Und wie haben Sie es so mit den Tabus?
Bild/Illu/Video: Alice Gabathuler

Und wie haben Sie es so mit den Tabus?

Bei diesem Oder hake ich ein. Und warne vor: Diese Kolumne wird anders, sozusagen eine Mitmachkolumne mit Zwischenfragen. Sie können Sie überhüpfen, in der Familie diskutieren oder hier einen Kommentar hinterlegen. Aber der Reihe nach:


Kürzlich durfte ich im Rahmen einer Impulsveranstaltung einen Workshop zum Thema «Tabu» in der Jugendliteratur geben. Weil mir das dann doch ein etwas sehr weites Feld schien, fragte ich nach. Und bekam so mehr oder weniger die Jokerkarte. Sprich, ich durfte selber entscheiden und gewichten.


Zwischenfrage

Wo hätten Sie an meiner Stelle den Fokus gelegt?


Nach einigem Überlegen entschied ich mich, das Thema persönlich anzugehen und in Bezug zu meinen Berufen als Autorin und Verlegerin zu stellen. Das sind die Fragen, die ich mir gestellt habe und die ich gleich auch an Sie weitergebe:


Zwischenfragen

Was sind für mich Tabus? Wie gehe ich damit um?

Habe ich Grenzen? Wenn ja, wo liegen sie? Was mute ich mir zu, was anderen?


Und bei mir noch ganz berufsspezifisch: Wo liegen für mich die Grenzen beim Schreiben? Wo bei meiner Arbeit als Verlegerin?


Zwischenfragen

Gibt es für Sie Tabus in Ihrem Beruf/bei Ihrer Arbeit?


Als Autorin halte ich mich an ein Zitat von Ernest Hemingway: Write hard and clear about what hurts. Oder in unserer Sprache: Schreibe hart und klar über das, was wehtut. Ohne rosarote Schleifchen drumherum, ohne zu beschönigen. Dabei kenne ich bei den Themen kaum Tabus, auch nicht bei der Erzählsprache.


Wenn ich schreibe, schlüpfe ich in die Haut meiner Charaktere. Einige von ihnen haben (zu) viel erlebt, einige von ihnen gehen (zu) weit, keiner von ihnen ist nur gut oder nur böse, alle sind unendlich viele Schattierungen von Grau. Dabei benutze ich beim Schreiben Wörter, die ich privat nicht aussprechen würde. Ich schildere Gedanken und Gefühle, die weit entfernt von meinen sind. Anders formuliert: Ich breche beim Schreiben öfters meine persönlichen und sprachlichen Tabu-Grenzen.

Zwischenfragen

Wo liegen für Sie die Grenzen und Tabus in der (Jugend)Literatur?

Was darf sein, was soll sein, wo hört es auf?


Als Autorin gehe ich so weit, wie ich es für mich verantworten kann. Das mag einigen zu weit gehen, anderen zu wenig weit. So gerne ich beim Schreiben in seelische Abgründe schaue: Es gibt Dinge, über die ich nicht schreibe, weil ich sie kaum ertrage.


Zwischenfragen

Gibt es Dinge/Themen über die Sie nichts lesen wollen?

Ab wann wird Ihnen die Erzählsprache zu hart/brutal?


Als Mitverlegerin von Jugendbüchern trage ich gleich eine mehrfache Verantwortung:

  •  Gegenüber unseren Autor*innen
  •  Gegenüber unseren Leser*innen
  •  Gegenüber dem Verlag


Unser da bux Verlag besteht aus einem Team von drei Verlegern. Wir alle entscheiden gemeinsam, wie wir diese Verantwortung wahrnehmen. Wo wir als Verlag die Grenzen setzen. So haben wir zum Beispiel (noch) kein Buch mit dem Thema Selbstmord in unserem Verlag. Nicht, weil das Thema für uns ein Tabu ist, sondern weil wir uns unserer extremen Verantwortung bewusst sind: Schnell, zu schnell, kann ein Text zu einem Tabuthema eine verheerende Wirkung haben, auch wenn das weder die Absicht der Autor*innen noch der Verleger ist. Nehmen wir die Gewalt als Beispiel: Da besteht die Gefahr, dass sie verherrlicht wird oder zumindest als verherrlichend empfunden wird. Es ist deshalb sehr wichtig zu zeigen, was die Gewalt bewirkt, mit all ihren Folgen für die Betroffenen.


Wenn ich Schulklassen besuche, stelle ich fest, dass sie generell gut mit Tabuthemen umgehen können. Und dass ihre Grenzen oft ganz anderswo liegen als meine und die ihrer Lehrpersonen. Wichtig sind gute und offene Diskussionen. Das Respektieren von Grenzen der einzelnen Schüler*innen. Nicht alle wollen über alles sprechen. Und schlussendlich ist es auch ganz wichtig, dass auch die Lehrperson sich vor dem Entscheiden für eine Klassenlektüre intensiv damit auseinandersetzt, was der Text mir ihr macht und ob sie es verantworten kann, ihn mit ihren Schüler*innen zu lesen. Damit danach in der Klasse ein Rahmen gefunden werden kann, in dem über das Buch gesprochen werden kann. Denn das ist meiner Meinung nach das Wichtigste: Dass nicht nur wir Autor*innen über das schreiben, was zuweilen wehtut, sondern das auch darüber geredet wird. Mit Freund*innen, mit der Familie, in Schulklassen.

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