«Babylon» im Soundcheck
Dabei wird jedoch stets ein gutes Gesamtbild gewahrt. So ergibt es sich, dass jedes Instrument auf seine Weise ein genaueres, selektierendes Hinhören rechtfertigt. Umschmeichelt wird das Ganze vom omnipräsenten und nie langweiligen Gesang.
Zusammengefasst keine Musik, die einen ohne Vorwarnung vom Hocker reisst, sondern zum mitgrooven, chillen und bewusstem Musikhören einlädt. Ein luftig locker leichtes Album mit einer Menge Feeling. Dabei bedient die Schweizer Band textlich in allen Bereichen von Selbstironie bis hin zu melancholischer Reflektion.
Entspanntes Midtempo, nett eingestreute Riffs, schöne Einsätze – was will man mehr. Stimmungsmässig rangiert das Ganze auf dem Level «elanvoll», befindet sich dabei jedoch stets in sympathisch wirkenden Gefilden und gestaltet sich gerade stark angekratzt genug um etwas dreckig zu klingen. Im Umkehrschluss jedoch auch sparsam genug um nicht übertrieben oder inflationär zu wirken. «Babylon» verkörpert also nicht nur den namensgebenden Titel, sondern auch den Einstieg ins Album. Hier wird das Rad zwar nicht neu erfunden, jedoch solide Musik dargeboten – rockig, doch mit unaufgeregtem Replay-Charakter. Ein schönes Gesamtpaket für allerlei Lebenslagen.
Diesem grundlegend entspannten Charakter mit Gesang und Text im Fokus folgt auch «Let it go». Etwas getragener und mit teilweise schön über den Takt ausklingenden Gitarren lädt der Track (auch wenn der Titel dahingehend natürlich zu einem stereotypischen Wortspiel einlädt) zum Loslassen und Träumen ein. Der leichte Geist wir hier sowohl musikalisch als auch textlich entführt und mit auf die weite Reise genommen. Dabei kontrastieren die gelegentlichen heiseren Schreie im Hintergrund harmonisch mit dem sonst so luftigen Gesamtcharakter, dem trotz aller Leichte die gewisse Spur Melancholie nicht abhanden gekommen ist. Man könnte dem Ganzen fast eine ausserirdische Grundstimmung zusprechen – um nun endlich den Bogen zum namensgebenden Low Class Alien zu schlagen… Bleibt definitiv länger in der Playlist!
Die luftig leichte Herangehensweise der vorangegangenen Stücke überträgt sich in guter alter Album-als-Gesamtkonstrukt-Manier auch auf den nächsten Titel: «Double Tap». Offene und cleane Gitarrenriffs lassen erst überhaupt kein Versteifen der Situation zu und erhalten den entspannten Charakter weiter aufrecht. Auch das locker einsteigende Schlagzeug ändert daran wenig, sondern unterstreicht die musikalische Szenerie nur noch weiter. Auch die schön eingebundenen Steigerungen auf allen Ebenen wissen zu begeistern - ob nun verzerrte Gitarren, elanvollere Drums oder kräftigerer Gesang. Insgesamt entwickelt sich daraus eine durchaus klangvolle Spannungskurve, und das trotz den zwar höchst-aktuellen, jedoch ebenso nichtssagenden Textes. Dieser Umstand an sich wiederrum fügt sich sehr schön mit der Grundaussage des Titels zusammen. Die besungene Langeweile kommt auf jeden Fall nicht auf. Clever gemacht.
In allen Bereichen etwas kräftiger, ohne dabei jedoch seinen angenehmen Groove zu verlieren präsentiert sich das fernwehgetriebene «Far away». Basierend auf einem angenehm treibenden Drive bahnt sich der Track seinen Weg durch die musikalische Landschaft, ohne dabei auf die bereits bekannten, wohlgesetzten Steigerungen oder das ebenso gekonnt platzierte Zurückrudern zu verzichten. Als Glanzstück präsentiert sich in gewohnter Weise in erster Linie der Gesang sowie die einfachen, aber sehr wirksamen Drumpattern. Garniert von offen gehaltenen Gitarren und teils gänsehauterzeugenden, rauen Schreien entwickelte sich «Far away» nicht zuletzt wegen der gut gemanagten Bandbreite schnell zu einem meiner Favoriten.
In der bestehenden Reihe der durchaus gelungenen musikalischen Machwerke findet auch «Look outside» seinen Platz. Selbstreflektierende Textpassagen mit alltäglichem Bezug untermalen die leicht melancholische Grundstimmung der anfangs soloakustisch gehaltenen Gitarren. Mehr Instrumente sind allerdings für die teils stark nachdenklichen, jedoch stets optimistischen Texte auch nicht nötig. «Enjoy the little things in life. Look outside and smile.» Passt.
