Der Genderstern und ich
Um zum Kern der Sache zu kommen, muss ich etwas ausholen: Ich bin 60. Jahrzehntelang war ich als Frau einfach «mitgemeint». Es konnte passieren, dass ein Brief des Steueramtes nur an meinen Mann adressiert war, obwohl wir beide arbeiteten. Ich war ja mitgemeint. Oder dass jemand anrief und meinen Mann sprechen wollte zu etwas, das uns beide betraf. Da war ich dann vielleicht auch irgendwie mitgemeint, aber halt doch nicht ganz. Und wenn Handwerker Termine mit uns abmachen wollten, sollte das jederzeit möglich sein, denn die mitgemeinte Frau, also ich, war ja sowieso zu Hause, zumindest wurde das so erwartet. Es versteht sich von selbst, dass in der schriftlichen Kommunikation in den meisten Fällen die männliche Form verwendet wurde, die Frauen waren selbstverständlich mitgemeint, zumindest theoretisch.
Es ist noch nicht viele Jahre her, da fand an der WIGA (Werdenberger Industrie- und Gewerbeausstellung) eine Podiumsdiskussion über die Zukunft unserer Jugendlichen statt. Alle Teilnehmer der Diskussionsrunde waren männlich. Ich habe heftig und erfolglos interveniert; man verstand nicht, was ich wollte, die jungen Frauen seien doch mitgemeint. Welche Signale man damit wohl diesen «mitgemeinten» jungen Frauen übermittelte, welche Zukunftsvision?
Ich wollte nie nur mitgemeint sein. Heute bin ich Jugendbuchautorin. Als solche treffe ich männliche Jugendliche, weibliche Jugendliche und Jugendliche auf der Suche nach ihrer Identität, also Jugendliche, deren zugeordnetes Geschlecht nicht mit ihrer gefühlten Identität übereinstimmt. Ich begegne Jugendlichen mit unterschiedlichsten sexuellen Ausrichtungen, mit Wünschen, Träumen, Zielen und Visionen. Sie gehören zur neuen Generation, einer Generation, bei der man nicht mitgemeint sein will, sondern als das ernst- und wahrgenommen werden möchte, was man ist. Man will mitreden, vertreten sein, angesprochen werden. Der Genderstern oder der Genderdoppelpunkt ist eine Möglichkeit, das zu tun. Seine Bedeutung: Alle sind angesprochen, niemand ist einfach mitgemeint.
Ja, manchmal wird es grausam kompliziert und umständlich, das mit dem Gendern und all den Buchstaben, die dem LGBTQ+ hinzugefügt worden sind. Und nein, ich verstehe auch nicht alles und ich verliere öfters den Überblick darüber, welch neuen (Aus)Richtungen es gerade gibt und welche Pronomen ich verwenden soll. Selbst mir geht manchmal die Geduld in Diskussionen aus, aber das ist Teil des Wandlungsprozesses, der im Gange ist. Ich will neugierig sein und dazulernen. Von den Jugendlichen.
Wo es für mich schwierig wird: Als Autorin liebe ich die Sprache. Nun ist die deutsche Sprache für sich schon schwerfällig und kompliziert genug, auch ohne Genderstern und Gendern in Texten. Deshalb halte ich aus meinen Büchern den Genderstern raus, versuche jedoch, so geschlechtsneutral wie möglich zu schreiben. So, wie in Jugendbüchern das ganze Spektrum sexueller Identitäten vorkommen kann und darf und soll und muss.
Nur gelegentlich, wenn ich das Gefühl habe, weder von der einen Seite (feministische Emanze!) noch der anderen Seite (ignorante Boomerin!) ernst genommen zu werden, überlege ich mir sehr egoistisch, auf die weibliche Form auszuweichen. So nach dem Motto «Alle anderen sind mitgemeint». Und wer weiss, vielleicht finden wir ja in näherer Zukunft eine weniger umständliche Lösung als den Genderstern oder den Genderdoppelpunkt. In diesem Sinne, liebe Leserinnen: Es bleibt spannend.