Vielleicht ist «gut» doch besser als «perfekt»
Dies alleine muss noch kein
Perfektionismus sein, aber die Grenzen verlaufen schleichend. Der Drang, die
Perfektion zu erreichen kann manchmal von Vorteil sein. Bei Forschungsarbeiten
zum Beispiel ist Genauigkeit und perfektes Arbeiten ein Muss. Doch zwanghafte
Perfektion spielt sich auch in Lebensbereichen ab, in denen sie gar nicht in
diesem Masse nötig wären.
Doch wann ist der Drang nach Perfektion ungesund? Ganz einfach, wenn es einem über einen längeren Zeitraum unglücklich macht. Unzufriedenheit und ein ständiger Druck sind ein Zeichen, dass man es möglicherweise übertreibt.
Ich habe im Zusammenhang mit dem Leistungssport schon Erfahrungen machen dürfen. Das Ziel alles perfekt machen zu wollen hat bei mir schliesslich einen enormen Druck und Zwang ausgelöst. Der Sport wurde allmählich jedes Mal zu einem Battle gegen mich selbst. Noch besser, noch schneller, noch länger. Wenn es nicht so lief, wie erhofft, war die Enttäuschung enorm. Denn hinter der Perfektion steckt enorm viel Arbeit. Das Resultat, wie zu erwarten: Noch mehr Druck, Zwang, noch härtere Arbeit. Dieser Druck habe ich mir selbst aufgebaut, dafür ist niemand anders verantwortlich. Die Perfektion hatte mich im Griff. Wohin hat es geführt? Ich habe allmählich zum Glück erkannt, dass es mich nicht glücklich macht, jedoch hat es eine Zeit gebraucht. Perfektionisten schaffen es nämlich immer wieder, sich alles schönzureden oder kleine Erfolge als Ernte der mühseligen Saat anzusehen.
Perfektionismus geht also Hand in Hand mit Druck, Zwang und oft auch Stress. Was führt aber dazu? Ich kann bestätigen, dass es viel damit zu tun hat, anderen gefallen zu wollen. Anerkennung zu bekommen. Es allen recht machen zu wollen. Dies ist ein schwieriger Weg, denn man schafft es nie, allen gerecht zu werden. Und daraus folgt, dass man sich selbst noch mehr antreibt, denn Perfektionisten geben nicht schnell auf. An diesem Streben gehen viele kaputt. Dauerhafter Stress ist nicht gesund.
Viele Menschen, die alles perfekt machen wollen, laden sich auch viel zu viel Arbeit auf einmal auf. Etwas auf morgen verschieben? Auf keinen Fall! Kann man heute schon noch irgendwie erledigen. Es muss einfach gehen! Lernen bis ein Uhr nachts? Kein Problem, der Schlaf wird sowieso. Freunde müssen warten, die Arbeit ist wichtiger. In einer Gesellschaft, in der immer alles besser und schneller funktionieren muss, gönnen sich viele zu wenig Ruhe. Sie können es sich nicht leisten. Dabei wäre dies so wichtig. Ein Tag kein Sport war für mich noch vor einem Jahr unvorstellbar. Wenn nicht joggen, dann eben Gymnastik. So habe ich lange Zeit gehandelt. Mittlerweile bin ich froh, mich aus diesen Fesseln gelöst zu haben.
Doch wie gelingt es einem, einen Gang runter zu schalten? Es ist ein Prozess, auch heute muss ich mir immer wieder bewusst vor Augen führen, dass Ruhe auch mal notwendig ist. Mir hat es geholfen, fixe Ruhetage oder Ruhezeiten festzulegen, sie in den Alltag einzuplanen. Die Gedanken müssen umprogrammiert werden. Es ist wichtig, zu erkennen, das Perfektionismus nicht glücklich macht und auch überhaupt nicht notwendig ist.
Menschen, die einem nahe stehen, lieben einem auch wenn man nicht alles perfekt macht. Sowieso ist niemand perfekt. Alle machen Fehler, alle sind hier, um zu lernen. Im Unperfekten liegt das Perfekte. Jeder Mensch ist wertvoll, unabhängig davon, was er in seinem Leben «leistet». Gut ist gut genug, es muss nicht alles perfekt sein!