Nachgefragt bei: Jérôme von Carvel'
Eine wirklich funkige Bassline spielt perfekt mit dem reduzierten Grundbeat zusammen, dazwischen unterstreichen scharfe, kurze Chorrufe ganz im Stile der guten alten Disconummern die unaufdringlichen Vocals des Sängers. Ich muss sagen: Es groovt wie die Hölle und lässt mich auch auf dem Bürostuhl ein wenig mitshaken. Grund genug, an die Basler Band ein paar Fragen zu richten, welche ich William, ihrem PR-Manager schicke.
Hallo miteinander, willkommen zurück. Ist es möglich, dass Ihr für die Leserschaft kurz erklärt, wer ihr so seid und was Carvel so vom Konzept her darstellt?
Klar! Wir sind Carvel' aus Basel, mögen Disco im Band-Format und der Titel unserer aktuellen Single widerspiegelt ziemlich genau unser Konzept: Never too sad to disco! Wir haben vor ein paar Jahren festgestellt, dass wir uns am wohlsten fühlen, tanzbare Live-Shows zu spielen, die unser Publikum im besten Fall lächelnd und bestens gelaunt nach Hause kommen lässt. Dass wir uns dabei nicht allzu ernst nehmen, widerspiegelt sich mittlerweile auch in unseren Musik-Videos - und das bleibt hoffentlich auch so. Soviel erstmal aus unserer Marketing-Abteilung :)
Ich empfinde Eure Discomusic angenehm wohltuend im Gegensatz zu den ewig gleichen EDM Clubbing Hits. Welche Vorbilder haben Euch dazu inspiriert?
Danke, das hören wir natürlich gerne! Die EDM Hits gehen natürlich voll auf Party mit möglichst eingängigen Melodien und viel Druck, da liegt der Fokus bei uns wohl eher auf dem Disco-Grundvibe. Wenn wir uns beim Songwriting schon wegen der Bassline und dem Beat angrinsen, wissen wir, wir sind auf dem richtigen Weg.
Unsere Musik passt abgesehen von der Konzertbühne wohl auch besser zu heiterem Daydrinking als frühmorgens in den Club..:) Nebst Mixtapes und DJ-Sets motivieren uns da Bands wie Jungle, Parcels oder Franc Moody immer wieder, diesen Grundvibe selbst zu jagen.
Wie ich höre, habt ihr Eure Tournee gut zu Ende gebracht. Gibt es spezielle Glücks-Erlebnisse, die Euch besonders im Gedächtnis geblieben sind?
Ja, grösstenteils lief die Tournee tatsächlich wunderbar! Da so viele Shows direkt aufeinander folgen, ist es rückwirkend fast etwas schwer, die Nächte einzeln zu verarbeiten - Da spielst du eine Show in Hamburg mit unglaublich tollem Publikum und am nächsten Tag betrittst du vor 1’000 Menschen in Amsterdam die Bühne - Jetzt wo für uns wieder der Alltag eingekehrt ist, echt ziemlich surreal. Es gibt aber auf jeden Fall viele Momente, die uns für immer bleiben werden. Nach der ausverkauften Show in London haben wir unseren Merch-Stand vor dem Club draussen an einem der Canals aufgebaut und so viel tolles Feedback erhalten, Autogramme geben und Fotos gemacht. Mitten in Camden Town am Queens Day. Da wurde uns so richtig bewusst, was wir gerade erleben dürfen. In Polen haben wir vor einer Show Geschenke von Fans erhalten, die uns noch von einer Support-Tour vor der Pandemie kennen?! Es war generell unglaublich schön, wie herzlich wir überall empfangen wurden - Man hört ja oft, dass es als Support Act nicht immer einfach ist. Und dann kommst du in Prag auf die Bühne und das Publikum ist ab der ersten Sekunde bis zum Schluss voll da - das waren für uns schon unglaublich euphorische Momente.
Was bleibt ist vor allem dieser Gesamteindruck, dass wir als Band irgendwie überall super empfangen wurden und wir richtig viel Wertschätzung für unsere Musik spüren durften. Und das von einem Publikum, dass eigentlich auf den Main Act wartet.
