Die Verschriftung von Mundart
Mit welchen Mundartkünstlern hast du bereits zusammengearbeitet?
Die längste und auch engste Zusammenarbeit besteht mit Dabu Fantastic, ihre Texte «korrigiere» ich seit sechs Jahren. Mit Dabu habe ich über all die Jahre immer wieder über geeignete Schreibstrategien diskutiert, wir haben Entscheidungen getroffen, wieder verworfen und neue gefällt.
Vor einiger Zeit habe ich ein Album sowie eine Single von Baschi «korrigiert», später einen Mundartsong von Marc Sway und jetzt ganz aktuell die schweizerdeutschen Versionen von Beatrice Eglis Lieder auf der neuen Platte «Mini Schwiiz – mini Heimat».
Neben Mundartsongtexten habe ich auch schon dialektale Texte aus anderen Bereichen lektoriert, beispielsweise Kinderbücher, Werbetexte, journalistische oder wissenschaftliche Texte.
Worauf achtest du bei deiner Arbeit vor allem?
Ich achte auf unterschiedliche Aspekte. In jedem Fall soll der Text einheitlich sein. Das bedeutet, dass ein Wort, beispielsweise «nichts», in allen Songs gleich geschrieben ist. Das klingt jetzt sehr einfach, ist aber bereits eine grosse Arbeit. Gerade weil Songtexte häufig über einen sehr langen Zeitraum entstehen, erinnert sich ein*e Songwriter*in häufig nicht mehr, ob er beziehungsweise sie «nichts» im ersten Song «nüt» oder «nüüt» geschrieben hat.
Weiter soll die Verschriftung einer gewissen Systematik folgen. Dies macht sie lesbarer. Mein oberste Credo für eine lesbare Mundartschreibung lautet: «Schreibe so lautnah wie möglich und so standardnah wie möglich». Da diese beiden Empfehlungen sich häufig ausschliessen, ist es meine Aufgabe, zu entscheiden, wann welches Prinzip zum Tragen kommt.
Die Dialektforschung hat festgestellt, dass die Entschlüsselung von Mundarttexten über diese beiden Prinzipien passiert: Standardnähe und Lautnähe. Entweder erkennt unser Auge im Schriftbild das hochdeutsche Pendant oder aber wir lassen das geschriebene Wort innerlich erklingen und erkennen anhand des Klangs das gemeinte Wort. Aus diesem Grund «erträgt» ein Wort, das aufgrund der Lautnähe bereits eine Veränderung im Schriftbild «erlitten» hat, eher noch weitere Veränderungen, da die Entschlüsselung dann über den Laut passiert. Dies zeigt sich beispielsweise in den Wörtern «Kohle» und «Sohle». Da wir im Zürichdeutschen bei «Kohle» das «k», um angemessen lautnah zu sein, zu einem «ch» anpassen müssen, «erträgt» dieses Wort auch eher noch eine zusätzliche Veränderung zugunsten der Lautnähe. Das bedeutet, wir können den Kurzvokal «o» durch Weglassen des Dehnungs-h ebenso lautnah verschriften: «Chole». Bei «Sohle» jedoch empfiehlt es sich, standardnah zu bleiben und das Dehnungs-h trotz der eigentlichen Vokalkürze zu verschriften: «Sohle». Hier geschieht die Entschlüsselung nicht über die Lautstruktur, sondern über die Nähe zum standarddeutschen Pendant. Eine lautnahe Schreibung «Sole» wäre schwieriger zu entziffern.
