Schnupperkurs Zentralasien: Usbekistan per Rad
Wie bleibt das in der Styroporbox bei dieser Hitze so kalt? Ein Mysterium. Wir
bestellen. Da fährt ein Auto dicht hinter uns auf und hält an. Der Mann auf dem
Beifahrersitz streckt begleitet von einem Wortschwall Geld aus dem Fenster. Die
Eiscrémeverkäuferin nimmt es entgegen. Noch bevor wir realisieren was gerade
passiert ist, beschleunigt der Wagen und weg ist er. Wir wurden gerade auf zwei
Glacés eingeladen. Katta Rahmat - vielen Dank!
Vor einigen Tagen sind wir in Tashkent, der Hauptstadt Usbekistans, gelandet.
Tashkent wirkt international und beinahe europäisch. Seidenstrassenromantik? Qulturschock?
Fehlanzeige. Wir sind fast ein wenig enttäuscht. So richtig warm werden wir
nicht mit der Stadt. Weitläufig und ohne Flair. Das mag daran liegen, dass die
Stadt 1966 von einem Erdbeben fast komplett zerstört wurde. Eine eigentliche
Altstadt fehlt. U-Bahnfahren macht uns Spass. Günstig und unkompliziert legen
wir so weitere Strecken zurück. Jede Station sieht anders aus und ist ein
kleines Kunstwerk. Das U-Bahnnetz ging 1977 in Betrieb und ist somit das älteste
in Zentralasiens.
Sowjetische Architektur mischt sich in Tashkent mit moderner. Auch islamischer
Einfluss ist zu sehen. Der Hazrati Imam Komplex, ein beeindruckender Platz mit
Moscheen und Medresen versprüht dann doch etwas 1001 Nacht-Feeling. Baubeginn
war im 16. Jahrhundert. Erst 2007 hat man allerdings die Moschee und weitere
Gebäude dazu gebaut. Was dem Ganzen etwas den Glanz nimmt. Gleich daneben
entsteht in einem Megaprojekt ein weiterer riesiger Moscheenkomplex. Wer das
wohl finanziert? Der Staat wird sich das kaum selbst leisten können.
Was die Stadt doch sehr angenehm macht, sind die Menschen. An unserem ersten Tag machen wir gegen Abend ein Spaziergang durchs Quartier. Mario kommt vor einem Waffelstand mit einem Mann ins Gespräch. Er lädt uns sogleich auf eine Portion Bananen-Schoko-Waffeln ein. Der 10-jährige Tarik, der am Nebentisch sitzt, gibt uns in bestem Englisch Sightseeing-Tipps wie ein Grosser. Er weiss sogar wo Liechtenstein liegt. Wunderbar. Also doch nicht so europäisch? Kaum vorstellbar, dass das zu Hause passiert.
Nach ein paar Tagen machen wir uns auf den Spuren der Seidenstrasse auf nach Samarkand. Waren werden auf dieser Strecke auch heute noch viel transportiert. Die Kamelkarawanen sind allerdings zu Lastwagen geworden. Mangels sinnvoller Alternativen legen wir einen Grossteil der 350 Kilometer auf der Schnellstrasse zurück. Viel Verkehr, lange Geraden und wenig reizvolle Landschaft lassen uns die Tage endlos scheinen. Seidenstrassenromantik? Fehlanzeige.
Wir verkürzen uns die Zeit mit langen Pausen in Strassenrestaurants. Gemütlich auf Tapschans sitzend tauchen wir kulinarisch in Zentralasien ein. Die erhöhten quadratischen Holz- oder Eisengestelle dienen in Zentralasien als Sitz-, Ess- und Schlafstätte. Sie sind in jedem Haushalt und oft auch im Freien zu finden. Mit bunten Polstern und Kissen ausgelegt ist das für uns eine willkommene Alternative zu einem Tisch mit Stühlen. Nach all den Monaten auf Radreise und am Boden sitzen, scheinen wir fast verlernt zu haben, wie man anständig auf einem Stuhl sitzt. Kommt es doch einmal vor, werden wir schon nach kurzer Zeit zappelig und wissen nicht mehr wohin mit den Beinen.
