«Es lohnt sich das Leben bewusst zu geniessen»
Als Thomas Riesen sein Buch zum ersten Mal in den Händen hielt, sei ihm sein
Protagonist mit dem Namen Max Jedermann sehr vertraut und fast wie ein alter
Freund vorgekommen. «Mit seinem freundlichen Wesen könnte er auch im realen
Leben ein guter Freund sein. Ich hätte keine Angst vor ihm und das Wissen über
die Art, wie er arbeitet, würde mir den letzten Gang bestimmt erleichtern. Ich
würde ihn mir als Begleiter wünschen.»
Leider sehr aktuell
Am Anfang des Romans, welcher im wertigen Kleinformat daherkommt, steht ein
Gedicht, dass leider immer noch eine hohe Aktualität und auch sehr viel mit dem
Thema Tod zu tun hat. Es sei ihm wichtig gewesen, der Leserschaft seine Haltung
mitzugeben. «Das Gedicht ‘Alexey’ entstand kurz nach dem Ausbruch des Krieges
in der Ukraine und ist den einfachen Soldaten auf beiden Seiten gewidmet, die
lieber zu Hause bei ihren Familien wären. Es entstand spontan und sollte
ursprünglich nicht Teil des Taschenbuches sein, sondern ein Werk für sich.» Sein
Lektor Harald Löhndorf habe die Idee gehabt, das Gedicht im Buch zu verwenden
und ihm habe dieser Ansatz gefallen. «Das Thema ist aktuell und der Tod ist in
der Ukraine leider mehr als nur ein Stammgast geworden. Er gehört mittlerweile
zum täglichen Leben der Menschen, was besondere Aufmerksamkeit erregt, weil es
in Europa passiert. Damit passt das Gedicht auch zum Thema des Taschenbuches,
in dessen Verlauf der Sensenmann ebenfalls eingezogen wird und seinen Dienst an
der Front im Krieg leistet.»
Der Umgang mit dem Tod lernen
Zu dieser nicht gerade alltäglichen Geschichte rund um den Tod habe es keine
besondere Inspiration erfordert, sagt Riesen. «Der Tod ist ein Teil des Lebens,
auch wenn er ein Ende bedeutet, unabhängig davon, wie man es deutet. Geburt und
Tod sind Zwillinge, die untrennbar miteinander verbunden sind.» Die Namenswahl der
Hauptfigur habe damit zu tun, dass der Tod uns alle betreffe. «Egal ob wir arm
oder reich sind oder welcher sozialen Gesellschaftsschicht wir angehören, deshalb
habe ich den Charakter auch Max Jedermann genannt. Das ist kein Zufall. Irgendwann
werde ich sterben. Sich darauf vorzubereiten, sollte selbstverständlich sein.»
So offen wie Thomas Riesen mit dem Tod umgeht, wird es nicht von vielen Personen
praktiziert. Doch dass er damit ein Tabu breche, glaubt der Autor nicht. «Viele
Menschen wurden im Verlaufe ihres Lebens bereits mit dem Tod konfrontiert,
direkt oder indirekt. Sie haben einen Vater, eine Mutter, einen Bruder oder
eine Schwester verloren, vielleicht auch einen guten Freund. Andere kennen
Menschen, die an Krebs im fortgeschrittenem Stadium erkrankt sind oder an
Demenz leiden und in absehbarer Zeit ebenfalls sterben.» Die entscheidende
Frage laute, wie man damit umgehe. «Akzeptieren sie das Unausweichliche oder
verdrängt sie den Gedanken an den Tod? Ein Tabubruch ist das Buch nur für jene
Menschen, die sich dem Thema bisher nicht gestellt haben, aus welchen Gründen
auch immer. Ich lade aber ganz besonders diese ein, sich damit gedanklich zu
befassen, denn sie sind ebenfalls betroffen – früher oder später.»
Total im Hier und Jetzt
Durch das Buch habe er auch oft an die eigene Vergänglichkeit gedacht. Da er wisse,
dass er irgendwann mal sterben werde, mache es schon Sinn sich Gedanken zum
Thema zu machen. «Es ist wie bei einem Marathonlauf. Würde ich heute
unvorbereitet losrennen, würde ich das Ziel bestimmt nie sehen! Dafür müsste
ich erst einige Monate trainieren. Genau so kann man sich auf den Tod
vorbereiten. Man kann darüber nachdenken und kommt dann zu einem erstaunlichen
Schluss: Es lohnt sich das Leben bis dahin bewusst zu geniessen und zwar jeden
einzelnen Tag! Seit ich über den Tod nachdenke, lebe ich bewusster, ich achte
auf ethisches Verhalten und versuche im Hier und Jetzt zu leben, ruhiger und
gelassener zu werden. Dann – so hoffe ich wenigstens – kann ich dem Tod
irgendwann eben so ruhig und gelassen begegnen, im Wissen, dass ich mein Leben
wirklich gelebt habe.» Riesen könne sich nichts Schlimmeres vorstellen, als
sich selber auf dem Totenbett Vorwürfe zu machen, weil er gewisse Chancen
verpasst habe. «Es gibt dann keine Gelegenheit mehr Versäumtes nachzuholen.»
Nicht am Missionieren
Eine erste Lesung zum Buch habe es bereits gegeben, am Tag als das Werk erschienen
sei. Die Veranstaltung in der Kantons- und Volksbibliothek Appenzell könne als
voller Erfolg verbucht werden. «Es kamen mehr Besucherinnen und Besucher, als
ich erwartet habe. Aber vor allem stellten diese gute Fragen, die mich
teilweise wirklich forderten.» Er merke schon, dass er ein Thema mit dem Buch
anspreche, dass bei vielen Menschen einen Nerv treffe. «Ich präsentiere mit dem
Buch über den Sensenmann keine abschliessenden Thesen, ich spreche das Thema
Tod lediglich auf verschiedenen Ebenen an. Damit verhindere ich, dass das Werk
religiös interpretiert werden kann und die Leserschaft gefordert ist, selber
über den eigenen Tod nachzudenken. Beides ist mir wichtig, denn missionieren
liegt mir nicht und ich will, dass die Menschen selbstständig denken.» So eine
Lesung sei der ideale Ort um mit vielen interessanten Persönlichkeiten ins
Gespräch zu kommen. Thomas Riesen sieht sich in der Öffentlichkeit aber nicht
als schreibenden Star, sondern total als Teamplayer. «Es war wirklich ein
gelungener Abend, auch dank der guten Organisation durch das Team der Kantons-
und Volksbibliothek Appenzell. Eine solche Veranstaltung ist immer Teamwork,
auch wenn ich als Autor vielleicht im Rampenlicht stehe.» Dies gelte übrigens
ebenfalls für die Produktion eines Buches. «Ohne Verlag, Sponsoren, Lektor und
Grafiker wäre der Sensenmann nie erschienen, es wären einfach ein paar Zeilen
auf meinem Computer zu Hause.» Nun ist es ein Taschenbuch geworden, welches
diverse Personen durch die Handlichkeit mit in die Ferien nehmen. Wenn es
zusätzlich noch mehr Leute dazu animiert, bewusster im Hier und Jetzt zu leben,
hat Riesen und sein Team doch einiges richtig gemacht. Das Buch «Aus dem Leben
eines Sensenmannes» kann jetzt unter www.shop.qultur.ch
bestellt werden.