YTs «Gschicht schribä» im Soundcheck
Der junge Yannick Tinner ist ein hungriger und zugleich auch ziemlich talentierter Rapper. Der 26-Jährige aus dem Zigerschlitz ist in der Szene ein Ausnahmetalent und zu allem auch noch ziemlich auf dem Boden geblieben, trotz Hype und Lob von Fachpresse und alteingesessenen Szenestars. Als ich vor drei Jahren mit der Idee einer Bock uf Rap-Tour an ihn herantrat, war er sofort fix dabei. Auch wenn die Konzerte zum Teil eher schwach besucht waren, spürte jeder, der dabei war, dass der Glarner schon damals noch einige Hits im Köcher bereithielt. Im Rückblick denke ich, er wusste, dass ein Rapper sich on the road die Sporen abverdienen muss, weshalb er immer topmotiviert auftrat. Wenig später nahm seine Karriere mächtig Fahrt auf.
Sein Debütalbum «Griselda Blanco» chartete im gleichen Jahr noch auf dem passablen 52. Platz und auch sein Gemeinschaftswerk mit Radical «Vrenelisgärtli» aus dem Jahr 2018 schaffte es sogar auf Platz 25 der Hitparade.
Durch den Fakt, dass ich ihn bereits in einem frühen Stadion seiner Karriere kennenlernen durfte, habe ich medial natürlich beide Werke begleitet. Seinem Debütalbum gab ich auf GRHeute folgendes Votum:
«YT hat auf seinem Debütalbum «Griselda Blanco» einen Weg gefunden, moderne Beats zu picken, ohne sich in ein Doubletimemonster ohne Message zu verwandeln. Da er respektvoll mit den Wurzeln umgeht, schafft er ein Werk, das eigenständig und unverwechselbar eine Brücke zwischen modernem und klassischem Rap schlägt. Die Geschichten sind abwechslungsreich und mit grossartigen Beats umrahmt. Ein rundes Werk, das hoffentlich mit einem Charteinstieg belohnt wird.»
Sein zweites Werk mit Radical im Schlepptau bewertete ich für GRHeute folgendermassen:
«Rap aus dem Zigerschlitz muss nicht nur von «Luut und Tüütli» kommen. Nein, der erfahrene Radical und der junge Rookie YT zeigen, dass der Schlitz in Sachen Rap einen wahnsinnigen Facettenreichtum aufweist und sich überhaupt nicht verstecken muss. Die beiden Rapper aus zwei verschiedenen Generationen verbinden nicht nur stilmässig verschiedene Rapdekaden, auch bei den Themen haben sie einen gemeinsamen roten Faden gefunden. Die elf Lieder umfassen eine grosse Bandbreite an Themen und sind alles andere als 0815. «Vrenelisgärtli» ist ein Album, das etwas kurz gehalten, aber ziemlich abwechslungsreich und spannend ausgefallen ist. Das Zusammenspiel der beiden Brüder im Geiste ist eine längst überfällige Kooperation, die sich ideal ergänzt und diesen Sommer sicher noch für einige Furore in der Schweizer Raplandschaft sorgen wird.»
Bevor wir jetzt in den neusten Wurf reinhören, muss ich einfach noch etwas ergänzen: Live ist YT eine Macht. Er hat eine unaufhaltbare Energie, die länger hält, als jede LED-Lampe. Gemeinsam mit seinem Backup Radical und DJ Backflame bietet YT an jedem Konzert grosse Emotionen, die das Publikum abholen und zu Anhängern machen, selbst wenn sie bis zu seinem Konzert keine Rapfans waren. Doch jetzt hören wir mal rein, was die Herren da wieder an neuer Musik bereit halten.
«Gschicht schriebä» hat ein relativ langes Piano-Intro, welches aber nie wirklich langweilig wird. Wunderbar porträtiert YT die aktuelle schnelllebige Zeit, wie nur er es kann. Der Song der sich zu einem musikalischen Werk hoch aufbaut, begeistert als Opener, da bereits zum Start gezeigt wird, wie toll der Glarner es schafft mit seinen Worten Bilder in die Luft zu malen und eben Geschichte zu schreiben. Ein Einstieg mit Ansage.
Weniger nach klassischem Rap klingt das Stück «Herzschlag», welches mit einem positivem Vibe die Erfolge der vergangenen Jahren nochmals Review passieren lässt und das Leben als tourender und trotzdem liebender Mensch feiert. Ich erkenne mich in vielen Zeilen wieder und urplötzlich wird in mir etwas wach, wovon ich dachte, es sei schon länger verschwunden, nämlich die Lust selber Konzerte zu spielen. Danke dafür! Die Melodie geht wundervoll ins Ohr und bleibt dort auch noch ziemlich hängen.
«Füür» heisst das nächste Werk und YT spuckt nochmals flammende Zeilen als wäre er ein Drache. Mit einem lustigen Flow flext über den DJ Blackflame-Beat wie ein Pyromane und zeigt, dass er definitiv noch Hunger hat. Hell yeah!