Kulinarisch hält Usbekistan vor allem Plov für uns bereit. Das Reisgericht
besteht traditionell aus Karotten, Paprika, Rosinen und Hammelfleisch. Es
werden aber verschiedenste Variationen davon serviert - auch mit Hühnchen- und
Rindfleisch oder vegetarisch. Wir kosten auch Manti, Teigtaschen mit
(Fleisch-)füllung, ähnlich den Deutschen Maultaschen und Schaschlik, gegrillte
Fleischspiesse. Zu jeder Mahlzeit wird Brot, Tomaten-Gurken-Zwiebel-Salat und
oft säuerliche quarkähnliche Dips gereicht. Zum Frühstück wird gerne Milchreis,
Eierspeisen und Obst gegessen. Wir erwischen die Erdbeere- und Kirschensaison.
Gegen Ende unserer Zeit hier sind auch die ersten Melonen reif. Lecker!
Usbekistan besteht zu 60 Prozent aus Wüste und Halbwüste. Hier, im Westen des Landes ist es aber fruchtbar und grün. Es wird Obst, Gemüse und Baumwolle angebaut. Die katastrophale Kehrseite dieser Fruchtbarkeit: die Austrocknung des Aralsees. Für die Bewässerung der Felder - vor allem für die intensive Baumwollproduktion - wird dem Zufluss des Aralsees so viel Wasser entnommen, dass er ausgetrocknet ist. Einst 120 Mal so gross wie der Bodensee, sind heute nur noch drei einzelne kleine Teilseen übrig und er hat 90 Prozent seiner Fläche eingebüsst.
Bereits 1960 haben Wissenschaftler und Umweltschützer
das einsetzende Verschwinden des Sees erkannt und dessen Austrocknung
prognostiziert. Das Verschwinden des Aralsees ist eine der grössten von
Menschen verursachte Umweltkatastrophen weltweit. Die Stadt Muynak
beispielsweise lebte vom Fischfang und war ein Urlaubsparadies am Seeufer.
Heute ist das Ufer des Aralsees 100 km weit weg. Die Fläche ist zu Wüste
geworden.
Unterwegs treffen wir viele freundliche Menschen. Fast täglich bekommen wir Brot geschenkt. Selbst aus dem Brot machen die Usbek:innen kleine Kunstwerke. Die runden Noon genannten Brote haben mit Stempeln eingedrückte Muster in der Mitte, die je nach Bäckerei variieren.
Die Leute hupen und winken aus den Autos. Viele halten an und wollen Selfies
mit uns machen. Die Verständigung geht mit Händen, Füsse und unseren spärlichen
Russischkenntnissen. Das kyrillische Alphabet habe ich bereits zu Hause
gelernt. Das kommt uns jetzt zu gute. Ausser den Ortstafeln ist so gut wie
nichts mehr auf lateinisch angeschrieben.
Irgendwann ist es tatsächlich soweit: wir erreichen Samarkand! Es ist bereits früher Abend, als wir ankommen. Trotzdem lassen wir es uns nicht nehmen, gleich als erstes zum Registan, dem Sinnbild für die Seidenstrasse, zu fahren. Wie vor 600 Jahren liegt er vor uns, dieser sagenumworbene Platz. Erhaben, prachtvoll, selbstbewusst. Seidenstrassenromantik? Ja, endlich!
Eine richtige Euphorie will sich aber grad nicht einstellen. Dafür sind wir
nach über 100 km auf dem Fahrrad zu müde.
Am nächsten Tag erkunden wir den Registan ausgeruht und zu
Fuss. Der Registan ist das historische Zentrum Samarkands. Hier wurde Feste
gefeiert, Feiertage zelebriert, Handel betrieben und in den glanzvollen
Medresen die Söhne reicher Familien in religiösen und weltlichen Dingen
unterrichtet. Begegnen, feiern, lernen - das gesamte öffentliche Leben fand
hier statt.
