Von der Schreibstube direkt ins Schulzimmer
Bild/Illu/Video: Alice Gabathuler

Von der Schreibstube direkt ins Schulzimmer

… genau: Die Technik will nicht. Gesicht und Frisur erscheinen nicht auf dem Bildschirm. Zum Glück bin ich früh genug und habe Zeit zum Testen. Ein paar gemurmelte Schimpfwörter später ist alles im grünen Bereich. Ich bin mit der Schule verbunden, in Bild und Ton, die Lehrperson beamt mich rechtzeitig zur Lesung auf die Leinwand oder das Whiteboard. Das ist für mich einer der grossen Vorteile von Online-Lesungen: Dass die Jugendlichen bei mir zu Besuch sein können. Ich zeige ihnen den Ort, wo ich arbeite, kann Beispiele in die Kamera halten und bei Bedarf schnell aufstehen und holen, was noch fehlt. Für ihre Fragen kommen die Jugendlichen nach vorn, schauen direkt in die Kamera, nennen ihren Namen und formulieren ihre Frage. Beim Antworten sehe ich dann die ganze Klasse, da die Kamera auf das Schulzimmer gerichtet ist.


Weil ich bei Online-Lesungen voraussetze, dass die Jugendlichen wissen, wer ich bin und was ich schreibe, kommen sie schon mit Hintergrundwissen zur Lesung und greifen in ihren Fragen oft Textpassagen auf oder formulieren sehr persönliche Fragen zu Stationen meines Lebens. So entsteht trotz räumlicher Distanz sehr viel Nähe. Das ist mir wichtig, denn für mich stand von Anfang an fest: Virtuelle Lesungen dürfen keine simple Videoberieselung sein, quasi ein Unterhaltungsprogramm in schlechter Bildqualität. Auf so was hat weder die Welt noch eine neugierige Schulklasse gewartet.

Wenn ich vorlese, dann nur sehr kurze Passagen. Ich wähle sie so aus, dass ich begleitend dazu erzählen kann, wie ich auf die Idee zur Geschichte gekommen bin, wie ich meine Figuren gestalte, woher ich ihre Namen nehme, wie ich schreibe, wie sich der ganz reale Alltag oder Begegnungen auf eine Geschichte auswirken und so weiter. Dabei zeige ich allerlei Anschauungsmaterial und am Ende sieht es auf und um meinen Schreibtisch ziemlich chaotisch aus (siehe Bild).

Ich gestehe: Ich geniesse die virtuellen Lesungen sehr. Ja, sie sind anders als reale Lesungen. Sie funktionieren nach ihren eigenen Regeln. Aber wenn man sich auf sie einlässt, können sie sehr bereichernd sein und vor allem viel Spass machen.


Hier ein paar Auszüge aus Briefen, die mir Jugendliche nach einer Online-Lesung geschickt haben:

«Die Online-Lesung war sehr unterhaltsam und lustig.»

«Ich fand es sehr toll, dass Sie uns gut zugehört haben und so offen auf alle Fragen von uns geantwortet haben.»

«Die Lesung war eine grossartige Erfahrung.»


Ich kann die Komplimente alle zurückgeben, denn bei Lesungen stelle auch ich Fragen – und auch ich bekomme tolle, ehrliche Antworten. Das ist einer der Gründe, weshalb ich so gerne für Jugendliche schreibe und so gerne bei ihnen lese: Diese offene Ehrlichkeit und Neugier, ihre Bereitschaft, sich auf mich einzulassen.


Kürzlich hatten wir uns nach der Lesung eigentlich schon verabschiedet. Da erschien auf meinem Bildschirm eine Lehrerin, die sich bisher im Hintergrund gehalten hatte und sagte: «Ich muss Ihnen gestehen, dass ich von dieser Online-Lesung gar nichts erwartet habe, und bin nun mehr als positiv überrascht.»

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