Überzeugende Newcomer VS Shakra
Da ich seit Jahren in St. Gallen wohne, aber eigentlich ein Heimweh-Altstätter bin, fahre ich über alte Landstrassen, von Trogen über den Mohren, wo ich tatsächlich den ganzen Weg kein anderes Fahrzeug sehe. Dann von Altstätten nach Oberriet über Rüthi nach Buchs, um mich schon bei der Fahrt ein wenig auf rheintaler Rocksound einzustimmen. Ich parkiere bei der Kirche und mein Weg führt an einem modernen, weissen Lieferwagen vorbei, der stilvoll die schwarze Aufschrift Novoid trägt. Als ich wegen meines Ausfährtchens prompt zehn Minuten zu spät ankomme, – Asche auf mein schütteres Haupt -, haben die fünf Jungs von Novoid den vollen Saal bereits fest unter ihrer Kontrolle, was man bereits von draussen hört. Zu meiner Verblüffung kocht die Stimmung bereits und das Publikum johlt und klatscht begeistert!
Ich bekomme mit meinem Presseticket gratis Einlass. Ein altersmässig durchmischtes Publikum steht im Saal, bis zum Eingang dicht gedrängt, sodass ich Mühe habe, mich durchzuquetschen. Bis zur hintersten Reihe nicken alle standesgemäss im Takt zu den Songs, die gut abgemischt von der Bühne schallen. Ich drängle mich, teilweise unter Protesten, todesmutig bis zur ersten Reihe vor die Bühne, wo es Gott sei Dank ein bisschen mehr Platz hat. Die Luft um mich herum ist zum Schneiden dick. Es ist stickig und so schwül, dass mir jetzt schon der Schweiss den Rücken runterläuft.
Auf der Bühne stehen fünf recht jung aussehende Burschen. Sie sind alle um die 26 Jahre alt, wie ich dem Netz entnehme. Ihre Outfits, in weissen Hemden, dunklen Hosen und mit Kurzhaar-Frisuren sowie sorgfältig gekämmten Seitenscheitel lassen rein vom Bild her eher eine Jazzband vermuten. Doch, wie sie mir im Vorabinterview verraten hatten, kleiden sie sich für jeden Auftritt wie für ein Fest. Das nenne ich mal Attitüde! Mir gefällt es, bei ihnen hat es Stil, und das Weiss leuchtet so richtig schön im Scheinwerferlicht.
Direkt vor mir, ganz rechts aussen auf der Bühne, steht Phil Keller, der Leadgitarrist, der gerade auch den Leadgesang innehat; auch sein eher tieferer Bariton ist hörenswert. Dazu spielt er locker weiter und drückt zwischendurch kurze, spritzige Soli ab, die sich gewaschen haben. Er neigt teilweise dazu, ein kleines bisschen vor dem Drummer zu spielen, vielleicht auch um zusätzlichen Druck zu machen oder um das Tempo und die Intensität zu steigern, ich weiss es nicht genau. Vielleicht auch, weil der Trommler anscheinend das neuste Mitglied dieser Truppe ist.
Hinten in der Mitte sitzt Simon Wagner an seinen Kesseln, der, ein wenig versteckt und vielleicht vom Licht her weniger beleuchtet als die anderen, straightforward und ohne viel Firlefanz den Takt dazu klopft. Er erregt nicht viel Aufsehen und beherrscht die Tempo- und Rhythmuswechsel problemlos, wie auch alle anderen. Nach dem Gig draussen frage ich sie, wie sie das denn machen, so schnell und alle zusammen auf komplett andere Tempi umzuschalten. In anderen Bands wird das häufig kompliziert notiert oder aber die Mannschaft spielt mit Click im Ohr. Der Bassist meinte, er und Phil würden schon so lange zusammenspielen, dass man mit der Zeit einfach wüsste, was der andere macht. Oder dass man an dieser oder jener Stelle zum Beispiel einfach kurz einatmen müsse und dann komme der nächste Ton. Klingt für mich sehr erfrischend und beweist, wie gut die Jungs aufeinander hören.
Beni Krause, der Bassist, der tatsächlich kurzes, blondes Kraushaar hat, steht zusammen mit Till Stieger an der Rhythmusgitarre links aussen an der Bühne. Obwohl er anfänglich Schwierigkeiten mit der Technik seines digitalen Effektgerätes gehabt habe, steht auch er unverkrampft da und leistet teilweise Schwerstarbeit, doch immer solide und sauber, was jedoch vorne im Mix teilweise untergeht, da der Mischer, wie viele, grosse Freude an seinen Subwoofern hat.
Dadurch wird der Bass ein wenig wummerig und man hört die Finger, wie Bassisten den bissigen Attack nennen, wenn man mit viel Hornhaut beherzt ganz am Anfang der Seite zupft, nicht mehr so genau. Beni, der angehende Militärhelikopter-Pilot, spielt ihn jedoch ziemlich genau über dem Tonabnehmer, doch es klingt trotzdem sehr gut und es gelingt mir nicht, irgendeinen Fehler herauszuhören.