Als wir durch den Komplex schlendern, geht sogar an diesem touristischen Ort
ein Kichern und Staunen durch die Menschengruppen. Wir werden verlegen und
bewundernd angestarrt. Wir hatten die Aufmerksamkeit, die uns bisher zuteil
wurde, vor allem der Tatsache, dass wir mit dem Fahrrad reisen zugeschrieben.
Das ist offenbar falsch. So zieren wir am Ende des Tages so manches
Erinnerungsfoto von einheimischen Tourist:innen. Ein junger Mann spricht uns
an. Er und seine Freunde besuchen den Registan extra um Touristen zu treffen
und Englisch sprechen zu üben.
Woher kommt dieses fast schon übertriebene Interesse an uns? Wir müssen unglaublich fremd und exotisch auf die Menschen wirken. Das «Westliche» übt auf viele eine Faszination aus. Selbst in der heutigen Zeit noch. Das hätten wir so nicht erwartet. Samarkand klingt in unseren Ohren nach einem beliebten Touristenziel. Immerhin 6 Millionen Touristen kamen 2019 nach Usbekistan. Offiziell. Doch 5 Millionen davon sind Menschen aus den Nachbarstaaten, die Freunde und Familie besuchen. Die Hälfte der verbleibenden Million geht an Reisende aus anderen ehemaligen Sowjetstaaten. Die restlichen 500ˋ000 teilen sich Touristen aus Nahost-Staaten, Südostasien, Amerika und Europa. Garn nicht mal mehr so viele für ein Land mit 34 Millionen Einwohner:innen und eine Fläche von 447ˋ400 km2.
Wir können unsere Neugierde auf die Welt mit Reisen stillen.
Für die Usbeki:innen sind wir, die Touristen, ein kleiner Einblick in die
grosse weite Welt.
Als Ex-Sowjetrepublik hatte Usbekistan lange sehr restriktive
Einreisebestimmungen. Präsident Shavkat Mirziyoyev, seit 2016 im Amt, setzt
zaghaft auf Öffnung. Seit 2019 erlaubt Usbekistan die visafreie Einreise für
europäische Staatsbürger:innen. Kleine Überbleibsel von der eins strengen
Überwachung des Tourismus gibt es auch heute noch. Es gilt eine Registrationspflicht.
Übernachtet man im Hotel, wird die Registrierung von den Hotelangestellten übernommen. Beim Auschecken erhält man ein Zettelchen mit den Personalien, dem Übernachtungsdatum und irgendeiner Registrationsnummer. Mario wird auf diesen Zettelchen stets zum Australier. Mehrfache Versuche unsererseits dieses Missverständnis und den Unterschied zwischen «Australia» und «Austria» aufzuklären, bleiben erfolglos. Bei der Ausreise müssen wir diese Registrationszettelchen tatsächlich vorweisen. Dass ein als Australier registrierte Mann mit österreichischem Pass ausreist, hat am Ende niemand interessiert - oder bemerkt.
Ausreisen tun wir tatsächlich schneller als erwartet. Nicht weil es uns nicht gefällt in Usbekistan. Aber wir haben Lust auf Berge und etwas mehr Ruhe. Die Grenze zu Tadschikistan liegt nur 42 km von Samarkand entfernt. So entscheiden wir beim Frühstück spontan, dass unsere Reise am nächsten Tag in Tadschikistan weitergeht. So schön, sich nach Lust und Laune treiben lassen zu können. So schön, dass das im Moment tatsächlich wieder möglich ist. Wir müssen uns keine Gedanken um PCR-Test und coronabedingte Einreisebeschränkungen machen. Sogar die Visumspflicht hat Tadschikistan seit Anfang Jahr aufgehoben. Also nichts wie hin!
Ein kleiner Einblick, ein erstes Kennenlernen - danke Usbekistan, du hast uns ein guter Start in Zentralasien beschert.