Platzspitzbaby
Mir war klar, dass irgendwann das Thema Drogen aufkommt. Es macht Sinn, dass es in der Schule thematisiert wird. Schliesslich war das bei uns nicht anders. Vielleicht etwas später. Auf jeden Fall verriet mir unsere Tochter eines Morgens ganz nebenbei, dass sie in der Schule einen Film ansehen werden. Irgendwas mit Platzspitz. Ich stutzte und wurde hellhörig.
Ich fragte nach. «Einen Dokumentarfilm?» «Keine Ahnung, irgendetwas mit einem Mädchen.» lautete die Antwort. «Ihr schaut euch Platzspitzbaby an?» sagte ich mit leichtem Entsetzen in der Stimme. Für einen kurzen Moment verging mir der Hunger auf das bevorstehende Frühstück. Ich hatte das Buch gelesen und auch den Film im Kino gesehen. Der Anblick dieses Elends verursachte kein gutes Gefühl in meinem Bauch.
Vor allem rief der Film Bilder in mir hoch. Auch in unserem Dorf gab es Leute, die sich in der Szene bewegten und nicht alle überlebten. Zum Beispiel Daniel, der zwei- bis dreimal auf dem Sozialamt vorsprechen musste. Manchmal kam er mit roten Lippen und im Jeansrock, er wirkte meistens apathisch. Queer war noch kein Thema, Geldbeschaffung schon eher. Oder was spielte sich hinter der Wohnungstüre der neuzugezogenen Familie ab. An einem heissen Nachmittag sollte ich dort etwas Amtliches zustellen. Die Frau öffnete die Tür nur einen Spalt breit, ein eigenartiger Geruch schlug mir entgegen.
Ach - ich machte mir Sorgen. Würde unsere Tochter diese traurige Geschichte vertragen? Wie konnte ich sie so kurzfristig auf diese Tragödie vorbereiten?
Obwohl es mir schwerfiel, hielt ich mich zurück und hoffte einfach sie würde den Film mit anderen Augen sehen als ich. Schliesslich zweifelte ich in ihrem Alter auch keinen Moment daran nicht alt genug für das Thema zu sein.
Der Vormittag ging vorbei und mein erster Impuls, als sie von der Schule nach Hause kam war, sofort nachzufragen wie der Film gewesen sei. Ich «verklemmte» es mir. Bevor es aber am Nachmittag wieder losging, hakte ich nach.
Natürlich alles halb so wild. Die Lehrerin hatte den Film zwischendurch gestoppt und gemeinsam besprachen sie die verschiedenen Szenen.
Das taten wir dann auch. Und ich merkte welchen anderen Blickwinkel sie auf die ganze Sache hat. So ein Austausch tut immer wieder gut und gibt Vertrauen. Und das ist es genau was es braucht.