So, und jetzt wollen wir natürlich noch ein paar eher peinliche, missliche oder gar skandalträchtige Anekdoten aus dem Tourleben lesen, die man sonst höchstens am Ende eines feucht-fröhlichen Abends ein paar abgefuckten Musikerkollegen zum besten geben würde.
Die Tour ging leider (?) relativ frei von Peinlichkeit und Skandalen über die Bühne. Als Support Act versuchst du natürlich auch einfach einen guten Job zu machen, um im besten Fall wieder mal eine solche Möglichkeit zu erhalten. Ok, Mario (Frontmann, Gesang) schrie nach dem ersten Song bei der Show in Brighton in Rockstar-Manier in das Mikro: «Manchester, how are you doing?» Da wollten wir schon alle kurz ein bisschen weniger im Rampenlicht stehen - wir waren ja auch nicht bereits seit Monaten auf Tour und wussten nicht mehr in welcher Stadt wir spielen. Er hat sich dann glücklicherweise aber sehr sympathisch aus der Situation manövriert und abgesehen von ein paar Booh-Rufen kamen wir mit viel Gelächter davon.
Was hat richtig Stress verursacht oder lief alles wie am Schnürchen?
Die Tour ging ja gleich in England los und als wir am ersten Tour-Tag in Calais durch den Eurotunnel wollten, haben wir die Konsequenzen des Brexit zu spüren bekommen. Als Schweizer Band dachten wir nicht daran, dass sich für uns vieles ändern würde - zugegebenermassen war das ein bisschen blauäugig. Auf jeden Fall wurde uns da die Einreise verweigert, die Pässe eingezogen und wir mussten von der französischen Polizei zurück auf französischen Boden eskortiert werden. Laut den Beamten konnten wir nicht damit rechnen, in den nächsten vier Tagen einreisen zu dürfen. Vier Stunden und £280 später konnten wir dann aber dank unzähliger Telefonate, auch mit dem Tour-Management von The Score, trotzdem einreisen. Das war kurzzeitig natürlich ein ziemlicher Dämpfer. Wir können aber echt glücklich sein, wie das Ganze verlief. In Köln wurde die Scheibe unseres Vans eingeschlagen. Glücklicherweise kam nichts weg, auch nicht als wir am nächsten Tag den Van nur mit einer Plastikfolie ohne Scheibe mitten in Paris über Nacht parkiert mussten, da alle Parkhäuser zu niedrig waren. Das war auf jeden Fall nicht unsere entspannteste Nacht.
Wie habt ihr euch eigentlich kennengelernt? Gibt es andere bekannte oder weniger bekannte Formationen, in welchen der eine oder andere vorher war oder immer noch ist?
Wir sind tatsächlich noch eine Art «Schülerband»- wir kennen uns schon eine ganze Weile. Mario (Gesang, Gitarre) und Tobi (Synthesizer) sind als Brüder in einer musikalischen Familie aufgewachsen. Simon (Bass) und ich (Jérôme, Drums) kamen dann als Schulfreunde hinzu, nachdem wir alle in unterschiedlichen Formationen ein wenig experimentiert haben. Wir sind dem CARVEL-Projekt aber immer treu geblieben, mal mehr, mal weniger intensiv und auch nie voll beruflich. Um als Band auch nur ein bisschen voranzukommen braucht es auch unglaublich viel Zeit und Energie - ich glaube da zahlt es sich für uns jetzt auch etwas aus, dass wir unseren Fokus nie zu sehr auf mehrere Projekte gelegt haben. Wir hören auch immer wieder, man merkt es uns an, dass wir langjährige Freunde sind. Das spiegelt sich wohl in der gemeinsamen Spielfreude auf der Bühne.
Wenn ich euren neuen Track anhöre, sind die meisten Spuren ja programmiert, was natürlich absolut kein Vorwurf sein soll, sondern es ist heute eher die Regel. Wie gelingt es euch, das live zu performen? Den Bildern aus den Konzerten entnehme ich, dass ihr ja nicht einfach zum Playback singt und tanzt. Wie sieht die Instrumentierung aus?
