Milchmaa meldet sich zurück
Willkommen zurück. Anders als viele andere Rapper verzichtest du auf intensive Vorabberichterstattung und hast deine Platte einfach mal am 26. März rausgehauen. Wie kam es zu dieser Entscheidung mit dem Überraschungsmoment zu arbeiten?
Danke fürs Willkommenheissen.
Zum einen empfinde ich eine vorgängige Promotionsphase als sehr zeitintensiv und als Familienvater ist Zeit ein kostbares Gut. Ich war nicht bereit, nur wegen diesem Album meine Prioritäten zu tauschen. Zum anderen hängt es mit dem veränderten Konsumverhalten der Musikhörer*innen zusammen, was ich z.B. sowohl bei jungen Leuten als auch bei mir beobachten kann: Wenn ich neue Musik, die mir gefällt, nur häppchenweise serviert bekomme, verliere ich schnell die Geduld und schliesslich das Interesse. Ich möchte am liebsten sofort alles von spannenden Künstler*innen aufsaugen, um ein möglichst intensives Hörerlebnis zu bekommen.
Des Weiteren stelle ich mir das sehr überraschend und effektvoll vor, nach 8 Jahren Veröffentlichungspause ein stimmiges ästhetische Gesamtwerk bestehend aus 17 Liedern und 5 Musikvideos über Nacht zu veröffentlichen – einfach so.
In den vergangenen Monaten hat es wieder einige Veröffentlichungen von Bündner Rappern gegeben. Inwiefern hat dich das motiviert auch wieder Nägel mit Köpfen zu machen?
Da der Entstehungsprozess und die Veröffentlichungsplanung für dieses Album sehr langwierig war und ich somit erst spät von den anderen Releases erfahren habe, hatten diese keinerlei Einfluss auf mich. Ich finde es aber einen schönen Zufall, dass gerade so viel neuer Bündner Rap veröffentlicht wird.
Beim ersten Blick auf die Titelliste deines neuen Albums fällt auf, dass du intensiv mit Hannes Barfuss zusammengearbeitet hast. Wo haben sich zum ersten Mal eure Wege gekreuzt und wie war es mit ihm an Lieder zu tüfteln?
Hannes’ Musik kannte ich schon länger und sie gefiel mir sehr. Ihn persönlich kennengelernt, habe ich erst 2016 oder 2017, als ich an ihn mit der Bitte herangetreten bin, meine schon damals aufgenommenen Songskizzen musikalisch aufzupeppen, allen voran mit Gesang, aber auch mit ergänzenden Arrangements.
Erfreulicherweise stimmte er prompt zu und es zeigte sich schnell, dass er ein viel tieferes Verständnis von Rap-Musik hatte, als man es annehmen konnte. Wir arbeiteten dann über die Jahre mal intensiver, mal lockerer an den einzelnen Albumliedern, stets experimentierfreudig und ungezwungen. Grösstenteils geschah dies online, gemeinsam im Studio waren wir nur wenige Tage.
Hannes habe ich als einen unglaublich begabten und feinfühligen Musiker kennengelernt, dem ich für seine wertvolle Handschrift auf meinem Album zutiefst dankbar bin. Für mich ist er der eigentliche Star auf «-muat».
2013 ist dein Debüt «-ić» erschienen. Ab wann hast du begonnen am zweiten Werk zu schreiben?
Eigentlich schon sehr schnell danach begann ich, neue Texte zu verfassen. Allerdings noch ohne die konkrete Absicht, ein neues Werk zu veröffentlichen. 2016 hatte ich dann genügend mich selbst überzeugende Texte und Beats gesammelt, um mit den ersten Studio-Aufnahmen zu beginnen. Seitdem war ich jährlich zwei bis drei Mal im Studio. Wie schon erwähnt, stehen für mich Familie, Freunde und Beruf über meiner Leidenschaft für Rap, weshalb ich nur an meinem Album arbeitete, wenn ich wirklich keinerlei andere Verpflichtungen hatte.
Das Schreiben und Aufnehmen endete schon 2019, dann liessen wir uns die nötige Zeit für das Additional Producing, für das Henrik HSA Amschler zeichnet – eine weitere kaum genug zu würdigende Bereicherung für «-muat».
Bist du jemand der immer mal Notizen macht zu Songideen oder brauchst du ein Ziel wie ein Album, um so richtig kreativ zu werden?
Songideen und Reime fliegen mir fast täglich zu. Ich sammle sie dann in meinem Kopf, bis ich genügend für ein Lied beisammenhabe. Die eigentliche Niederschrift passiert dann meistens im Bus auf meinem Arbeitsweg. Ob aus diesen Texten dann ein Album wird, ist mehr eine Frage der Zeit und der Finanzierung.
Welche Rolle nimmt Musik in deinem Leben inzwischen ein?
Eine immer kleinere, was den Umständen entsprechend auch folgerichtig und gesund ist.
Wie perfektionistisch bist du bei deiner Musik veranlagt?
Sehr. Auch wenn ich immer weniger dazu komme zu schreiben und aufzunehmen, ist es mir wichtig, das wenige, was ich noch veröffentliche, so sorgfältig, penibel und professionell umzusetzen wie möglich. Das erklärt auch den langen Entstehungsprozess meines neuen Albums. Zeit darf in Fragen der Qualität kein Faktor sein.
In den vergangenen acht Jahren ist viel passiert: Nicht nur die Freestyle Convention gibt es nicht mehr, du bist inzwischen verheiratet und sogar Vater geworden. Welchen Einfluss haben diese grossen Veränderungen auf deine Musik?
Inhaltlich beeinflusst mich das wenig. Organisatorisch hat meine Familie, wie bereits erklärt, vieles verändert. Allerdings habe ich dadurch auch gelernt, viel bewusster und effizienter an meinem Rap zu arbeiten.
Du bist in Chur aufgewachsen, lebst aber schon länger in Zürich. Plagt dich nie das «Bergweh»?
Seitdem ich Vater bin immer mehr. Ich glaube, das kommt davon, dass ich meinen Kindern eine glückliche Kindheit wünsche, wie ich sie in Chur selbst erlebt habe. Mein romantisches Ich träumt immer wieder von einer Rückkehr, aber realistisch ist es weniger. Meine Kinder sind sehr glücklich in Zürich und besuchen immer wieder gerne ihre Grossmutter in Chur.
In deinen Liedern finden sich immer wieder Anleihen aus balkanischer Volksmusik. Welche Künstler hast du bei dieser Produktion neu entdeckt?
Neu entdeckt habe ich nur ein mir zuvor unbekanntes serbisches Volkslied, auf das Hannes Barfuss bei seiner Suche nach einem Sample für das Lied «Subito» gestossen ist. Ansonsten wurden hauptsächlich ex-jugoslawische Rockbands aus den 70er- und 80er-Jahren für «-muat» gesamplet, die ich allerdings schon länger selber höre.
Viele Lieder vom ersten Album haben deinen Werdegang porträtiert. Steht das neue Album eher für das Hier und Jetzt oder kann man das nicht so pauschal sagen?
Das kann schon so sagen. Ich habe den Anspruch, zeitlose Musik zu veröffentlichen, die aber im Hier und Jetzt verankert ist. Das bedeutet, dass ich die grossen Fragen der Welt, allen voran das Thema der Identität, gerne mit Anschauungsbeispielen aus meiner Wirklichkeit erörtern möchte.