«Der Archivar der nutzlosen Dinge» ̶ Das Diorama als Spiegel Teil IV/IV
So zeigt sich auch Ekki
Helbig in seinen beiden 2023 entstandenen Dioramen «Der Archivar der nutzlosen
Dinge» und «Die Melancholie des Künstlers» als eben solcher. Beide Dioramen
werden von einer männlichen Hauptfigur, die im Zentrum der Betrachtung steht,
dominiert. Während die «verstaubte» Welt des «Archivars» (bis auf seine
schwarze Maske) in Silbergrau gehalten ist, schillert die «Melancholie» des
«Künstlers» in nachdenklichen Grün-, Schwarz- und Goldtönen an Holz. Das
Hintergrundgemälde ist im T-Shirt, des Künstlers, der in seiner Pose (bis auf
die geöffneten Beine) dem Denker von Auguste Rodin gleicht, über die Brust
fortgeführt. Beinahe, als hätte er sich in das eigene Bild selbst
miteinbezogen. Oder ist es gar nicht von ihm? Hat er selbst vor der Leinwand
gestanden und sich bemalen lassen. Wenn ja, so hätte er aus dem nach oben hin
geschlossen Diorama mit dem Kopf aus diesem herausragen müssen. Nun sitzt er jedenfalls.
Wir stellen uns die Fragen: Wer hat hier wirklich gemalt? Ist er vielleicht gar
kein Künstler? Drei Farben nur, das suggerieren zu mindestens die fein
arrangierten Farbeimer, die die anderen beiden Drittel des Dioramas eingenommen
haben, hat der Künstler gebraucht. Die Pinsel stecken noch. Wir wissen nicht,
ob der zufrieden ist. Das Holz ist sauber, die schwarzen Haare sind wild,
stehen ab wie die Borsten eines eingetrockneten Pinsels. Von weitem wirkt der
Kopf des Künstlers wie eine schwarze Blüte, der Höhepunkt auf einer grün-goldenen
Hintergrundwelle des Dioramas. Der goldene Schnitt ist exakt geführt, dort
thront der Kopf des Künstlers, wenn er es denn ist, der hier gemalt hat …
Der «Archivar» hingegen fragt nicht nach (s)einem Künstlersein. Er sammelt und ordnet und sitzt hinter seinem überdimensionalen Schreibtisch. Die «nutzlosen Dinge» aber müssen hinterfragt werden nach Wert und Wertigkeit, schließlich werden sie von einem bedrohlichen Löwen, der das Maul bereits geöffnet hat, vielleicht zum Brüllen ansetzt, bewacht. Hinter dem Tier ist eine Schreibmaschine eingelassen. Neben dem Archivar ist der Löwe das vermeintlich einzig lebendige im Raum, ein Wächter der «nutzlosen Dinge». Der Archivar selbst kann sich mit seinem Kaffeebecher zurücklehnen, geordnet hat er schon und die Maske schützt seine Identität, schließlich sammelt er nur. Zum Künstler macht ihn das noch lange nicht. Auch der Archivar scheint zu Grübeln, sein Zeigefinger ist in der Bewegung übet einem Buch erstarrt, als hätte er gerade noch getrommelt. Er sitzt zentriert zwischen zwei symmetrisch an ihm ausgerichteten Regalen. Diese Archivarbeit, das ganze Diorama glänzt silbern, als sei es ein Schatzkästchen. Wir kommen nicht umhin, uns zu fragen, was die nutzlosen Dinge sind, die hier gesammelt werden. Es ist ein Sammeln im doppelten Sinne, denn auch der Schöpfer dieses Dioramas, Ekki Helbig, hat zuvor Dinge sammeln müssen, um die Inszenierung im Schaukasten einzurichten und er hat malen müssen, um die Gegenstände einander anzugleichen, um ihnen eine neue Sinnhaftigkeit zu verleihen. Wo verschmelzen bloßer Maler und Sammler? Im Diorama als Künstler und Archivar. Doch die «Hauptfiguren» grübeln noch, hinterfragen das Diorama als einen Raum, einen Ort der Kunst selbst. Ekki Helbig überlässt die Entscheidung über nutzlose Dinge und die Melancholie darin den Betrachtern selbst. Seine Dioramen spiegeln die eigenen Wahrnehmung, den poetischen und zugleich poetisierenden Blick auf Welt(en) des Künstlers, des Archivars lediglich wieder. Ganz, als sei die eigene Position noch unentschieden. Wacht der Löwe über eine Schreibmaschine, oder über die großen Zusammenhänge, über das Schreiben selbst? Das Diorama offenbart uns zwei verschiedene Arten des Schützens: Zum einen den Löwen, auf der anderen Seite einen Regenschirm. Lebendiges, Mechanisches. Das Diorama suggeriert: Diese Dinge sind alles, aber nicht nutzlos. Dieser Archivar puzzelt gern. Verweise gibt es im Schaukasten genügend. Was ist das Puzzeln, wenn nicht das Teil für Teil Zusammensetzen von Welt?
Julia Kulewatz ist studierte Literaturwissenschaftlerin, unabhängige Verlegerin und Autorin im Herzen Deutschlands. Sie unterrichtet kreatives Schreiben und löst Schreibblockaden an Universitäten und anderen Einrichtungen.