Dogecoins und Turtlecoins
Bild/Illu/Video: Marcus Duff / Cascadas

Dogecoins und Turtlecoins

Ich habe mir neulich auf Netflix eine (!) Folge von Sexify angesehen, bis meine Frau zu mir sagte: «Du bist Dir bewusst, dass die alle 35 Jahre jünger sind als Du?» Wenn Sie also mal in dieser Stimmung sind, sich eben mit Unterhaltungs-Brei zu füttern, der 30 Jahre oder mehr unter Ihrem normalen Konsumalter liegt, jedenfalls was den Erzählstil angeht, dann ist Montecrypto genau richtig. Inhaltlich ist der Text schon gehaltvoller, er umfasst mindestens 6 Vorlesungen über Bit- und sonstige Coins, die Auswirkungen von digitalen Währungen auf den Welt-Finanzmarkt und die menschliche Entwicklung parallel zum kalendarischen Alter von sozialen und moralischen Haltungen, frei nach dem Motto: «Wer vor Dreissig kein Revoluzzer ist, hat kein Herz. Und wer nach Dreissig noch Revoluzzer ist, hat kein Hirn.»


Greg Hollister ist mit dem Flugzeug abgestürzt. Das allein mag traurig sein, aber ist noch nicht genug, um ihn zum spiritus rector einer Romanhandlung zu machen. Sein Vermögen, um genauer zu sein, sein in Bitcoins et al. investiertes und verstecktes Vermögen, hilft dagegen schon gewaltig. In der Tradition von Kit Williams Masquerade von 1987, dessen Hase allerdings nicht ganz soviel wert war wie die versprochenen Milliarden von Hollister, löst ein Video des Verstorbenen eine veritable Schatzsuche über Kontinente hinweg aus.


Ed Dante, der detektivische Protagonist des Romans, seines Zeichens gescheiterter und knapp an der Strafverfolgung vorbeigerutschter Finanzspezialist, wird in seiner neuen Funktion als «Financial Investigator» von der Halbschwester des Verblichenen beauftragt, die mysteriösen BTCs (Bitcoins) zu finden. Bei Ed Dante, genauer Edward W. Dante, fängt für mich das Genussproblem an (aber hört noch lange nicht auf). Die literarische Verweis-Schatzsuche beginnt natürlich bei «Montecrypto», dessen Vorlage, Der Graf von Monte Christo Alexandre Dumas zwischen 1844 und 1846 in Etappen veröffentlichte. Dessen Held, Edmond Dantès, wird seiner Liebe beraubt, aber mit einem Riesenvermögen in die Lage versetzt, sich an den Übeltätern zu rächen. Stimmt nicht hundertprozentig, aber setzt den Ton, denn Dantès gelingt die Rache just zu dem Zeitpunkt in der französischen Geschichte, an dem «Enrichissez-vous» das war, was heute die Überwindung des Covid-19-Virus ist: jeder findet es gut, aber die Wege dorthin sind divers, und die Gesellschaft im Ganzen, meinen einige, wird davon profitieren.


«Edward W.» verweist allerdings auch auf Edward W. Said, den illustren Orientalisten und Literaturkritiker, der ähnlich wie Ed Dante als Engländer mit seiner Leidensgeschichte in Eastbourne, dem «südenglischen Geriatrieparadies», als amerikanischer Staatsbürger palästinensischer Herkunft, sich an der Columbia University genauso «out of place» fühlte wie der teetrinkende Angelsachse, der erst bei «Sonic Reducer» von den Dead Boys so richtig auf Touren kommt.


Dante Alighieris Göttliche Komödie, in der Vergil Dante selbst erst durch die Kreise der Hölle und dann am Ende zu Luzifer selbst führt, scheint hier gespiegelt, indem Ed Dante diesmal uns Leser durch die Infernos der weltumspannenden Finanzwelt führt, um dann am Ende ebenfalls (Spoiler alert!) auf den Architekten des Komplotts zu treffen.


Apropos Widersprüche und apropos Infantilismus: Hillenbrand hat das Buch allem Anschein nach auf Deutsch geschrieben, daher kann man den amerikanisierten Schreibstil nicht mal unfähigen Übersetzern zuschieben. Er schreibt: «Doch was Mondego da sagt, verdirbt ihm erst recht die Laune. Natürlich hat sie einen Punkt. ...» Nein, sie hat keinen Punkt, vielleicht einen auf der Nase, aber dieser Anglizismus geht auf Deutsch einfach so nicht, und da habe ich recht, keinen Punkt. SNAFU als militärisches Akronym geht auf deutsch sowieso nicht, auch nicht in der Langform. Und auf eine «Binse» kann man nichts erwidern, man kann nur die Sichel holen – und, endlich, «megaunrealistisch» ist im Wortschatz eines fast 40jährigen eben das, megaunrealistisch.


Alles im allem wirkt Ed Dante auf mich wie eine Mischung aus Dashiell Hammetts Sam Spade und Deadpool, Brown Betty, Yorkshire-Teetasse, Zimt, Toasties und Cocktail-Namedropping auf der einen und Kapitelüberschriften auf der anderen Seite, die mich vor Scham violett werden lassen würden. Aber Bitcoins, Dogecoins und alle anderen sind sexy, sind alternativ und haben das Potential, es dem «Establishment» (um ein Wort aus den 80ern zu benutzen) mal richtig zu zeigen. Dabei ist dies Thema doch gar nicht so neu, wenn auch fast vergessen und eher ein Fleck auf der Weste der Politik. Schon 1932 hat der aus einer Arbeiterfamilie stammende Bürgermeister Michael Unterguggenberger der Gemeinde Wörgl im österreichischen Inntal durch seine «Arbeitswertbestätigungen», einer alternativen Währung, die bei Anhäufung an Wert verlor, fast 0% Arbeitslosigkeit beschert, während im Rest Österreichs diese nach oben schnellte. Aber, «was nicht sein kann, das nicht sein darf», wurde dies «Wunder von Wörgl» schon Ende 1933 vom österreichischen Bundesgericht verboten.


Wenn Sie also ein/e junggebliebene/r Finanzmakler*in sind und endlich mal etwas ausser Vollgeld, Buchgeld und Fiat-Geld hören und lesen wollen, wenn Sie eigentlich Ihren Job nicht mögen, ist dies das Buch für Sie. Wenn Sie Elon Musk und Deadpool mögen aber Earl Grey-Tee hassen, auch. Wenn Sie aber «Arm-in-Arm am Strand in den Sonnenuntergang»-Schlüsse genauso wenig mögen wie ich, dann nicht.


Tom Hillenbrand, Montecrypto, Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2021

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