Vom Schreiben, Wandern und von Scheunen
Bild/Illu/Video: Alice Gabathuler

Vom Schreiben, Wandern und von Scheunen

Gestern, beim Wandern durch eine grandios schöne Landschaft im Norden von England, hatte ich plötzlich diese Frage im Kopf, ob ich wohl eher eine schreibende Wanderin oder eine wandernde Schreiberin bin. Eigentlich egal, dachte ich, Hauptsache Wandern und Schreiben. Im Englischen klingen diese Begriffe natürlich noch besser. Ich sah mich schon einen zweiten Insta-Account eröffnen, etwas mit @walkingwriter oder @writingwalker. Natürlich ahnte ich, dass beide Begriffe längst von jemand anderem besetzt sind, aber ich könnte ihnen ja meinen Namen anhängen, @walkingwriteralice oder so, ich würde grandiose Landschaften posten und tolle Zitate und … Meine Fantasie rotierte. Und dann betrat ich einen Buchladen, sah diesen wunderbaren Bildband über Sheds, also kleine Hütten, Scheunen und Ställe, und schon galoppierte meine Fantasie weiter. @thewritersshed oder @aliceswritershed wäre doch auch schön. Ich wollte jetzt und sofort eine solche Hütte haben. Wehmut packte mich, bis mir einfiel, dass es den Stall ja schon gibt, er ist sogar eingerichtet. Vielleicht mache ich einen Schreibstall aus ihm, eine Writer’s Shed.


Heute, beim Wandern in den nördlichen Yorkshire Dales, habe ich dann ungefähr eine Zillion steinerne Hütten fotografiert und in der Mitte der Wanderung im zum lokalen Museum umfunktionierten Schulhaus von Keld gelernt, dass das kleine Kuhställe sind, cow houses, ausgesprochen cow’usses. Darin hielten die Menschen in diesen abgelegenen Tälern im Winter ihr Vieh, übers ganze Tal verteilt. Das ist übrigens auch so eine Geschichte – die Sache mit dem Winter. In der Art Gallery in Muker waren unter anderem Fotografien ausgestellt, gefühlt zwei Drittel davon im Winter aufgenommen. Das fällt mir auf meinen Reisen immer wieder auf: Selbst in Gegenden, wo es nur alle drei Jahre mal so richtig Schnee hat, hängen … richtig … Schneefotos. Und in Kendal, einer Kleinstadt zwischen den Yorkshire Dales und dem Lake District gibt es sogar einen Ski Club.


Zurück zur Wanderung von heute: Unterwegs kamen wir auch an einer verlassenen Farm vorbei, der Crackpot Hall. Dazu kann man im Museum lesen: «When local historians and authors Marie Hartley and Ella Pontefract visited in the 1920s, the farm was still lived in. They met the farmer’s daughter, four year-old Alice, with the madness of the moors about her, and all their wariness. This child with her mocking, chuckling laugh seemed as untamed to them as her lonely house» Und jetzt raten Sie mal, wo wir Autor*innen unsere Ideen hernehmen. Sollten also in einer meiner nächsten Bücher eine Mrs Pontefract und ein Mädchen mit dem verrückten Wahnsinn des Moors und einem sehr speziellen Lachen vorkommen, dann waren Sie durch diese Kolumne schon mal vorgewarnt. Und ja, das Mädchen hiess wirklich Alice.


Es gab Momente auf unseren Fahrten über raue, wilde, endlose Hochebenen, in denen ich mich fragte, ob man hier leben kann, ohne dass die Seele verdurstet oder schlicht an Einsamkeit eingeht. Und wie stark man sein muss, um das alles auszuhalten. Das sind die Augenblicke, in denen ich den Figuren meiner Serie Lost Souls sehr nahe bin. Und manchmal, wenn ich mich in meinen Gedanken verliere, dann verwischen Realität und Fiktion; dann kann ich alles sein, auch eine Figur in meinen Büchern.


Morgen geht es weiter. Ohne Wanderung. Wir verlassen die Dales und den Lake District mit Wehmut und fahren weiter nach Wales. Ich habe so eine Ahnung, dass auch das ein potentieller Schauplatz für ein Buch sein könnte. Und ich bin ganz sicher, dass mir dort die Ideen zufliegen werden. Unter anderem beim Wandern.


Am Schluss ein Tipp für alle, die gerne wandern: In die Suchmaschine den Begriff «quotes about hiking Bilder» eingeben und sich in die Zitate fallen lassen. Ich empfehle den englischsprachigen Link, weil das Suchen mit dem deutschen Begriff «wandern» leider viel plumpere Sprüche hervorbringt.


Und dann noch ein Jugendbuchtipp (bitte in der englischen Version lesen): «Holding up the Universe» von Jennifer Niven. Mehr dazu in einer der nächsten Kolumnen.

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