Blues- und Rock Open Air Bühler Erlebnisbericht
Es ist Samstag Nachmittag und mein rechtes Ohr schmerzt wie die Hölle, hatte ich doch die letzte Woche nachts immer mit Kopfhörern arbeiten müssen, damit nicht das ganze Haus wach wird, wenn ich eine Review schreibe oder produziere.
Um Mittag lege ich mich noch einmal kurz hin, doch ehe ich mich versehe ist es schon 15 Uhr. Soll ich wirklich in mein Maxomobil steigen, und einen ganzen Abend langweiligen Blues hören gehen? Die Bands auf dem Programm sagen mir auf den ersten Blick nichts. Ich dachte mir, im Bühler, einem kleinen Dörfchen in AR wird sowieso nichts Wahnsinniges los sein, obwohl ich den Bogenkeller, wo der Bluesclub Bühler untergebracht ist, schon besucht habe und dort regelmässig tolle Bands aufwarten. Gleichzeitig finden eben noch andere Festivals statt, zum Beispiel das Postplatz Open Air in Appenzell.
Doch da mich Werner so freundlich eingeladen hat, werde ich jetzt bloss wegen Ohrenschmerzen sicher nicht kneifen und eben die Zähne zusammenbeissen.
Ich stopfe einen Stöpsel in mein Ohr und mache mich von St. Gallen auf den Weg Richtung Teufen. Vor Gais liegt der Bühler, wo ich sonst ehrlich gesagt nur die grosse Autogarage kenne, und eben den Bogenkeller. Man fährt dort meistens eher vorbei, ich zumindest. Ich frage mich, wo da ein Open Air sein könnte. Auf der Homepage selbst habe ich auf die Schnelle keine genaue Beschreibung gefunden.
Doch wunderbar, direkt von der Hauptstrasse weg führt ein grosses Schild zu den Parkplätzen. Security mit Leuchtwesten weisen einem den Weg zu einem freien Parkplatz vor einer Fabrikhalle. Die Autos sind überall verstreut vor den umliegenden Firmen und an der Strasse. Es scheint also wider Erwarten ein paar Leute zu geben, die den Weg hierhin gefunden haben. Ich frage den Platzanweiser, wo denn die Bühne sei, denn ich höre keinen Ton, wie üblicherweise. Er weist mir den Weg. Etwa 100 Meter die Strasse runter, bei dem grauen Haus rechts. Und siehe da: Kommt man um die Kurve, sieht man auf einmal Pavillonzelte, welche die Strasse säumen. Ich melde mich, wie verabredet an der Kasse, bekomme ein Ticket und sogar einen Konsumationsgutschein für 20 Franken. Anstehen muss ich nicht, und der Weg die Strasse runter, wo links und rechts Festbankgarnituren unter Dach stehen. Sie sind mindestens zur Hälfte schon besetzt von Publikum, mit welchem ich nicht gerechnet hätte. Der Durchschnitt ist um die 50 oder 60, viele haben lange Haare und schon vom ersten Festbank aus werde ich begrüsst. Die meisten kenne ich aus den guten alten Zeiten, wo man unzählige Nächte zusammen in einem St. Galler Jamsession-Lokal namens Blueskeller verbracht hatte, welches heute leider nicht mehr existiert.
Ausser den, mir sehr sympathischen Althippies, Motorradfahrern, Blues-Rockern und Familien sehe ich auch knackige junge Blumenkinder, stilecht barfuss, in Hotpants und bauchfreiem Top. Ich frage mich, wie sich die eigentlich sonst so das ganze Jahr über verstecken, denn man sieht sie ausnahmslos an solchen Anlässen.
Zuunterst in der Sackgasse steht die Bühne auf einem überschaubaren Platz, auch umrahmt von Zelten. Es gibt Bars, Grillstände und die Stimmung ist schon am Nachmittag toll, manche Tänzer sind schon total nassgeschwitzt von der ersten Band «Furhammer», welche ich leider verpasst habe. Ich höre auf Spotifiy ein paar Songs von ihnen, während ich das schreibe, und muss sagen: Doch, die Kerle haben wirklich eine Ahnung von Blues und scheinen versiert und vielfältig. Im Netz klingen sie sehr abwechslungsreich, bedienen verschiedenen Sparten des Genres und haben schon mehrere Platten veröffentlicht.
