«Fernsicht» von «Kouglof» im Soundcheck
1) Süesses Sibnerli
Oh, es beginnt rhythmisch gleich spannend mit Gitarre und Bass, dann setzt eine Klarinette ein. Begleitet wird das Ganze mit einem Bongo, das ziemlich reduziert spielt, wohl auch um auch die spezielle Taktart, welche ich nicht auf Anhieb herausfinde, zu betonen. Ich würde sagen, es ist ein 7/8. Das hätte ich ja auch schon vom Titel her erraten können, fällt mir zu spät ein.
Neben der Klarinette übernimmt auch das Cello die «lüpfige» Melodie, und ich muss sagen, sie harmonieren gut zusammen. Die Aufnahme ist sauber, man hört alles gut und klar. Zwischendurch spielen alle ausgefeilte Unisonos. Es gefällt mir ganz gut bis jetzt, ich könnte mir das gut als Intro zu einer philosophischen Talksendung oder so vorstellen.
2) Dangyna
Das Stück klingt nach Südamerika, vielleicht ein wenig nach Peru, oder Argentinien, irgendwie nach Gaucho und Reiten.
Man könnte aber vielleicht auch Samba dazu tanzen, denn das Bongo erinnert mich an den Bass am Anfang von «Love is in the Air». Oder natürlich Discofox, das geht fast immer. Die Melodie ist auf Moll-Kadenzen aufgebaut und bringt zumindest im Refrain eine eingängige Akkordfolge, welche die Melancholie ein wenig vertreibt.
Von der Länge der einzelnen Segmente her überrascht die für mich zu kurze Pause zwischen den Wiederholungen des Hauptparts, doch es klingt spannend und bei 2/4 ist das auch gang und gäbe.
Mich selbst bringt es beim ersten Mal hören ein wenig aus dem Trott, ist man sich doch vom Mainstream gewohnt, wie viele Takte solche Parts normalerweise haben. Das Schema eins wiederholt sich und darüber wird mit der Klarinette soliert. Ich bin mir nicht sicher, aber ein Ton im Solo klingt mir ein wenig nach Freejazz.
3) Five Steps
Im Intro klingt dieses Stück fast ein wenig wie aus dem Musical Cats oder so. Je nach Zählart komme ich auf 9/8, aufgeteilt in 3/8 und dann 6/8. Jedoch nachher ändert es in einen langsamen 5er, wie man ihn z.B. von Dave Brubecks «Take Five» kennt. Zuerst klingt es eher ein wenig düster, vielleicht, weil der Bass, wahrscheinlich ein 5-Saiter, vielleicht ein Fretless, recht tief ein Intervall spielt, doch dann klart die Sonne im Refrain auf. Auch später spielt er ausgefeilte Soloparts.
Das Cajón macht einen guten, recht unaufgeregten Job, und schon bei den letzten Stücken fiel mir die akustische Gitarre mit gutem, präzise abgestopptem Strumming auf, das zwischendurch recht funkig tönt. Der Titel gefällt sicher Jazzfreunden, und spontan kommt mir die alte Sendung «Panoptikum» in den Sinn.
4) Fondue
Mit einer schmelzenden, langsamen, Walzer Melodie beginnen Fretless und Cello, nicht in jedem Ton ganz rein, was aber nichts ausmacht. Die kleinen Detunes passen hier sogar sehr gut dazu und verleihen einen melancholischen Touch. Der Titel ändert dann aber überraschend zu einem schön locker und leicht mit Besen auf dem Snare gefegtem Swing.
Der Bass legt auch hier nicht nur den Boden und beginnt im Chorus, – oder besser, da es ja keine Gesangsstimmen auf der Sammlung hat, im Hauptteil, in einer bekannten Jazzharmoniefolge zu «walken». Walking Bass nennt man das, wenn auf jeden Viertel ein anderer Ton gesetzt wird.
Alles zusammen, wahrscheinlich auch durch die zum Ton hoch gleitenden Legato-Striche der Geige, lässt mich an Gypsy-Jazz von Django Reinhardt denken. (Darf man das in Englisch noch schreiben, oder heisst das jetzt Roma-Jazz? Musik Fahrender?)
