«Von Kieswerken, Plattmachen und Normieren»
Der Empfang durch Kinder und Lehrpersonen in Bad Ragaz hätte nicht herzlicher sein können. Es waren meine ersten Lesungen nach einer ziemlich langen Zeit und ich genoss jeden einzelnen Augenblick. Die Klassen hatten mein Buch «Die Mutprobe» gelesen, dessen Cover das Kieswerk von Buchs ziert. Beim Auswählen des Vorlesebuches entschieden sich beide Klassen für «Abhauen ist was für Feiglinge». Schauplatz: Ein Kieswerk, das dem Werk zwischen Sargans und Trübbach nachempfunden ist.
Natürlich wurden die Kieswerke zum Gesprächsthema, vor allem, als ich den Schüler*innen verriet, dass es noch weitere Bücher von mir gibt, in denen Kieswerke eine wichtige Rolle spielen. Einmal passiert darin ein Mord; einmal habe ich fast fünfzig Seiten eines Buches heftig umgeschrieben, damit die Kieswerkszene optimal in den Text passte. Ich glaube, spätestens jetzt ist allen klar, wie sehr mich Kieswerke faszinieren (so sehr, dass ich eins kaufen würde, wenn ich sehr viel Geld hätte).
Leider werden nicht wenige davon gerade plattgemacht oder ausgeweidet oder dem Zerfall überlassen. Meinem Lieblingskieswerk in Buchs hat man seine ganze Würde genommen. Wie ein trauriges Skelett ragt es in die Höhe und ich will nicht einmal wissen, ob und wann es abgebrochen wird. Ein paar Hundert Meter weiter südlich soll dafür ein neuer Turm in den Himmel wachsen, ein seelen- und fantasieloses Gebäude, zu dem mir nur ein Adjektiv einfällt: hoch.
Während man also zulässt, dass einzigartige Charaktergebäude verschwinden, stellt man noch mehr von dem hin, was in Buchs schon viel zu heftig vertreten ist: genormte Langweiligkeit. Die Bahnhofshallen? Abgebrochen, weil sie Platz machen müssen für Neues, was in diesem Fall wohl weitere rechteckige Gebäude mit vielen Fenstern sein werden. Neubauten im alten Stadtteil Altendorf: Sehen aus wie die Gebäude an der Bahnhofstrasse (rechteckige Flachdachblocks mit vielen Fenstern). Und der neuste Plan der Stadtregierung: Die Schrebergartensiedlungen plattmachen und dafür neue schaffen, die bis zur Hütte auf dem Gelände normiert sind – würde mich nicht wundern, wenn sogar die Gartenhäuschen ein Flachdach haben müssten.
Was das mit dem Schreiben zu tun hat? Leider ziemlich viel. Gehen Sie in einen Buchladen und schauen Sie sich die Regale an. Es gibt zu viel vom Gleichen (wenn es in Ihrer Buchhandlung nicht so ist: Gratuliere, Sie haben Glück gehabt und eine gute erwischt). Und seit ein paar Wochen höre ich aus unzähligen Ecken den Wunsch nach «schönen» Geschichten. Was immer «schöne» Geschichten sind. Ich auf jeden Fall stelle sie mir vor wie einen Strassenzug voller rechteckiger Gebäude mit vielen Fenstern und einem dieser kargen neuen Badezimmer, wie sie gerade so furchtbar angesagt sind.
Wahrscheinlich bin ich irgendwie aus der Zeit gefallen. Oder ich passe nicht mehr so ganz in diese Zeiten. Ich mag nämlich Geschichten, die in der Landschaft stehen wie das Buchser Kieswerk. Einzigartig, sperrig, sich jeder Norm entziehend, in seiner Unvollkommenheit so total vollkommen und wunderschön.
Den Schüler*innen in Bad Ragaz habe ich versprochen, vorerst auf Kieswerke zu verzichten in meinen Büchern. Aber ich werde weiterhin Geschichten schreiben, die genauso ungenormt sind wie mein Lieblingskieswerk in Buchs. Dazu passt der aktuelle Text, an dem ich arbeite: Ein paar Szenen spielen in den weitläufigen Schrebergärten von Strassburg, einige in der ehemaligen Industriebrache Strassburgs, in der mitten drin im kaputten Zerfall ein buntes Kulturangebot wächst und gedeiht. Meine Hauptpersonen: sperrig, unvollkommen und einzigartig. Was die Geschichte vielleicht nicht zu einer «schönen» Geschichte macht, aber hoffentlich zu einer guten.