Ich habe Homo sapiens ...
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Ich habe Homo sapiens ...

Und, wenn man den beeindruckenden und extrem detaillierten Ausführungen von Frank Schätzing in seinem neuen Buch folgen will, dann kann die Erde langsam wieder hoffen, es wird zwar wohl noch schlechter, viel schlechter, bevor es wieder besser wird, aber es wird. Dann allerdings ohne die Menschen, die dem «sapiens» in ihrem Namen («weise, gescheit, klug, vernünftig», Wikipedia) dann nur bedingt Ehre gemacht haben werden. Sieht man sich die butterweichen Resolutionen der 26. UN-Klimakonferenz COP26 in Glasgow an, und dies trotz der Teilnahme des Genfer IPCC, des Weltklimarates, und seinem erschreckenden Bericht vom August dieses Jahres, so lässt sich mein Eindruck nicht vermeiden, dass die Teilnehmenden im Wesentlichen drei Anliegen haben:

1. So schlimm wird das schon nicht werden

2. Und wenn, jedenfalls nicht vor der nächsten Wahl

3. Hab’ ich genug Bier im Kühlschrank?


Auch die Presse scheint schon fast resigniert zu haben, wenn die Anekdote, dass die amerikanische Demokratin Alexandria Ocasio-Cortez, kurz AOC, als Höhepunkt der schottischen Gastfreundschaft den Ingwer-Nektar Irn-Bru probieren konnte, mehr Raum in der Berichterstattung einnimmt als die Tatsache, dass das Ziel von 1.5°C globaler Erwärmung bereits auf der Intensivstation am Tropf hängt.


Wenn Sie sich selbst ansehen wollen, was in den nächsten Jahren bei einer jährlichen Erwärmung von 1.5 – 4.0 °C passieren wird, klicken Sie auf diesen Link.


Aber zurück zu Schätzing, den wir eigentlich nie verlassen haben. Schätzing schreibt das Skript für einen Film, genauer für einen Thriller, mit verschiedenen Szenarien, die je nach Bedingungen der Vorlieben der Schauspieler, der Lokation, des Wetters unterschiedlich verlaufen würden. Allerdings gibt einen Riesenunterschied in den Szenarien, die Schätzing beschreibt, zu einem wirklichen Thriller: bei einem Thriller weiss man, wie es ausgeht und die Schauspieler können, wenn sie genug haben, aus der Reihe aussteigen. Aus unserem Krimi steigt keiner aus, wenn, dann sterben alle gemeinsam, Opfer wie Kommissare.


Aber das muss immer noch nicht sein. Schätzing bringt eine Unmenge von Daten, Beispielen, betrachtet die Eismassen, die Ozeane, die Winde, die Wälder, beleuchtet die Verursacher (also wir alle, natürlich in unterschiedlichen Massen) und die Aktivisten, die Politiker und die Skeptiker und Klimaleugner, aber, und das ist am wichtigsten in diesem notwendigen Buch, er bietet Handlungsmöglichkeiten an, gibt Hoffnung, weil einige Kipppunkte (die «points of no return») noch nicht erreicht zu sein scheinen.


Was mir bei der Lektüre des Buches am meisten Hoffnung macht, ist der sachliche, faktenbezogene Duktus, der auch die grünen Aktivisten ihrer Dogmatik überführen kann, und der Optimismus, der in jeder Zeile mitschwingt. Aber noch beeindruckender ist der ganzheitliche Ansatz, der auf das grösstmögliche Glück für die grösstmögliche Zahl von Menschen zielt. Glück? Bhutan ist das einzige Land auf der Welt, das statt des Bruttoinlandsproduktes das Bruttonationalglück definiert hat und das Ziel einer gesunden Seele in einer gesunden Natur durch einen wirtschaftlichen Wachstumsstop zu erreichen versuchte. Welches nicht funktionierte, die Glücksquote sank, weil blosse Selbsterhaltung zu Lebensmittelknappheit, zu weniger Glück führte. Die Wirtschaftsstrategie wurde umgekehrt, Armut schwindet, ohne dass Naturschutz leidet.


Schätzing schreibt: «Bhutan könne so zum Vorzeigemodell einer grünen Wachstumsgesellschaft werden, die niemandem seine Bedürfnisse diktiert. Was im Reisfeld funktioniert, kann auch im digitalen Ambiente funktionieren. Wenn wir Qualität über Quantität, Werterhalt über Entwertung, Förderung des Allgemeinguts über Egoismus stellen, können wir eine dynamische Welt schaffen, die faire Chancen für alle bietet, ohne in ideologischer Gleichmacherei zu verdummen.» (S. 284)


Das, an sich, klingt nicht neu und, wenn man will, auch leicht naividealistisch, aber Schätzing zeigt mögliche Wege auf, die, zumindest für mich, überzeugend und realistisch-machbar klingen. Und, letztendlich, was haben wir zu verlieren?


Frank Schätzing - «Was, wenn wir einfach die Welt retten? - Handeln in der Klimakrise», Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2021

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