«Fadägrad» ist episches Kino und klassischer Boom Bap wie ich ihn sehr gerne immer noch höre. Spannend, wie das Duo Blackflame und Tinner hier ohne Rücksicht auf Verluste loslegen. Mitten in die Fresse, eben genau so muss es sein!
Ziemlich schnell und deutlich moderner pumpt das Lied «20XX» aus den Boxen. Hier zeigt der Wortakrobat auch auf, welchen Verzicht er üben muss, um so zu klingen mit 25, was eindrücklich, aber auch nachdenklich stimmt. Spannendes Werk, auch wenn es mir fast ein wenig zu modern daher kommt.
«Mini Lüt» feiert die Freundschaft und dankt den wichtigen Leuten in seinem Umfeld. Man ist als Künstler immer so stark wie das Team um einem herum, was YT nicht vergessen zu haben scheint. Mir gefällt es sehr, dass er hier auch ein klein wenig singt und dem Lied so etwas Pop-Appeal einhaucht. Spannend!
«Bring de Sound back» feat. DKO ist eine fette Partynummer, die enorm zum Kopfnicken und Partymachen einlädt. Die Gäste mit ihren Parts klingen sehr vielversprechend und ich werde mich nach dem Konsum dieser CD mal auf die Suche nach mehr Stuff von den DKO-Jungs machen. Merci für die Empfehlung YT!
«S.O.S.» hat eine abgespacete Melodie, viel Poesie in sich und verfehlt dank einer gewissen Sperrigkeit seine Wirkung nicht. Dieser akustische Hilfeschrei fesselt sofort und geht direkt unter die Haut.
Der Song «Vrbii» verbindet klassische Elemente mit modernen Tunes und YT zeigt, wie kraftvoll er über einen Beat Wörter jonglieren kann. Die Trennungshymne gefällt mir sehr gut, weil es Pop, Rap und eine angenehme Melancholie in einem Track vereint.
Relativ kurz ist der Battletrack «Flüg äläi», der mir persönlich jetzt nicht wirklich gefällt. Denn der sonst ziemlich sympathische Yannick zeigt sich hier irgendwie arrogant und auch etwas überheblich. Kann mal passieren.
Ehrlicher und verletzlicher zeigt er sich im Lied «Xi mit mir», bei dem er das Nachwirken von zu rasanten Partynächten und der schnelllebigen Zeit beschreibt. Ein graues Bild von einem jungen Erwachsenen erzählt, der zum Teil nicht wirklich weiss, wo er im Leben steht. Interessant und mit Tiefgang.
Bei «Nüd gschänkt» rechnet YT mit seiner phasenweise recht düsteren Vergangenheit ab. Der Seelenstriptease fährt ziemlich tief unter die Haut, denn Andere hätten in seiner Situation eher aufgegeben und hingeschmissen, als sich an die Spitze der Ostschweizer Rapszene zu kämpfen. Imposant, wie der Glarner das Negative in Musik mit positiver Ausstrahlung verwandelt. Chapeau!
«Chrank» feat. Raboose ist ein wütender Track mit viel Druck nach vorne, der sofort ziemlich krank die Membrane meiner Boxen zum Vibrieren bringt. Jetzt ist der Osten am Zug und ich sollte mir unbedingt mal ein Album vom Raboose holen, den der ist einfach eine Klasse für sich.
«Vrflossä» ist eine Ballade, die mich irgendwie an Casper erinnert. Ich finde es spannend, dass YT es auch nicht scheut, etwas sanftere Lieder anzupacken. In diesem Lied stecken viele Emotionen, die sofort ans Herzen gehen.
Beim Lied «Zimmer 301» kramt YT nochmals tief in den Erinnerungen und es ist irgendwie bedrückend. Offen beschreibt er Themen wie Sucht und es geht einem direkt ziemlich nahe. Diese Nummer hätte von mir aus viel weiter vorne auf der Platte einen Platz finden sollen…
Ein Ende ist auch immer ein Anfang, was der Abschlusssong «Uf dr Suächi» zeigt. Ein ziemlich cooler, marschierender Beat, der Bock auf mehr macht im Verbund mit dem ziemlich dynamischen YT zeigt klar auf, dass die Mission des Glarners noch lange nicht zu Ende ist. Gut so!
Schlussfazit:
YT öffnet auf dem neuen Album «Gschicht schriebä» sein Herz und zeigt, wie federleicht poppige Elemente eingebunden werden können, ohne dass man sein Gesicht vor der Rapgemeinde verliert. Die enge Zusammenarbeit mit dem Rones-Hausproduzenten DJ Blackflame und auch das inspirierende Gemeinschaftswerk mit Radical haben seine Kreativität beflügelt und zu einem massenkompatiblen Album geführt, welches zu einem enormen Zuwachs seiner Fangemeinde führen könnte, respektive fast müsste. Durch seine nie verwelkende Leidenschaft für die Materie ist ein zeitloses Werk entstanden, das auch in ein paar Jahren noch eine enorme Frische versprühen wird. So wird Geschichte geschrieben, leidenschaftlich statt mit kommerziellen Hintergedanken.