YA! - Die neue Kolumne ist da!
In YA! richtet Jugendbuchautorin und Verlegerin Alice Gabathuler das Scheinwerferlicht auf eine Sparte der Literatur, die in der Schweiz leider immer noch zu wenig Beachtung erhält und die sich im Buchladen eigentlich direkt neben der Belletristik für Erwachsene befinden sollte.
Die eine Frage, die man einer Jugendbuchautorin besser nicht stellt
Bei Lesungen dürfen mich meine jugendlichen Zuhörer*innen alles fragen. Zumindest alles, was etwas mit mir oder meinem Beruf zu tun hat. Weil man hierzulande bekanntermassen verbale Konfrontationen scheut (sofern sie nicht anonym in irgendwelchen Onlineforen ausgetragen werden), sind die Fragen oft höflich formuliert und darauf bedacht, mich nicht zu verletzen. Das ist lieb gemeint, aber wenn etwas unter die Haut dringen und das Herz erreichen soll, muss es in die Tiefe gehen, und was in die Tiefe geht, löst Gefühle aus. Also genau das, was auch packende Literatur ausmacht.
Deshalb erkläre ich jeweils vor den Lesungen, dass mir kritische Fragen die liebsten sind. Ich verspreche, weder in Tränen auszubrechen noch zusammenzubrechen noch entrüstet aus dem Raum zu stürmen, falls jemand eine stellt. Und ich behaupte, dass es weder dumme noch freche Fragen gibt (na ja, mit Ausnahmen) und niemand Angst haben muss, sich mit seiner Frage zu blamieren. Damit die Jugendlichen wissen, was ich meine, gebe ich ihnen zwei Beispiele:
«Kaufen Sie Ihre eigenen Bücher?»
Normalerweise bricht Gelächter aus, sobald ich die Beispielfrage fertig formuliert habe. Ich antworte dann mit einer Gegenfrage. «Was denkt ihr? Kaufe ich meine eigenen Bücher?» Bei der anschliessenden Abstimmung fällt das Resultat meistens ziemlich ausgewogen aus. Und die Antwort? Ja, ich kaufe meine eigenen Bücher. Nicht etwa, um damit auf einer Bestsellerliste zu landen (klappt sowieso nicht), sondern weil ich zwar von neuen Büchern kostenlose Exemplare erhalte, aber halt nicht genug, um allen Menschen, denen ich eins schenken will, auch eins zu geben. Darum muss ich meine Bücher kaufen, wenn mein Vorrat aufgebraucht ist. Und ja, es ist ziemlich peinlich in einen Buchladen zu gehen und seine eigenen Bücher zu kaufen.
«Sie, schreiben Sie immer so langweiliges Zeug?»
Diese Frage wurde mir gestellt, nachdem ich eine – meiner Meinung nach – spannende und unterhaltsame Passage aus einem meiner Bücher vorgelesen hatte. Ich gebe zu, sogar ich war einen Augenblick lang sprachlos, etwas, das mir selten passiert. Ja, die Frage fiel etwas gar direkt aus, aber sie war berechtigt, und deshalb fiel mir nach ein paar Sekunden auch eine Antwort ein. «Wenn du das, was ich jetzt vorgelesen habe, langweilig findest, ja, dann schreibe ich für dich langweiliges Zeug. Kein Autor und keine Autorin können den Geschmack aller Lesenden treffen. Deinen Geschmack habe ich offensichtlich nicht getroffen.» Oft führt dieses Beispiel zu Diskussionen, ob man angefangene Bücher fertig lesen muss und wie man genau die Bücher findet, die den eigenen Geschmack treffen – und schon sind wir mitten drin in einem regen Austausch und der Fragerunde.
Die Hemmungen verkrümeln sich. Die Fragen sind kurz, direkt und auf den Punkt. Es gibt Lesungen, in denen wir tief in meinen Beruf, mein Autorenherz und meine Autorenseele vordingen. Zuweilen entwickeln sich dabei geradezu magische Momente, oft lachen wir auch Tränen. Die Jugendlichen stellen Fragen, ich frage zurück. Es ist ein Austausch auf Augenhöhe. Was mich fasziniert: Dass nach all den vielen Jahren, in denen ich nun Lesungen mache, immer noch neue Fragen auftauchen.
Ich kann nicht alle Fragen immer sofort beantworten. Über manche muss ich erst nachdenken (was für die Qualität der Fragen spricht). Sehr selten wird eine Frage gestellt, die ich nicht beantworten will. Dann rufe ich «Joker» und wir gehen zur nächsten Frage.
Wütend macht mich nur eine Frage. Bezeichnenderweise ist es eine Frage, die mir Jugendliche nie stellen. Wenn sie kommt, dann von Erwachsenen, meistens etwas durch die Blume oder um die Ecke, selten so klar und direkt formuliert, wie ich es jetzt tue: «Und wann schreiben Sie endlich einmal ein richtiges Buch?» Gemeint ist damit ein Buch für Erwachsene, also eins, mit dem man es im Buchladen auf das Regal der Schweizer Autor*innen schafft, eins, mit dem man dann auch «richtig» dazugehört.
Wenn ich mit Jugendlichen darüber rede, erkläre ich es so: «Das ist, als würde man euch fragen: Und wann werdet ihr endlich richtige Menschen?»
Meine Lesungen bestehen jeweils aus drei Teilen: Einer kurzen Vorstellung mit Einblicken in mein Leben, der Fragerunde und der Vorleserunde, wobei sich das manchmal auch gehörig vermischt. Am liebsten ist mir der Teil mit den Fragen. Das gilt auch für diese Kolumne. Sie sind herzlich eingeladen, mir Ihre Frage an info@qultur.ch zu schicken. Einzige Bedingung: Sie muss mit mir als Autorin oder Jugendbüchern zu tun haben. Sie wissen jetzt ja: Es gibt weder freche noch dumme Fragen. Und es gibt nur EINE Frage, die Sie mir besser nicht stellen.