Auf jeden Fall, Drum-Samples, Loops und Synthies gehören bei der Disco-Klangwelt auch absolut dazu. Auf der Bühne haben unsere Produktionen dann aber schon stärkeren Live-Charakter: Bass, Gitarren und echte Drums werden bei uns wohl nie von der Bühne verbannt, dafür mögen wir es auch zu sehr, als Band live zu spielen. Zusätzlich kommen aber auch Spuren aus dem Backing-Track hinzu - wir haben den Anspruch, eine möglichst druckvolle Live-Produktion abzuliefern, die mit den grossen Acts trotz fehlendem Budget mithalten kann. Da steht bei uns als poppige Band das Entertainment schon vor einem puristischen Ansatz.
Wie viel wird Euch von der Plattenfirma oder vom Management eigentlich vorgeschrieben? Haben sie nur Tipps oder seid ihr da völlig frei?
Zurzeit sind wir, abgesehen von Promo-Agenturen und gezielten Bookings, komplett eigenständig unterwegs. Wir haben ein immer grösseres Netzwerk, auf welches wir zurückgreifen können, vorgeschrieben wird uns aber nichts. Das ist auf jeden Fall sehr angenehm und lässt uns natürlich sehr viel Spielraum. Wir würden es anderen Bands nur empfehlen. Wenn du als Künstler als 15. Priorität im Band-Roster eines Labels auftauchst, spielst du nicht viele Shows. Gleichzeitig bedeutet das aber auch sehr viel Arbeit neben der eigentlichen Musik. Wir sind immer auf der Suche nach Partnern, da muss aber einfach alles zusammenpassen.
Wie sehen Eure nächsten Pläne aus? Müsst ihr wieder normal bügeln gehen, um Euch die Brötchen zu verdienen oder könnt ihr euren Lebensunterhalt jetzt schon oder vielleicht in Zukunft mit Eurem Sound bestreiten? Was sind Eure Alltagsjobs, wenn ihr welche habt?
Das Tourleben gehört für uns nach wie vor nicht zum Alltag. Wir sind Lehrer, Bauphysiker und in der Forschung tätig. Das wird wohl auch in der nahen Zukunft auch aus finanziellen Gründen so bleiben. Wir werden auf jeden Fall weiterhin versuchen, alle Möglichkeiten wahrzunehmen, um vielleicht eines Tages von der Musik leben zu können. Dass wir finanziell nicht davon abhängig sind, hat aber aus künstlerischer Sicht sicherlich auch seine Vorteile - letztlich sind wir momentan nur uns selbst Rechenschaft schuldig, das ist auch befreiend.
Wie war das auf der Tournee mit Score?
Erstaunlicherweise bekamen wir das überhaupt nicht zu spüren. Wir haben für die Jungs von The Score ja auch einen Teil der Backline (zum Beispiel Drums) gestellt und unseren Audio-Engineer als Tour-Techniker mitgebracht. Das war vertraglich aber nie abgesichert und hätte beispielsweise bei einer verweigerten Einreise in die UK für The Score zum Problem werden können. Tatsächlich lief die ganze Planung und auch die Tour selbst sehr unkompliziert ab: Wir haben unsere Stage-Time eigentlich immer gut 5 Minuten überzogen und in Paris bei der letzten Show von The Score die Bühne gestürmt - sehr zu deren Freude. Das war alles sehr familiär und ist vermutlich alles andere als selbstverständlich. Wir sind aber gute Freunde geworden und werden im Winter wohl auch nach LA reisen, um mit Edan Dover (Produzent und eine Hälfte von The Score) einen Song zu produzieren.
Bei The Score wurde aber schon ersichtlich, dass im Hintergrund viele Menschen mitwirken und davon abhängig sind, dass die Band als Marke an ihre bisherigen Erfolge anknüpfen kann. Da entsteht auf jeden Fall auch Druck für die Künstler und das Musikbusiness ist allgegenwärtig.
Etwas ganz Wichtiges habe ich vergessen zu fragen, was wollt ihr unbedingt noch loswerden?
Herzlichen Dank für das Interview.