Wenn ich übrigens manchmal «Platten schreibe», meine ich damit natürlich Alben, für die jüngere Generation. So nannte man diese grossen, runden schwarzen Dinger aus Vinyl.
Als ich später Leute aus dem Publikum frage, wie die erste Band war, sagen alle entweder «Super», «Hammer», «Echt geil», jedoch wirklich beschreiben kann den Stil niemand, lustigerweise. Ein alter Freund von mir sagt dann, es sei wahrscheinlich Blues-Rock gewesen, aber er höre eben anders Musik als ich, nicht so analytisch, und er könne auch nicht sagen, warum es ihm gefalle oder nicht, aber es sei gut gewesen.
Mittlerweile beginnt die zweite Band direkt mit wirklich knackigem, energiegeladenen und funkigem Blues-Rock. Der Keyboarder gibt alles, klingt teilweise wie Stevie Wonder und schüttelt dabei den Kopf, sodass meine Tischnachbarn scherzhaft vermuten, der werde sicher morgen ein Schleudertrauma davon haben. Genau so muss das sein. Manchmal singt der wirklich abwechslungsreiche und vielseitige Gitarrist, und seine Stimme gefällt mir sehr gut. Die Sängerin mit langen grauen Haaren überrascht eindrücklich mit ihrer rauchigen Soulstimme. Bass und Schlagzeug machen hervorragende Arbeit und spielen wirklich präzise, gut arrangiert und toll abgemischt so zusammen, dass auch langsame Titel druckvoll Soul versprühen.
Um es klar zu sagen: Bereits jetzt bereue ich keine Sekunde, den Weg auf mich genommen zu haben. Ich werde an einen Tisch zu alten Freunden gewunken, wo mir noch unzählige andere Musiker, Jammer und Bluesfreunde vorgestellt werden. Die Stimmung ist super, die Sonne scheint noch, jeder der Schatten will, hat Schatten, niemand braucht für ein Bier anzustehen und sogar die Aschenbecher werden regelmässiger als in einem Restaurant geleert.
Überall wuseln Helfer mit top designtem Bluesclub Logo auf den T-Shirts herum und jeder arbeitet fleissig in seinem Metier. An dieser Stelle ein riesengrosses Kompliment für die hervorragende Arbeit der ganzen Crew dieses Clubs! Ich habe persönlich noch nie ein Festival erlebt, dass so gut organisiert war, und das von A-Z!
Je später der Abend, desto mehr füllt es sich, und unaufhaltsam strebt ein Strom von Musikfreunden Richtung Bühne. Ungezwungen setzen sich immer wieder verschiedene Leute zu uns an den Tisch und gehen dann wieder tanzen, alle durchwegs gut gelaunt und man geniesst es sichtlich, endlich wieder einmal unter Gleichgesinnten zu sein, welche man die meisten kennt.
Schauli, der Bluesharpspieler und passionierte Harleyfahrer, sitzt vis à vis von mir. Nur schon durch seinen schneeweissen Bart im Stile von ZZ Top passt er zu so einem Festival wie die Faust aufs Auge, natürlich auch mit seiner Gemütlichkeit, die er immer ausstrahlt, ganz egal, in welcher Situation er sich befindet. Er erzählt mir, dass er schon häufig an diesem Fest war, weil er bei einer Firma gearbeitet habe, die Parkplätze zur Verfügung stellt, und es schon immer gut gewesen sei. Typische ältere Appenzeller selber würden weniger kommen, die hörten meistens lieber noch traditionelle Musik aus der Region, wie Jodeln, Zäuerli oder Schwizerörgelimusik. Warum kann einem denn eigentlich nicht beides gefallen?
