Zeit war die Musik überall. Wir haben im Team oder auch mit den Personen von anderen Abteilungen ständig über Musik diskutiert. Viele dieser Freundschaften, wie beispielsweise mit Livio Wellinger, haben bis heute Bestand, was mich enorm freut.
Ich erinnere mich nicht nur wegen meiner ersten grossen Liebe gerne zurück an den Sommer 2008, denn ich hatte neben einer ziemlich hässlichen Frisur, einen Hype um meine Musik, von dem ich dachte, er würde nie zu Ende gehen. Meinen ersten Plattenvertrag unterschrieb ich bei der österreichisch/liechtensteinischen Plattenfirma Tyrolis und in der ersten Woche ging meine Kompilation wie warme Semmel weg. Ich hatte ab und zu das Gefühl ich könnte fliegen und erhielt gleichzeitig von meinen im Musikbusiness erfahrenen Mitarbeitenden auch ein paar Tipps auf den Weg, dass die Geschichte nicht mit einer grausame Bruchlandung enden würde.
Einer dieser Mentoren war immer schon Livio Biondini, der sich als Rapper LIV nannte. Er war damals schon so etwas wie eine Raplegende und auch er hatte 2008 den Sommer seines Lebens. Neben Gimma, Orange, Cigi und weiteren war er Mitglied bei der ominösen Rapcrew OBK, die mit ihrem «Scheiss auf alles»-Werk «America is back» die Schweizer Hitparade auseinandernahmen. Damals hatte ich Mundartrap relativ frisch entdeckt und freute mich neben Eminem, Breitbild, Gimma und Fanta 4 immer auf musikalischen Nachschub. Livty hat mir damals sein Album «Abgrund» empfohlen, welches ich heute noch mit viel Stolz besitze. Ist glaube ich inzwischen ziemlich vergriffen…
Musikalische Tipps gaben mir viele, doch wenige haben meine Musik so beeinflusst, wie die Tipps von Livio. Seine Inputs eröffneten mir eine neue Welt. Bald darauf kaufte ich alles, was irgendwas mit Rap, respektive vor allem Schweizer Rap, zu tun hatte. Livty wusste immer geniale Insidertipps und meine CD-Sammlung verdreifachte sich monatlich. Allgemein gab er mir viele Tipps auf den Weg, wie man in dem Business zu Recht kommt. Unvorstellbar, was ich alles an Acts verpasst hätte ohne ihn: Tommy Vercetti, DaMos, Chlyklass, Wu Tang und so weiter. Doch der Tag kam, als Livio im Media Markt den Hut nahm und ich ihn sehr lange nicht mehr sah. Auch stieg er dann irgendwann bei den «Oschtblock Kuabuaba» aus, was ich sehr schade fand, da ich gerne noch viel mehr solchen Rap hören wollte, der sich nicht so wichtig nimmt.
Später stand Livio oft mit mir im Studio, stellte mir wichtige Menschen wie Gees, Bane oder DBeatz vor, die mein Schaffen enorm erleichterten und bereicherten. Da ich damals einen Grossteil von OBK nicht persönlich kannte, erzähle ich hier auch die LIV-Story und nicht die, wie ich beispielsweise Gimma oder Cigi kennengelernt habe, da dies alles danach passierte. Die CD «America is back!» war für mich ein sensationeller Sommersoundtrack für die Tour 2008, wo ich meine Mitstreiter Mary Martens und Patrik Arnold kräftig nervte mit meiner neuentdeckten Liebe zur Rapmusik.
Doch lassen wir die Seitengeschichte ruhen und widmen uns dem Herzstück, der Musik.
Als «Intro» für die CD haben die Jungs ein Zitat von einem Betrunkenen genommen, der erklärt, wie wichtig Polenta im Kampf gegen den Welthunger sein kann. Die Qualität ist ziemlich miserabel, aber mir hat das ziemlich gut gefallen, da eine CD so wirklich mal anders startet.
Im Stück «O» stellen sich alle MCs mit ein paar fidelen Sätzen vor, wie man dies eben in der Volksmusik so macht. Die Nummer pumpt auch heute noch ziemlich krachend durch die Boxen und die Spasskombo zeigt, wie viel Druck nach vorne aufgebaut werden kann, wenn die Kräfte gebündelt werden. Boom!
«Daddy, i bin schwul!» ist Comedy pur und würde wahrscheinlich heute für einen kleineren Skandal sorgen. OBK profitiert enorm von der sprachlichen Abwechslung und von einem ähnlichen Humor, denn alle Rapper in die Zeilen legen.
In «Wild Boyz» zeigt die Bündner Boyband, wie eine romantische Pophymne mit feinen Zwischentönen klingt. Nein, Scherz. Hier gibt’s ein Punchline-Feuerwerk, welches vorsichtshalber etwas zensiert wurde. Grandios!
Bei «Süchtig» werden mit einem Mash-Sample Süchte analysiert und ohne Abschweifungen authentisch präsentiert. Eines der Stücke, dass einen ernsten Unterton in sich trägt. Während Orange irgendwas Romanisches zu sexuellen Aktivitäten raushaut, legt Cigi in bester Italomanier mit Dingen nach, die das «Dolce Vita» ausmachen. Auch Ali de Bengali gibt den Bergler und zollt Plüsch Tribut. Legendär!