5) Baykat
Der Track beginnt mit einem Perkussions-Part, wo wohl auch die anderen auf ihre Instrumente klopfen. Er klingt ein wenig orientalisch, nach mongolischer Steppe. Auch hier in der «Strophe» ist die Komposition erst in einem einfachen Moll-Abgang gehalten, und wieder wird es im «Refrain» heller. Wären nicht die Rhythmen total unterschiedlich, hätte ich gesagt, dass die Grundbausteine der Kompositionen schon sehr ähnlich zu einem der letzten Stücke sind. Zwischendurch gibt es wieder Abwechslung mit dem Trommelteil und kurzen, gut einstudierten Zwischenteilen.
6) Schtill Schtah
Still stehen ist schwierig bei diesem 3+2-Viertel-Takt. Die Melodie ist wieder eingängig. Langsam aber sicher habe ich das Gefühl, dass der Bassist die Tracks schreibt. Endlich hat die schon erwähnte funkige Gitarre zusammen mit dem Cajón (eigentlich eine Holzkiste mit schnarrenden Federn drin, wo man draufsitzt) so quasi einen Solopart, wo sie erst einfach das Lick durchspielt, gut und präzise rhythmisch gemutet. Danach hat wieder der Bass einen Solopart. Wenn alle miteinander spielen, gibt es aufgrund der nicht alltäglichen Instrumentierung schon einen ganz charismatischen, unverwechselbaren Sound.
7) Wia der Summer
Schön angenehm rauschend und wie immer sehr leise groovend beginnt der Perkussionist hier wieder mit «bäsele». Damit hat man Zeit, sich an die erneut unkonventionelle Taktart zu gewöhnen. Ich zähle zuerst 6/8, dann 5/8, doch wenn man sich an der romantischen Melodie orientiert, ist es trotzdem leicht und eingängig. Fast klassisch vom Aufbau her tänzelt es am Anfang daher, dann spielt die akustische Gitarre ein wunderschönes Solo, das Cello und die Klarinette unterlegen derweil sachte die zwei Akkorde. Auch dieser Track erinnert mich an eine ältere Fernsehserie, doch mir will es nicht in den Sinn kommen, welche das war. Ja, klingt auf jeden Fall nach Sommer.
8) Yswe wabant'a Bami
Überraschenderweise wir hier sogar ein Part gesungen. Ich nehme an, es soll südafrikanisch oder so klingen, doch es klingt dafür ein bisschen zu sehr nach typischem Schweizer Musikunterricht, den ich damals meinem Gospelchor immer auszutreiben versucht hatte, wenn wir afrikanische Songs performten. Und doch klingt es bei dieser Gruppe schön und plätschert ruhig und angenehm dahin. Es ist eben ihr persönlicher Stil, den ich eigentlich mag, so, wie er ist. Irgendwie ändern meine geografischen Zuordnungen während des Songs, denn auf einmal klingt es wieder fast nach Osteuropa, dann doch wieder in der Wechselfolge der Durkadenz I IV V nach unaufgeregtem Afrika.
9) Houderebäseler
Vom Songtitel her erwarte ich jetzt ein «bärndütsches Gschichtli», habe ich das Wort doch schon einmal bei Franz Hohler gehört. Wahrscheinlich ist damit der Perkussionist mit seinen sanften Besen gemeint? Doch nein, falsch gelegen: Er spielt das Cajónbei dieser auch wieder etwas nach Ostblock klingenden schnellen, fast schon Ska-artigen Polka, und kein Snare. Gut, vielleicht hat er in der einen Hand einen Besen. Die Melodie ist wieder eingängig, bewegt sich wie in den meisten der anderen Tracks auf einer Moll-Kadenz, aber vielleicht kommt mir das auch nur so vor. Die Klarinette gleitet, wie später das Cello, schmachtend von Ton zu Ton, in den Soli quietscht es ein paar mal ganz lustig in der Gegend herum.