Inwiefern sich Standardnähe und Lautnähe manchmal auch beissen, wird deutlich, wenn wir das Wort «Haus» betrachten. Möglichst standardnah würde bedeuten, dass wir im Zürichdeutschen auch «Haus» schreiben würden. Das ist natürlich keine Option, da wir ein «au» nicht für ein langes «u» verkaufen können. Also müssen wir zugunsten der Lautnähe eine Veränderung des hochdeutschen Schriftbildes in Kauf nehmen. Wenn wir die Regeln des Hochdeutschen als Massstab nehmen, haben wir zwei Möglichkeiten, dieses lange «u» zu verschriften: «uh» wie in «Kuhstall» oder «u» wie in «Luke». Sprich «Hus» oder «Huhs». In Analogie zu «e» und «a», deren Länge auch durch eine Vokalverdoppelung «ee» in «See» oder «aa» in «Saal» markiert werden, könnten wir für das lange «u» noch eine dritte Möglichkeit in Betracht ziehen: «uu». Diese Schreibweise empfehle ich, da sie einerseits lautnah ist und sich das Schriftbild andererseits durch das blosse Austauschen des «a» durch ein zweites «u» nur minimal vom hochdeutschen unterscheidet, was bei «Huhs» oder «Hus» weniger der Fall wäre.
Nun bedeutet Systematik auch, dass strukturähnliche Wörter immer gleich verschriftet werden. Dieses lange «u», das in vielen schweizerdeutschen Dialekten vorkommt, ist ein Relikt aus dem Mittelalter. Während viele alemannische Dialekte diese mittelhochdeutschen Langvokale behalten haben, wurden sie im Hochdeutschen systematisch diphthongiert, das heisst, aus einem langen wurden zwei kurze Laute: mhd. «huus» -> nhd. «Haus», mdh. «liute» (ausgesprochen als langes «ü») -> nhd. «Leute», mhd. «rîch» -> nhd. «reich». Meine Empfehlung ist also, dass alle zürichdeutschen Langvokale, die auf mittelhochdeutsche Langvokale zurückzuführen sind, mit einem Doppelvokal geschrieben werden: «Huus», «Lüüt», «riich», sofern sie auch tatsächlich lang ausgesprochen werden. In einigen solchen Wörtern hat sich eine kurze Aussprache durchgesetzt, da soll auf den Doppelvokal verzichtet werden: «Fründ», «Zügnis».
Wie wichtig sind deine Inputs für die jeweiligen Künstler/innen?
Ich würde mich selbst belügen, wenn ich sagte «wichtig». Für Künstler*innen steht die Musik sowie die lautliche Realisierung des Textes im Vordergrund. Die schriftliche Form ist zweitrangig und für den Kern der Kunst völlig unwichtig.
Und dennoch ist es in meinen Augen eine Frage von Professionalität, dass man einen Text, der gedruckt und veröffentlicht wird, korrigieren lässt. Dies erkennen die Labels, die mich anfragen. Mein Austausch mit Künstler*innen zeigt mir, dass es unterschiedliche Arten von Songwriter*innen gibt: Die einen interessieren sich auch für die Erscheinungsform des Textes, sodass sie sich selbst viele Gedanken zu den Schreibweisen machen und ihre Texte auch für die Überprüfung der Schreibweisen von einer anderen Person gegenlesen lassen. Sie entwickeln – häufig mehr intuitiv als linguistisch begründet – ihre eigenen Verschriftungs-Strategien, die bereits sehr gut «verhebet». Das dahinterstehende Label sieht in diesem Fall auch keinen Handlungsbedarf.
Dann gibt es jene Künstler*innen, die sich nicht vertieft mit der Erscheinungsform der Songtexte befassen und bei denen uneinheitliche oder sogar fehlerhafte Schreibweisen zu finden sind. In diesem Fall erhalte ich eine Anfrage des Labels, das erkennt, dass man diese Texte besser noch überprüfen lässt, bevor man sie druckt und veröffentlicht.
Welcher Mundartsong ist in deinen Augen ein besonders gelungener und warum?
