Neulich…
Bild/Illu/Video: Emilia Schwarz

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«Wie sieht die denn bitte aus! Schau mal was sie trägt. Was ist denn das für eine Tasche? Und schau mal die Schuhe – die passen ja gar nicht zum Outfit! Ich würde mich nicht trauen, so rumzulaufen.» Es machte mich traurig zu sehen, dass hinter dem Rücken des Mädchens solch abfällige Bemerkungen über ihr Äusserliches gemacht wurden.


Im Nachhinein fühle ich mich sogar schlecht, dass ich die zwei Mädchen nicht angesprochen habe. Gerne hätte ich gewusst, wer ihnen das Recht gibt, so über Menschen zu sprechen. Das blondgelockte Mädchen schien einfach nur einen gemütlichen Nachmittag mit ihrer Mutter zu verbringen. Wahrscheinlich war ich einfach geschockt, dass das wirklich aus den Mündern der zwei Mädchen kam. Ich begann mich zu fragen, wieso wir Menschen so häufig andere auf ihr Äusseres reduzieren und gerne schlecht über andere reden.


Ich schielte rüber zu den Mädchen und das erste was mir in den Sinn kam war: «Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen». Erschrocken über meine etwas gemeinen Gedanken wurde mir aber dennoch klar, dass da etwas dran ist. Wer mit sich zufrieden ist, müsste nicht so über andere reden. Schönheit ist sowieso Geschmackssache, jeder empfindet etwas anderes als schön. Man muss ja keineswegs jeden und alles schön finden. Man darf seine eigene Meinung haben. Doch oft ist es besser, wenn man diese für sich behält. Ungefragt sollten wir niemals unsere Meinung zu Äusserlichkeiten geben. Insbesondere dann nicht, wenn das Gegenüber davon nicht profitiert. Ernst gemeinte Komplimente hingegen sind natürlich gerne gesehen.


Viele Menschen fühlen sich besser, wenn sie über andere schlecht reden. Auf diese Weise fühlen sie sich selbst besser. Je schlechter jemand anderes dasteht, desto besser steht man selbst da. Zumindest glauben viele das. Des Weiteren lenkt man ganz einfach von seinen eigenen Fehlern ab, wenn man mit dem Finger auf andere Leute zeigt. Dies ist bei vielen vielleicht schon gar kein bewusster Ablauf mehr. Es geschieht automatisch.


Doch woher kommt diese Oberflächlichkeit? Wieso verurteilen wir Menschen nur aufgrund des Aussehens? Auf Instagram wird natürlich das Aussehen sehr in den Vordergrund gestellt. Genauso wie auf Tinder, Parship usw. Der erste Eindruck ist dort alles. Weil wir die Menschen im Internet nicht persönlich kennen, keine Stimme hören und keine Mimik wahrnehmen können, müssen wir uns auf unseren Sehsinn verlassen. Er entscheidet über Sympathie oder Antipathie. Dies können wir jedoch nicht auf das echte Leben übertragen. So viele Faktoren sind mitentscheidend, ob wir einen Menschen nun mögen oder nicht. Das Äussere ist nur das erste, was wir wahrnehmen. Es muss natürlich für den einzelnen auch passen, doch es ist nicht alles.


Irgendwie bekam ich dann Mitleid mit den zwei Mädchen. Ich empfand es als traurig, als ich erkannte, dass sie wohl selbst nicht zufrieden mit sich sein mussten und deshalb ihre Unzufriedenheit auf andere projizierten. Ein anderer Grund könnte sein, dass sie noch nicht verstanden haben, auf was es bei einem Menschen wirklich ankommt. Damit auch, was einen Freund/eine Freundin zu einer Bezugsperson macht. Wenn sie mit allen Menschen so umgehen würden, wie mit dem blondgelockten Mädchen, dann hätten sie keine richtigen Freunde, sondern nur oberflächliche. Es ist zwar schön, viele Menschen zu kennen und überall Anschluss zu finden, doch wenn es ernster wird (in jeglicher Hinsicht), dann zählt das Innere eines Menschen.

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