Auch Till, der Rhythmusgitarrist, leistet soliden Druck und unaufdringliche Unterstützung von der linken Seite aus.
Zwischendurch wandert auch er bühnenwirksam in die Mitte, um gemeinsam mit Phil Soli zu zelebrieren, die zu meiner Erleichterung nie in stundenlanges Onanieren ausarten, sondern kurz und prägnant auf den Punkt gespielt werden, jedoch auch nie wirklich improvisiert, sondern eher geplant klingen.
Als ich komme, eben als Phil gerade singt, steht Luis Dominguez hinten neben dem Drummer und schüttelt gekonnt und treibend seinen Schellenring. Immer wieder lässt er den anderen Platz, was bei seinem Charisma auch nötig ist.
Als er ans Mic tritt, nimmt er von Anfang an den gesamten Raum ein. Wie alle sieht er klasse aus, sein Hemd schmiegt sich passgenau an seine gertenschlanke Figur, zudem trägt er eine lose gebundene Krawatte und einen Stetson, ein Stil, der mich an den verstorbenen Roger Cicero erinnert, doch nicht nur vom Aussehen her. Seine reife, trainiert wirkende, facettenreiche Stimme könnte wohl auch problemlos solche Jazzsongs zum Besten geben. Mal klingt er wie ein Musicaldarsteller aus Hair, mal presst er wie ein Schwermetaller, mal fügt er mühelos einen kleinen Schnörkel ein.
Seine stimmlichen Variationen wie auch sein Tuning sind hervorragend und wirken in keinem Moment gekünstelt. Authentisch feurig funkelt sein Blick manchmal ins Publikum, mit Eleganz, Vielseitigkeit und Lockerheit übertrifft er mit der Stimme, jedoch auch mit seinen natürlichen Bewegungen bei weitem die lokale Konkurrenz der Szene. Auf der CD klingt er natürlich noch einen Tick besser, noch einen Tick ausgefeilter, zugegeben, jedoch: Wer wäre nicht nervös in diesem Alter, Vorgruppe der berühmten Shakra zu sein, die häufig in einem Atemzug nach Gotthard genannt werden?
Rund um mich stehen zumeist recht typische Metalfans und Rocker, die begeistert johlen, klatschen und mit den Köpfen im Takt nicken, doch nicht nur: Auch hübsche junge Damen stehen in den vordersten Reihen, die Luis und den anderen mit glänzenden Augen an den Lippen hängen und bei vielen Songs bereits mitsingen. Direkt neben mir steht ein Typ, der vom Aussehen und der Brille her Peter Zwegat, dieser Schuldenberater des deutschen Privatfernsehens sein könnte. Ungelenk, aber entzückt bewegt sich der etwa 65-jährige im T-Shirt die ganze Zeit über elektrisiert zum Sound, die pure Freude ist ihm und allen anzumerken. Diese Szene lebt wider Erwarten ja immer noch, denke ich mir, oder besser: Sie lebt gerade wieder neu auf!
Mit ihren abwechslungsreichen, gehörfälligen Songs, sogar ein Cover von Back Sabbath wird grandios noch in ihr zirka 40-minütiges Set eingebunden, überzeugen mich die fünf Freunde auch live. Beim Nachfolgenden spontanen Interview zeigen sie sich noch bescheiden, obwohl sie eigentlich auch schon als Vorgruppe von Fun Halen gebucht waren, was jedoch aufgrund der Pandemie ins Wasser gefallen war, da ein Mitglied der Coverband damals positiv getestet wurde.
Ganz ehrlich, meine Meinung: Dieser Scheiss ist hot! Vor allem sähe ich grosses Potenzial bei den Songs, die Pop und Rock vermischen und Grenzen auflösen. Auch an der Dynamik könnte man noch ein bisschen feilen, da gibt es, wie im Mikrotiming, noch ein kleines bisschen Luft nach oben, das ist jedoch persönliche Geschmacksache. Bei der Aussage zu ihrem Songwriting orientiere ich mich hier zum Beispiel eher an Queen und nicht an Bon Jovi. Und nur schon, dass ich das bei so einer Band tue, sagt ja eigentlich schon alles.
Das Ganze klingt wirklich erfrischend neu, authentisch und energiegeladen. Ihr letztes Album «Ornament» haben sie übrigens im renommierten Tonzoo in Dornbirn aufgenommen und ist jeden Rappen wert. Brav stehen die Fünf nach dem tosenden Applaus des Publikums und dem zügigen Abräumen ihrer Instrumente, was ohne Boxen schnell geht, zuerst fürs Merchandising ihrer CD bereit und beantworten Fragen einiger Fans, Freunden und Verehrerinnen, statt sich lazy in die Kabinen zu verdrücken.
Abgesehen von wenigen Bieren ist von Sex, Drugs wohl nur noch der gute alte Rock'n'Roll übriggeblieben, auch das Publikum verhält sich sehr gesittet. Die Zeiten ändern sich, was der Qualität der Musik natürlich nur guttut, werden einige sagen.
