Schweizer Filme im Test: «November» (2003)
Bild/Illu/Video: Christian Imhof

Schweizer Filme im Test: «November» (2003)

«November», welcher mir vom Fachmann Livio Wellinger empfohlen worden ist, wurde im Jahr 2003 veröffentlicht. Hinten auf der DVD steht folgende Inhaltsangabe:

«Marianne Brunner schiesst einen Lotto-Sechser. 2,8 Millionen Schweizer Franken nennt die Hausfrau aus Thun über Nacht ihr Eigen und eigentlich könnten sie und ihre finanziell nicht eben auf Rosen gebettete Familie das Geld gut brauchen. Doch Marianne und ihr Gatte Paul sind von der neuen Situation derart überrumpelt, dass sie sich zuerst zerstreiten, bevor sie gemeinsame Sache zu machen beginnen. Bis es so weit ist, hat das Schicksal längst seinen Tribut gefordert - die Tochter, die zwischen dem Frust der Eltern zerrieben wird.»

Erdrückende Stimmung
Mein ehemaliger Arbeitskollege Livio hatte Recht. Der Film ist wirklich ziemlich anders als die meisten Schweizer Veröffentlichungen. Das Elternpaar, welches kurz vor der Scheidung steht, tut einem schon beim Zusehen weh. Ihre eigenen Egos stehen ihnen im Weg und es zeigt sich, dass Geld den Charakter zwar nicht verdirbt, sondern ihn schlicht und einfach offenlegt. Als Paul, welcher eindrucksvoll von Max Rüdlinger dargestellt wird, sich einen Mercedes gönnt und seine Frau Marianne (Charlotte Heinimann) darauf pocht, dass sie ja im Lotto gewonnen habe, wird es immer kühler bei der Familie Brunner. Nicht nur die beiden Hauptdarsteller, die aneinander vorbeileben kriegen dies mit, auch die Bildsprache zeigt, dass dieses Haus wohl kein wohliges Zuhause für ein Kind sein kann. Es ist eine erdrückende Stimmung, die hier den Ton angibt und als Paul spätabends betrunken zu seiner Frau ins Bett steigt, musste ich für einen Moment meinen Blick doch abwenden…


Der Traum von Amerika

Kein Wunder also, dass sich die Tochter Yvonne, gespielt von Muriel Rieben lieber mit dem Kiffer «Ice-Man» (Martin Rapold) rumtreibt. Bei ihm kommt sie unter und kann für einen Moment vom Chaos daheim Abstand nehmen. Die Sehnsucht des Träumers vermischt mit der kindlichen Begeisterung von Yvonne sorgt für eine Auflockerung zwischen den erdrückenden Szenen im Haus der Neureichen. Gemeinsam mit ihrem grossen Helden träumt sie von Amerika und diese Phantasien kommen mir sehr bekannt vor. Auch ich hatte ähnliche Visionen vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten, bevor ich es zum ersten Mal besucht habe. Als ihre Mutter der kleinen Yvonne verspricht nach Weihnachten mit ihr dorthin zu reisen, scheint es für einen Moment so, als würde der Film tatsächlich noch ein glückliches Ende nehmen, aber eben…  


Schlussfazit:
Der Film «November» hat wirklich eine spezielle Erzählstruktur und zugleich eine beengende Atmosphäre. Die Charaktere haben Tiefe und die über allem schwebende Melancholie passt perfekt zur Jahreszeit.


Bei Schweizer Filmen immer ein wenig zu bemängeln und auch hier leider ein Minuspunkt: Die Lautstärke der Dialoge. Es ist echt mühsam, dass man wenn die Protagonisten miteinander sprechen derart laut schalten muss, nur um bei der kurz darauf einsetzenden Hintergrundmusik sofort wieder das Volumen runter zu drücken. Auch wenn es mit dem Lottogewinn eine etwas unrealistische Idee ist, irgendwie ist der Rest des Films ziemlich nah am echten Leben. Der inzwischen 17-jährige Streifen ist trotz einzelnen Längen recht gut gealtert und eignet sich gut zum Konsum für zwischendurch an einem herbstlichen Tag wie heute.

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