Mittlerweile steht Danny Bryant mit Band auf der Bühne, welchen ein paar an meinem Tisch kennen. Ein bisschen erinnern sie mich am Anfang an Pink Floyd, und vielleicht ein wenig allzu häufig belegt jedes Instrument jede verfügbare Frequenz, was den Mischer hörbar vor eine grosse Herausforderung stellt, denn es beginnt zu wummern. Als ich mich durch die Menge vor der Bühne quetsche, scheint das jedoch überhaupt niemanden zu stören, sondern sie wiegen sich mit geschlossenen Augen zur Musik hin- und her. In meinen Ohren klingt diese Formation im Gegensatz zu den anderen sehr improvisiert. Mich erinnert es erneut an die unendlichen Abende im Blueskeller, wo man auf zwei- drei Akkorden stundenlang Solos zu den immer gleichen Akkordfolgen zelebrierte, zwischendurch einfach einmal wieder sehr laut und dann sehr leise wurde. Ich mag selbst mittlerweile lieber, wenn jedes Instrument seinen Range hat und nicht eine undefinierbare Wand auf mich zukommt, muss aber gestehen, dass ich es selbst auch manchmal mache. Jedoch das richtige Mass ist auch da entscheidend. Doch wie immer: Es ist auch Geschmacksache.
Ein paar in meiner Umgebung wollen nach Hause, doch sie werden zurückgehalten, denn Vanja Sky sei vielversprechend. Tatsächlich: Auf einmal klingt der Mix wieder glasklar aus den Line-Arrays, die für diese Verhältnisse sehr gut dimensioniert sind. Eine sehr attraktive Blondine mit Gitarre mit einer guten Rockstimme wird umrahmt von zwei bärtigen und langhaarigen Hünen mit Gitarre und Bass, während hinten der Drummer, wie alle auch sehr professionell, den Takt angibt. Sie spielen auch poppige Stücke, die weniger mit Blues zu tun haben, aber dem Festival einen zeitgemässen Touch verleihen. Dem Internet entnehme ich, dass sie ursprünglich aus Kroatien kommt. Ihr Album «Woman Named Trouble" wurde mit einer Studioband im Hamburger Shaltona Studio aufgenommen. Während sie nur schon von ihrer Erscheinung her ein echter Hingucker wäre, spielt sie auch noch richtig gut Gitarre. Für mich ist klar: Hier wurden internationale Vollprofis eingeladen, die mühelos auch alten Covers einen neuen Glanz verleihen.
Es ist mittlerweile brechend voll. Vor dem Foodstand steht eine lange Schlange. Die abwechslungsreiche Speisekarte mit beliebten Klassikern ist heissbegehrt. Erst als sich die Reihen endlich lichten, bestelle auch ich mir einen Hamburger mit Pommes, wobei mir jedoch genau ein Feld auf der Karte fehlt, doch die hübsche Dame hinter dem Tresen drückt spontan ein Auge zu. Endlich wieder einmal ein richtig fetter Burger, mit wunderbaren Saucen, perfekt zubereiteten Pommes, denke ich mir. Einer hatte mir erzählt, dass ihn die Musik überhaupt nicht störe, aber er käme jedes Jahr nur wegen des Essens her, was mich zu einem Lachanfall nötigte.
Während ich mein Essen geniesse und an meinem mittlerweile leeren Tisch sinniere, was ich denn schreiben soll, beobachte ich die letzte Band mit dem Namen «Rob Orlemans & Half Past Midnight», welche rund um Mitternacht die gelichteten Reihen rocken. Auch sie bringen eine glänzende Leistung auf die Bretter. Jedoch heutzutage muss man ja noch heimfahren und ab einem gewissen Alter zelten ja viele nicht mehr so gerne, obwohl ein Zeltplatz auch vorhanden wäre, welchen ich aber nicht gesehen habe. Die Band ist jedoch wirklich sehr fetzig und es ist schon ein wenig schade, sind viele Ältere des Publikums mittlerweile derart vernünftig geworden, dass sie um Mitternacht schon müde werden, aber ich selbst bin auch nicht mehr ganz wach.
Ich entschliesse mich, aufzustehen und mich vollends befriedigt und voll von durchwegs positiven Eindrücken und vielen alten Erinnerungen bedächtig auf den Heimweg zu machen. Erst jetzt merke ich wieder, dass ich ja eigentlich Ohrenschmerzen habe. Egal, das war es wert.
Mein grosser Respekt und Dank gilt allen Beteiligten, die dieses wunderbare Festival zu einem unvergesslichen Erlebnis gemacht haben. Gerne wieder, Leute!