Während der Umbaupause sitzen oder stehen die Leute rauchend draussen, auf der Wiese der angrenzenden Schule und unterhalten sich angeregt. Ein paar Fetzen schnappe ich auf, wie zum Beispiel das Statement eines erstaunten Altrockers, der zu seinen Kollegen sagt: «Dia jonge Schnodderri, äs gits ofach gär nöd! Himmelstärnesiech, hond ets dia Hünd grockt! Und denn so jung, no, voll gspunnä!»
Für die des Schweizerdeutschen unkundigen Leser in Kurzübersetzung: Fuck, waren die geil!
Shakra
Die seit über 25 Jahren bestehende, international bekannte Band spielt hauptsächlich Songs aus ihrem neuen Album «Mad World». Obwohl sie manchmal als Hardrocker betitelt werden, ist das meiner Meinung nach ganz klar sehr typischer Heavy Metal.
Wie erwartet brettern sie einen Knüller nach dem anderen herunter. Der Glarner Prakesh, mit dem früher ich ein paar Mal gejammt hatte, ist seit einigen Jahren wieder durch Rückkehrer Mark Fox ersetzt worden, der mit dunkel geschminkten Augen und langen Haaren stimmlich wie showmässig jedes bekannte Klischee dieses Genres exzellent bedient. Überhaupt sehen alle so aus, als seien sie von einer Plattenfirma wegen des Aussehens zusammengeschustert worden, was jedoch nicht stimmen muss. Man spreizt die Beine, hebt den Zeigefinger oder die Teufelshörnchen in die Luft, macht während des Spiels eine grimmige Miene. Der Bassist nagelt zusammen mit Roger Tanner an den Drums kompromisslos Achtel in die Subs, übrigens das gleiche Gewummer wie vorher, während er manchmal zur Freude der anwesenden Damen mit seiner Mähne headbangt und helikoptert.
Nachher wird das Spiel mit dem Publikum weitergeführt, das begeistert mitjohlt. Die etwa 130 anwesenden Leute klingen tatsächlich wie ein Stadion, was Mark Fox anerkennend bemerkt.
Muster ist natürlich ein alter Hase, wechselt seine Klänge virtuos, spielt auch tolle Soli, ist voll auf die Musik konzentriert, - jedoch ein Lächeln oder eine Lockerheit ist bei ihm kaum zu spüren.
Einer wie er hatte mal in grauer Vorzeit zu mir gesagt, ich solle aufhören, dauernd Freude zu zeigen und mich so locker auf der Bühne zu bewegen. Das wirke unseriös, schliesslich ginge es hier um harte Arbeit, was mich dann schnell veranlasste, die damalige Band zu verlassen, denn nach mir soll Musik in erster Linie einmal Spass machen.
Drei- oder viermal bemerke ich, dass Fox etwas sagen will, jedoch die Band schon zu spielen begonnen hat. Mark ist ein toller Showman und sein ehrliches Lachen beschwichtigt mich manchmal.
Die Songs sind zweifelsohne gut, jedoch klingen alle für mich kompositorisch immer genau nach Schema F. Intro, Strophe, eingängiger Refrain mit breitem Chor und Stereogitarren, der am Ende ein paar Mal wiederholt wird, um dann in kürzester Zeit zum nächsten Song überzugehen. Zwischendurch ein Zwischenteil, ganz nach Lehrbuch und voraussehbar. In jeder Strophe wird ein artfremder Akkord eingebaut, damit es nicht exakt das Gleiche ist, was schon von Millionen Anderen gespielt wurde.
Das Publikum jedoch ist jedenfalls restlos begeistert und alle feuchten Schwermetallträume werden mit Bravour erfüllt.
Um etwa zwanzig vor elf habe ich es dann definitiv gehört: Irgendwann wurde es mir tatsächlich zu eintönig und auch wirklich zu laut. Aber ich war mit Abstand der einzige, den das störte und der zu dieser Zeit schon ging, obwohl das Ende um halb elf veranschlagt war. Die Vorband hatte mir persönlich viel besser gefallen. Bands wie Shakra habe ich einfach schon zu häufig gehört, denke ich mir. Alles schon dagewesen, aber das ist an sich auch nichts Verwerfliches, man muss das Rad auch nicht immer neu erfinden.
Ich muss jedoch gestehen, dass ich typischen Heavy Metal noch nie wirklich leiden konnte. Ich stand seit jeher eher auf Rock von AC/DC oder den Stones, als auf Europe mit ihren Pudellocken oder Bon Jovi. Das ist mir einfach irgendwie zu aufpoliert, auch wenn es zweifelsohne gut gemacht ist.
Aber die hatten wenigstens noch Keyboarder dabei, die klangliche Abwechslung boten. Vielleicht, um meinen bekannten Luke Gasser sinngemäss zu zitieren: «Das ist doch alles kein Rock mehr! Früher hat man vorher noch einen Schnaps getrunken, sicher nicht nach Klick eingespielt und jedes Tönchen sauber nach Noten geübt.»
Exakt meine Meinung. Auch ich habe eben gerne «Meh Dräck», nichts für ungut. Mit grosser Freude stelle ich jedoch fest, dass diese Szene überlebt hat und sogar vielversprechendes junges Blut dem ganzen einen neuen Drive zu verleihen vermag.