«Lila»
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«Lila»

Fläze mich unter eine der drei Pappeln, sie stehen brüderlich auf einer kleinen Anhöhe, nah bei Lila, die mich gerne mit ein paar Spritzern neckt. Lila sagt, Bäume spenden Kraft, habe sie gefragt, ob es darauf ankommt, welche Marke Baum man wählt, ist egal, meinte sie. Es war auch Lila, die mir das mit der Mitte erklärte, man könne den Atem fliessen lassen, dann fände man in die eigene Mitte. Durch die Nase, sagt Lila, einatmen durch die Nase, kräftig und stossweise ausatmen durch den Mund. Aus der eigenen Mitte heraus kommt man vorwärts, habe ich von Lila gelernt, klappt bei mir aber leider nicht, weil mein Atem steckenbleibt. Ich schätze, das Steckenbleiben ist meine Spezialität. Manchmal geht mir durch den Kopf, dass die Gebärmutter der einzige Ort ist, an dem ich vorwärtsgekommen bin. Die Mitte befindet sich ungefähr dort, wo mein Bauchnabel ist, weiss Lila, in diesem Bereich hockt aber er, der dämliche Knoten, der meinen Atem ausbremst.


Da hilft mir auch das mentale Zeug nicht weiter, von dem mir mein Freund Toni erzählt, denn hierzu braucht man einen ruhigen Geist. In meinem Kopf aber herrscht Lärm. Jeder Gedanke gegen jeden und so, bei dem Krawall wird es schwierig, einen geistigen Samen zu setzen. Weil es in meinem Kopf zetert, als ob er von einem Schwarm streitsüchtiger Vögel bewohnt wird, konzentrierte ich mich bis vor wenigen Wochen vor allem auf mein Äusseres. Was meinen Body anbelangt, kann ich wirklich nicht klagen, gestählt, abgehärtet, wie tot, oder meinetwegen wie ein Panzer, an dem alles abklatscht, genauso habe ich meinen Body präpariert.


Der Knoten - ich habe ihn Gnom getauft -, blieb resistent selbst gegen die harten Bandagen, mit denen ich ihm den Garaus machen wollte. Noch Drogen oder Pillen haben genützt, wirkungslos blieben auch Boxkämpfe, Fasten und Beten. Ja, selbst Sexorgien, auf die mein Freund Toni schwört, kamen dem Gnom nicht bei, Toni schwärmt, ihm sei beim Sex schon oft das Hören und Sehen vergangen und er wüsste keinen Grund, weshalb meine Vögel nicht auch endlich den Schnabel halten würden, ich müsse nur ordentlich auf die Tube drücken. Er schleppte mich von einer Zirpeline zur nächsten, aber weder Tube noch Druck erfüllten Tonis Anforderungsprofil. Bis in die heutigen Tage spaziert der Gnom unbeirrt und gemütlich in meiner Magengegend rum.


Seit ich täglich unter den Pappeln bei Lila sitze, werden die Gedanken – immerhin - etwas klarer und ich habe damit aufgehört, meinen Körper zu drillen. Lila sagt, der Kloss werde sich auch noch verdünnisieren, es sei nur noch eine Frage der Zeit. Ich geb was drauf, wenn Lila eine Ansage macht, weil sie ist nicht nur schön, Lila ist auch schlau. Zugegebenermassen, wenn ich down bin und sie mir mit der Mitte kommt, nervt es mich, dann denke ich so leise, dass sie es hoffentlich nicht hören kann, reden kann ja jeder, plätscherst dir einen durch die Landschaft ab, musst nirgends bleiben, bist immer im Fluss, geh doch du mal zur Arbeit, kämpfe du gegen ein Hirn an, in dem eine Brut von Vögeln wütet, bewohne du einen verwundbaren Körper, dann werden wir ja sehen, ob du weiterhin von der Mitte laberst. Als ob sie eine Gedankenleserin wäre, blubbert und rülpst Lila vergnügt gegen meinen Miesepeter an, bis der Frieden tief in mein Knochenmark dringt. Dann überkommt mich meistens die Lust auf ein Bad, hab es auch schon bei Schnee gemacht, mich nackig ausgezogen und in Lilas Arme geworfen, in ihren Wassern gebadet, tiefe Atemzüge genommen, nicht wegen der Mitte, sondern weil ich ihren Geruch mag. Bin stundenlang an ihren Ufern gewandert um herauszufinden, warum meine Lila nach Fenchel riecht, habe auf den zweiundvierzig Kilometern bis in die grosse Stadt noch nie eine Erklärung für ihren Wohlgeruch gefunden. Irgendwann habe ich schliesslich irgendwo gelesen, dass es früher zwei Quellen gegeben haben soll, die in der Nähe der Pappeln sprudelten. Seither frage ich mich, ob es daran liegt, ob in Lila noch ein wenig von den Quellwassern verblieben ist, - die nicht – wie die meisten Quellen - nach faulen Eiern gerochen haben müssen, sondern nach Fenchel.


Tja, die Dinge lassen sich nicht immer auf den Punkt bringen. In solchen Fällen erinnere ich mich an Mutter, die das Zepter dem Herrgott überliess, sie hat ihn einen guten Mann sein lassen, wie sie gerne sagte, was ihm krassen Gegensatz zu ihrer Lebensführung stand.


Mutter, die sich zeitlebens mit Strenge geisselte, eine Strenge, die ihr Gesicht mit den Jahren in eine regungslose Maske verwandelte, ihren Körper ausmergelte, sie war dünner als ein Grashalm und sah mit Vierzig aus wie Siebzig! Mutter kommt mir in den Sinn, wenn ich religiöse Sachen höre oder aus Gewohnheit denke, damit meine ich, dass ich manchmal so denke, wie es meine Eltern getan haben, dann kommen auch die Erinnerungen an Vater ins Spiel.


Ist echt nicht einfach, selber zu denken! – Das Gewohnte hat sich so tief ins Hirn eingenistet, dass man selten bemerkt, wessen Gedanken man tatsächlich denkt. Beispiel gefällig? - Neulich, als ich Toni eine poliert habe, war das voll eine Reaktion aus der Familientradition. Palavern, sagte Vater gerne, ist was für die Oberschicht, unsereins erledigt die Dinge unmissverständlich.


Bin froh, dass ich Lila gefunden habe.


Sie hat so eine Art…Sie tut mir gut… Mach dir keinen Kopf, beschwichtig sie mich täglich, Sorgen füttern bloss den Kloss und früher oder später - versprochen! - kommt jeder in den Fluss.

Wenn das nicht mal eine solide Ansage ist.

Ohmann, was für ein Glück, dass ich Lila gefunden habe.

































Mehr zur Autorin:

Gabriela Cheng-Voser arbeitete in der Musikbranche, war Pizzabäckerin, Herausgeberin eines Anzeigers, schrieb Kolumnen und textet oft für Menschen, die sie gerne ins Rampenlicht stellt. Literarisches Schreiben seit 2014, Veröffentlichungen in Anthologien und als Gastautorin, 2018 bis 2021: Text des Monats Literaturhaus Zürich, Shortlist Münchner Kurzgeschichtenwettbewerb, las in München, verschiedentlich in Zürich und rundum, dann der Lockdown, vereitelte die Auftritte im neu gegründeten literarischen Duo, doch sind Schubert&Iggy demnächst wieder im Anmarsch. Begeistert sich neu für Lyrik und schreibt zum dritten Mal ihren ersten Roman.

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