Bild/Illu/Video: Tanja N. Maïkoff

«Ich bevorzuge es Brücken zu bauen, anstatt diese zu sprengen»

Gratulation zum neuen Song und auch zum Video «Emna Rumantscha». Beides weckt sehr viele Emotionen bei mir. War das von Anfang an als Doppelpaket geplant oder hat der Zufall hier mitgespielt?

Vielen Dank für das schöne Feedback. Es ist schön zu sehen, wie dieses Video momentan global viral geht. Damit hätten wir nicht gerechnet. Offensichtlich treffen wir nach dieser für uns allen schwierigen COVID-Phase den Puls der Zeit. Das Wetter und die Engadiner Kulissen waren unglaublich am Shootingtag und wir waren sehr motiviert dieses tolle Projekt für das Schweizer General Konsulat in Kanada umzusetzen.


Ich hatte die Veröffentlichung für den 22.02.2022 vorgesehen, weil mir die Zahlenkombination gefällt. Dass wir die Veröffentlichung nun mit der Emna Rumantscha kombinieren konnten, freut mich.


Was sind die schönsten Reaktionen, die du darauf bekommen hast?

Viele Personen erzählen mir, dass ihnen die Tränen gekommen sind, als sie das Video gesehen haben. Ich bin mir bewusst, dass dieses Video nostalgische Gefühle aufkommen lässt. Die schönste Reaktion war die, als mir eine Person erzählt hat, dass bei der Szene als ich am Holzhacken bin, weinen musste, da sie dies auch immer mit ihrem Vater getan habe. Dieser sei aber leider schon seit Jahren verstorben. Diese Person erzählte mir, dass sie diesen Moment im Video jedoch als sehr schön empfunden habe, da so viele Erinnerungen an ihre Kindheit und schöne Momente mit ihrem Vater aufgekommen seien.


Jetzt, da die Liricas Analas ihr Ende verkündet haben, ist es umso wichtiger weiter romanische Musik zu fördern. Wie viele Musiker:innen hast du in deiner lange andauernden Karriere schon angestiftet, wieder in ihrer Muttersprache Lieder zu schreiben?

Ganz ehrlich, kann ich dies nicht mehr nachvollziehen, da es mittlerweile so viele sind. Es ist jedoch schön zu sehen, dass langsam eine junge selbstbewusste Generation an talentierten Künstlern eine neue Qultur kreiert.

Du arbeitest mit unterschiedlichsten Sprachen. Wann entscheidest du dich für Romanisch, wann für Deutsch oder sogar für eine andere Sprache?

Dies ist ein eher intuitiverer Prozess, bei welchem ich sehr experimentell vorgehe. Ich weiss am Anfang nicht, was dabei rauskommt, gehe mit dem Flow und lass mich dabei selber überraschen, wo die Reise hinführt.


In der neuen Single «Astronaut» behandelst du die Orientierungslosigkeit eines Secondos. Wie schwierig war es für dich in einem etwas konservativ orientierten Umfeld wie dem Engadin aufzuwachsen?

Ich muss ehrlich zugeben, dass ich viel mehr Liebe als Hass für meine Diversität in meinem Leben erfahren durfte. Persönlich bin jedoch oft hingerissen zwischen der Engadiner Qultur, die ich seit meiner Kindheit erleben durfte und das fehlende Puzzlestück meiner zweiten Identität, die optisch klar erkennbar ist. Und diese Orientierungslosigkeit von vielen Secondos, die zum Teil im Konflikt zwischen ihren zwei Qulturen oder Identitäten sind, wollte ich thematisieren. Ich will den jungen Menschen aufzeigen, dass es cool ist, anders als der Durchschnitt zu sein.


Als romanisch sprechender brasilianisch-schweizer Musiker bist du sicher für viele junge Immigranten im Engadin ein grosses Vorbild. Wie gross ist deine soziale Verantwortung und wie wirst du dieser gerecht?

Ich gebe oft auch Workshops mit Kids und jungen Menschen ausserhalb von Graubünden. Oft auch in den grösseren Städten der Schweiz. Dort realisiere ich, dass die Schere zwischen Arm und Reich viel grösser ist und nicht alle Kids die gleichen Möglichkeiten haben. Aber auch diese Kids haben Träume. Und genau dort habe ich eine grosse Verantwortung ihnen aufzuzeigen, dass, wenn sie hart für ihre Träume kämpfen und arbeiten, diese trotzdem in Erfüllung gehen können.


In deiner Musik arbeitest du oft mit Menschen aus anderen Qulturen. Ist das deine Art, um Rassisten zu zeigen, was sie durch ihren sinnlosen Hass alles verpassen?

Ich bevorzuge es Brücken zu bauen, anstatt diese zu sprengen. Somit versuche ich vielmehr zu sensibilisieren, Verständnis und Offenheit zu vermitteln und so den Dialog zu suchen. Ich bin überzeugt, dass Liebe viel nachhaltiger als Hass ist.


Du bist inzwischen 36. Wirst du immer Rapsongs produzieren oder wird man da irgendwann zu alt dafür?

Als ich mit 18 Jahren angefangen habe Musik zu machen, war mein Publikum gleich alt. Mittlerweile altere ich schneller als mein Publikum. Aber ich habe noch so viel Spass und Energie Musik zu machen. Und solange ich diese Gefühle noch habe, werde ich Musik machen.


Hin und wieder gibt es neue Singles von dir. Kommt auch irgendwann wieder mal eine Platte oder ist es dir lieber, von Lied zu Lied zu planen?

Meiner Meinung hat sich das ganze Musikbusiness verändert und ist schnelllebiger geworden. Ein Album ist träge und bist du es realisiert hat, rennst du der Zeit schon zwei Schritte hinterher. Aus diesem Grunde bevorzuge ich es Singles zu produzieren. So kann ich viel flexibler sein und genau das machen worauf ich Lust habe, ohne ein ganzes Album finalisieren zu müssen. Ich habe ganz ehrlich Spass an dieser dynamischen Entwicklung.

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