Am meisten berührt hat mich in letzter Zeit «Für immer uf di» von Patent Ochsner. Ich erinnere mich noch genau, ich war der Küche meiner damaligen WG, als ich den Song zum ersten Mal im Radio gehört habe. Er traf mich mitten im Herz, ich hatte sofort Tränen in den Augen. Inhaltlich stark finde ich Stahlbergers Lieder. Ganz in Mani-Matter-Manier entlarvt er die menschlichen Verhaltens- und Denkweisen, wie beispielsweise in «Härzige Bueb» oder «Rägebogesiedlig». Besonders gut kenne ich natürlich die Songs von Dabu Fantastic. Von ihren Songs gefallen mir vor allem die gesellschatskritischen wie «Schlaf Us», «Beruig Di Mal» oder «Wemmer Gaht». Sprachlich gelungen finde ich ausserdem den wortspielreichen Song «Frisch Usem Ei», ebenso von Dabu Fantastic.
Wie empfindest du es, wenn Künstler viele englische Wörter adaptieren und in ihren Texten verwursteln?
Englische Wörter in Mundartsongs stören mich ehrlichgesagt fast weniger als deutsche Ausdrücke. Ich empfinde englische Ausdrücke als ein bewusst gewähltes Stilmittel, wie beispielsweise bei «Swiss Drill» von Dawill. Aktuell korrigiere ich gerade Songtexte eines Maturanden, der als Maturarbeit Rapsongs geschrieben und aufgenommen hat. Auch er benutzt extrem viele englische Wörter. Gerade im Rap gehören diese – soweit ich das beurteilen kann – gewissermassen dazu.
Aber bei deutschen Ausdrücken in Mundartsongs stellt es mir manchmal schon die Haare zu Berge. Und dies, obwohl ich als Linguistin natürlich weiss, dass Sprache schon immer wandelbar war und auch immer sein wird, und dass auch ich bereits sehr viele Germanismen verwende, bei denen meine Grossmutter womöglich erschaudert. Trotzdem würde ich lieber hören «Im Tüüfel sinere Chuchi» als «In Tüüfels Chuchi» oder «wil» statt «dänn», «zäme» statt «gmeinsam», «ufmache» statt «öffne» etc.
Ich muss es eben trotzdem fragen, welcher Dialekt ist der schönste?
Du implizierst in deiner Frage bereits, dass dies eine heikle Frage ist. Daher möchte ich sie auch nicht beantworten. Ich kann nicht leugnen, dass auch ich gewisse Dialekte als schöner empfinde als andere. Und dennoch beobachte ich mit Sorge, wie stark wir aufgrund unserer Mundart in anderen Dialektgebieten stigmatisiert werden und wie oft wir uns nur aufgrund des Dialektes bereits ein positives oder ein negatives Bild von einem Menschen machen. Wie stark wir gewisse Eigenschaften mit einem Dialekt verbinden, wurde mir vor einigen Jahren bewusst, als ich an Weihnachten die schweizerdeutsche Version von «Drei Nüsse für Aschenbrödel» schaute. Dreimal darfst du raten, welche Dialekte der bösen Stiefmutter und der Stiefschwestern, dem sympatischen Aschenbrödel und dem edlen Prinz zugeteilt wurden.
Welche Tipps gibst du Mundartkünstler/innen im Allgemeinen?
In Bezug auf die Musik masse ich mir natürlich nicht an, den Expert*innen Empfehlungen abzugeben. Was jedoch mein Fachgebiet angeht, so rate ich natürlich allen, die ihre Songtexte veröffentlichen wollen, und die sich selbst nicht mit den Schreibweisen auseinandersetzen wollen, sie mir zur Prüfung zu geben. So oder so ist es unabdingbar, dass die Songtexte vor Veröffentlichung von mindestens einer anderen Person geprüft werden – auch wenn es nur darum geht, Flüchtigkeitsfehler und uneinheitliche Schreibfehler auszumerzen.
Mehr Informationen zu Daniela Zimmermann und ihrer Tätigkeit als Mundartlektorin findet ihr hier.