«Dölf National (Skit)» empfand ich immer als Schenkelklopfer, aber keinen wahnsinnig guten Witz. Die Imitation von Hitler, der alle anderen Landessprachen verbietet, ist irgendwie nicht so prickelnd.
Die Reggaehymne «Nai, nai, nai» hingegen ist auch heute noch ein ziemlicher Knaller. Die Nummer lebt durch die verschiedenen Stile der Rapper, sowie dem grandiosen Lou Geniuz, der in der Rolle als Refrainsänger federleicht neue Höhepunkte erschafft, die für immer im Ohr hängen bleiben. Ein Meisterwerk!
Das «DJ Bobo (skit)» ist ganz grosses Kino und platziert neben einem kleinen Bobo-Diss auch noch ein paar Seitenhiebe an Gotthard. Herrlich!
Auf «Egoischt» zelebriert sich Gimma als Jesus von OBK. Dieses Lied hat mich immer an die eine Nummer von D12 erinnert, bei dem Eminem sich selbst auch in den Mittelpunkt stellt. Irgendwie krass, wie lange das schon her ist… Denn GM macht da ungeniert Werbung für sein Myspace-Profil. Lustigerweise hat zu dieser Zeit noch niemand von Facebook gesprochen…
«Kompanieusgang» porträtiert wie es der Titel schon vermuten lässt, einen Ausgang mit Soldaten. Wie viel dabei aus dem Ruder laufen kann, zeigt dieses Lied, bei dem der Vorgesetzte Korporal Schmid, sich die Zähne an seinen Rekruten ausbeisst.
Der Überhit «Feria in Guantanamo» war 2008 omnipräsent und ist auch heute noch ein zeitloser Bündner Rapklassiker. Kein Wunder, denn die Zeilen der Jungs sind schmissig, der Refrain von Lou unglaublich eingängig und das Thema hat damals wirklich niemanden kalt gelassen. Die Oschtblock Kuabuaba haben mit diesem Sommerhit damals für ziemlich viel Stimmung gesorgt, was den Albumabsatz sicher mächtig angetrieben hat.
Wer hätte gedacht, dass der Song «Wind of Arosa feat. Breitbild» immer noch so aktuell ist? Die strengen Gesetze zum Churer Nachtleben haben hier erstmals einen Soundtrack erhalten, der einem Lied Tribut zollt, das zu den grössten Breitbild-Hits gehört. Ah ja und Wind of Change von den Scorpions wurde auch noch gesampelt, was wie die Faust auf’s Auge passt.
Bevor sie mit der Formation «Härz» Platin-Alben produziert hat, war Nyna vor allem im Rapbereich eine gern gehörte Gastsängerin. Auf «Bevor du min Maa aluagsch» zeigt sie, wie viel Popappeal ein Song erhält, wenn sie ihren Engelsgesang drüberlegt.
«Ragga macht Gaga» ist das amüsante Gemeinschaftswerk von S.B.S. und LIV, welches sich über Pillen-werfende Musikfans lustig macht und zeigt, dass sie sich absolut keine Grenzen gesetzt haben.
«Küssli us Mitleid» ist ein richtiges Partyanthem, der mit einem Augenzwinkern auf die eigenen Unzulänglichkeiten und eine gewisse Hässlichkeit hinweist. Dies geschieht in einer ziemlich mitsingbaren Qualität, die einem freudig mitwippen lässt.
«Stammtisch Mafia» ist wie eine Gemeindeversammlung, bei der die Anträge layback gerappt durch die Boxen flowen. Ein entspanntes Stück Musik, welches auch heute noch frisch und zeitlos klingt.
Der Track «Scheiss uf alles» ist auch heute noch mein Lieblingstrack von OBK, denn es ist echt so, dass man auf alles scheissen kann, wenn man nicht auf den Hund scheisst. Irgendwie ist es totaler Kindergartenhumor, aber ich finde es immer noch grandioses Kino, bei dem auch der «huara Michi»-Typ nicht fehlen darf. «Hey, stört’s eu, wenn i dah dunna Fernseh luaga?» Grandios!
«Outro» ist ein Stück, welches irgendwie so gar nicht auf dieses Album passt, was es umso wichtiger macht.
Schlussfazit:
OBK’s «America is back» ist eine absolute Ausnahmeerscheinung im Schweizer Rapzirkus. Noch nie hatte ein Mayorlabel so viel Vertrauen in ein Kollektiv und es einfach machen lassen. Die fidelen Oschtblock Kuabuaba dankten es mit zeitlosen Bündner Rap-Evergreens wie «Nai, Nai, Nai», «Scheiss uf alles», «Feria in Guantanamo» und einem stimmigen Album, welches jegliche Regeln über Bord wirft und Grenzen nicht nur auslotet, sondern sie ohne mit der Wimper zu zucken niederreisst. Durch viel Humor, Kreativität und massiven Skills entstand 2008 ein Gemeinschaftswerk, welches es in diesem Ausmass wahrscheinlich nie wieder geben wird, was schon ein wenig schade ist.