Im starken Kontrast dazu stehen die fast schon diabolischen Schreie und gezerrten Gitarren im gesteigerten Verlauf von «K.e.f.a.». Gesamt gesehen sind diese in jedem Falle eine gelungene Abwechslung und wirken in ihrer exzessiven Ausführung trotz allem nicht überdreht. Positiv fällt dabei auch ins Auge, dass die rauen Schreie sich lautstärkemässig nicht unangenehm hervorheben. Ihre unangefochtene Präsenz wird dabei nicht in Frage gestellt, sondern eher im Hintergrund verortet. Das wirkt deutlich ernstzunehmender - lässt aufhorchen. Final verleiht dieser Kunstgriff dem Gesamtstück eine dunklere Atmosphäre als würde man allein auf den Effekt der Lautstärke zurückgreifen. Find ich sehr gelungen. Mal davon abgesehen: Der recht ruhige Einstieg und die ohrwurmverdächtige Bridge sind durchaus sehr hörenswert und rangieren sehr nah an meiner persönlichen Spitze des Albums. Struktureller Aufbau, Gesang, Instrumenteneinsatz, Steigerung, Spannungskurve, Abwechslungsreichtum – hier passt alles zusammen. Zusammenfassend ein sehr empfehlenswerter Titel für den musikalischen Einstieg und auch zum späteren Grooven – aktuell mit einem Glas wohl temperiertem Rotwein auf der Bank an meiner Lieblingsaussicht hinterm Haus im orangeroten Sonnenuntergang. Klischee? Ja!
Wenden wir uns von den vorurteilsbehafteten Stereotypen von Musikreviewschreibern ab und lenken unsere Aufmerksamkeit wieder zu den wichtigen Dingen: «Mental Hygiene» nennt sich der nunmehr siebte Titel des Albums, welcher bereits ab dem ersten Ton Energie und Kraft versprüht. Unterbrochen wird dieser Fluss einzig und allein durch die wiederholt nachdenklich gestalteten Textpassagen. Die sonst so gern gesehenen Steigerungen kehren sich hier zum Gegenteil. Ein starker Anfang paart sich hier zwar mit kräftig ausgeführtem Gesang, jedoch einer langfristig gesehen abnehmenden Gesamtstruktur, die jedoch keine Ruhe in die anfängliche Hektik bringt. Sanftes Kopfnicken und heimliches Zehenwippen zum Takt inklusive. Der elanvolle Abschluss lässt’s rund werden. Macht Laune.
Erstmal überrascht, weil völlig kalt erwischt, hat mich der Sprechgesang am Anfang von «No gold». Klingt ganz spontan etwas nu-metallisch nach Limp Bizkit oder gewissen Stücken der Beastie Boys oder ähnlichen Genrevertretern, ohne dabei jedoch zu sehr zu überdrehen. Auch die Instrumentalistik kann man dabei getrost mit besagten Referenzen vergleichen. Textlich erfrischend wirkt vor allem der Umstand, dass sie die Truppe dabei selbst nicht zu ernst nimmt.
Erwartungsgemäss solide ausgeführt und ohne jeden Zweifel spassig zu hören.
Sehr begeistert auf Grund der ungewöhnlichen Struktur im Zusammenspiel von Stimmeinsatz, Taktung und Zählzeiten hat mich «Miracles». Der unerwartete Cut allein macht dieses Lied hörenswert, ohne dabei in den anschliessenden Parts an Intensität nachzulassen. Gerade in Kombination mit dem jeweiligen Tempowechsel hält dieser Track die Spannungskurve dauerhaft auf einem hohen Niveau schön und bringt abermals frischen Wind ins Album. Auch wenn ich mich an dieser Stelle wiederhole: wohlgesetzter Gesang und eine sympathische Bandbreite an Gesangsstilen stechen auch hier merklich hervor und verleihen dem Gesamtkonstrukt einen ganz eigenen Charakter.
Mit «Christiana» endet das Album leider schon. Dabei setzen die Jungs noch einmal auf die bereits bekannten, erwartungsgemäss mitreissenden Melodien, welche mit nachdenklich gestalteten Zwischenstücken garniert wurden. Als Grundelement für dieses gelungene Topping agiert eine leicht aggressive, vorwärtsstrebende Basis. In dieser werden fast alle Tempobereiche, Gesangsvarianten und Solovariationen der Instrumente bedient. Somit klingt dieser Titel nicht nur für sich genommen sehr weitläufig und interessant, sondern repräsentiert sehr schön die gesamte Bandbreite des Albums. Ein wirklich gelungener Abschluss, fade-out inklusive. Hier lohnt es sich wirklich, sich auf die Suche nach dem Replay-Button zu begeben.
Schlussfazit:
«Babylon». Das metaphorische Aufwärtsstreben in luftige Höhen hätte musikalisch wohl kaum besser umgesetzt werden können. 10 schöne kurze Titel, die ihre Leichtigkeit nicht zuletzt dadurch behalten, dass sie nicht künstlich auf 7 Minuten gestreckt wurden. Der grundlegende Minimalismusgedanke wurde somit konsequent bis zum Ende durchgezogen. Davon können sich einige eine Scheibe abschneiden. Von mir gibt es eine klare Empfehlung zum Reinhören, wenn man sich selbst in einer dieser Phasen auf der Suche nach entspannt-groovigem Rock befindet. Vor allem positiv im Gedächtnis bleibt mir hier die Vielzahl an technischen Spielereien, die jedoch auch trotz ihrer Anzahl nicht erzwungen wirken. Somit wirkt das Album in jeder Lebenslage sehr durchdacht. Ein spannender Nebeneffekt ist die sich beim bewussten Hören öffnende Schere zwischen groovigem Rock und locker-leichten Melodien und den parallel verorteten schwermütigen und tiefgreifenden, teilweise auch selbstironischen Texten, die ein Hören auf mehreren Ebenen ermöglichen. Genau mein Geschmack. Ob man Low Class Alien nun als geneigter Gitarrenmusik-Freund gegenübertritt oder einfach nur neue Inspiration sucht: Hört rein! Es lohnt sich.