10) Fernsicht
Das Intro beginnt beginnt hier wieder unisono, dann wechselt die Stimmung zu einer Art «Light my fire», auf jeden Fall erinnern mich die ersten beiden Akkorde daran. Der Fretless spielt Flagolett, das Ganze wird so ein wenig ätherisch leicht. Das anschliessende Solo ist sicher nicht einfach zu spielen. Ich persönlich mag aber besonders, wenn er zusammen mit dem Perkussionisten cool wieder den langsamen 16-Beat übernimmt. Auf einmal beginnt beide, in kubanischer Art und Weise, auch noch ein wenig Salsa einfliessen zu lassen, als der Perkussionist auf die Bongos wechselt. Er spielt gut, sein Rhythmus ist häufig viertaktig, bevor er sich wiederholt, zwischendurch kehrt er ihn auch um. Was es jetzt genau ist, ist schwer zu sagen, wenn nur die Bongos diesen Beat spielen. Bei der Heimorgel meines Vaters hiess so etwas früher «Beguine».
11) Je vous ai rencontré
Auch dieser langsame Titel kommt mir seltsam bekannt vor. Er ist einerseits melancholisch, andererseits sehr romantisch. In einer Doku würde er gut zu einer Fahrt passen, wenn jemand seine Heimat nach 50 Jahren wieder besucht und seine fast vergessene Familie trifft. Das Cello schluchzt sehnsüchtig, und durch die einsetzenden Instrumente erhält das Stück den Charakter einer Fuge, während der Drummer verhalten das Standtom mit den Fingern spielt.
12) Luna Tucumana
Fast eine Art ungarischer Walzer mit vielen rhythmischen Feinheiten und klassisch mit dem Hauptaugenmerk auf die Melodie gerichtet rundet die gesamte Sammlung fast in der gleichen, etwas melancholischen Stimmung ab.
Fazit:
Die Band ist nicht leicht einzuordnen. Sie macht Anleihen aus verschiedenen Qulturkreisen und erzählt eindringlich, jedoch vollkommen unaufgeregt Geschichten aus dem Leben. Der östliche Einfluss verleiht dem ganzen einen melancholischen Charakter, der auch zugleich romantisch sein kann. Die Musik ist von den Kompositionen her eher klassisch, manchmal aber auch jazzig angehaucht. Sie ist ruhig, verhalten und sehr sensibel performt. Man merkt, mit welcher Sorgfalt hier an den Details, den Melodien, dem Arrangement und der Gesamtstimmung gefeilt wurde. Bei vielen Stücken hat man das Gefühl, man kenne sie von irgendwo her. Die Instrumentalisten lassen allesamt nichts zu wünschen übrig, ganz einfach sind die Rhythmen keinesfalls zu spielen. Die hierzulande seltener benutzen Taktarten und die spezielle Instrumentierung verleihen der Gruppe einen speziellen, manchmal ein wenig symphatisch schrägen Charakter, der zwar Anleihen aus verschiedenen Kulturkreisen macht, jedoch immer wieder ein Land aus dem Ostblock assoziieren lässt. Manchmal wähnt man sich in einer kargen Steppenlandschaft in Turkmenistan. Jeder einzelne Track würde gut zu einer Reisedoku auf SRF passen. Ja, es wirkte auf mich angenehm beruhigend und hat mich auch auf eine unnachahmliche Art und Weise berührt. Eigen-artig.
Fernsicht ist nach «verdrejter Kopf» (2008) und «majstjarnen« (2014) die dritte Aufnahmensammlung von «Kouglof». Sie verknüpft fünf Traditionals aus drei Kontinenten mit sieben Eigenkompositionen zu einem kaleidoskopischen Musikgewebe zwischen Nah und Fern. Diese Aufnahmen wurden live eingespielt im November 2021 in der Aula des Nikolaischulhauses in Chur, aufgenommen und editiert von Thomas Bruderer, klangkultur.ch, Davos.
Mehr dazu auf ihrer Homepage https://www.kouglof.ch/