Wenn besorgte Eltern zu Nazis gemacht werden
Am 16. Dezember 2021 hat die liechtensteinische Regierung beschlossen, die Maskenpflicht ab 6 Jahren einzuführen. Liechtenstein ging damit deutlich weiter als die Schweiz, wo eine solche Pflicht nicht landesweit eingeführt wurde. Damit wurde für viele Eltern eine rote Linie überschritten, die sie nicht tolerieren wollten. Die Kinder hatten nie eine massgebliche Rolle im Pandemiegeschehe und sie sollen nicht für die Fehler der Erwachsenen bezahlen müssen. Ganz egal, welche Fehler welcher Erwachsenen.
Die Empörung war gross, auch bei Menschen, die sich bisher für die Massnahmen der Covid-Politik ausgesprochen haben. Selbst ein Kinderarzt aus Liechtenstein, dem die Massnahmen tendenziell eher zu lasch und langsam umgesetzt werden, sprach sich öffentlich gegen eine Maskenpflicht ab 6 Jahren aus. Auch ein Blick auf die Statistik zeigt, dass Kinder nach wie vor kaum gesundheitlich von COVID betroffen sind. Während der gesamten Pandemie sind in der Schweiz und Liechtenstein 2 Kinder von 0 bis 9 Jahren mit einer COVID-Infektion verstorben. Ob sie wegen einer Covid-Infektion verstorben sind, kann die Statistik nicht aussagen. Auch Hospitalisationen gibt es bei Kindern sehr selten. Und auch bei diesen kann die Statistik nichts darüber aussagen, ob die Kinder wegen oder mit einer COVID-Infektion hospitalisiert wurden.
Gesundheitsminister Frick sprach zwar von Studien zu Masken bei Kindern, legte aber nichts dergleichen vor. Die vielen Artikel und Studien, die von negativen Auswirkungen derselben sprechen, scheinen nicht relevant. Die psychischen Folgen für Kinder und die Überlastung psychiatrischer Kinder- und Jugendstationen wird aussen vor gelassen. Generell werden jegliche Gegenargumente vom Gesundheitsminister gerne mit einem einfachen «Nein, so ist das nicht» weggewischt. Es werden Massnahmen in Kraft gesetzt, deren Wirkung nur einseitig und auch in diese Richtung nur unzureichend untersucht werden. Dabei haben auch Massnahmen unerwünschte Nebenwirkungen. Und diese sind ein wichtiges Mass, um die Zweck- und Verhältnismässigkeit derselben zu beurteilen.
Stattdessen werden in den Schulen Liechtensteins seit vielen Monaten freiwillige, wöchentliche Covid-Tests angeboten, um deren Durchführung dringlichst gebeten wird. Am 6. Juni 2021 berichtete der Gesundheitsminister Manuel Frick, dass dabei bis zu diesem Zeitpunkt 14’000 Tests durchgeführt wurden und dabei 1 positiver Fall entdeckt werden konnte. Eine Fortführung des Test-Programms sei äusserst wichtig. Wie viel Geld diese Tests gekostet haben, um einen einzigen positiven Fall zu finden, wurde bisher nicht kommuniziert. Dabei hätte bereits die Falsch-Positiv-Rate des PCR-Tests eine höhere Zahl positiver Tests ergeben müssen.
Tausende Tests an symptomlosen Schülern und Schulpersonal haben im Herbst jedoch zunehmend zu einem anderen Problem geführt: Immer mehr Schüler*innen und Lehrpersonal musste wegen positiver Tests in Isolation und Quarantäne. Normaler Unterricht wurde somit in vielen Klassen unmöglich.
Da Liechtenstein Covid-technisch einer Datenwüste gleicht sind keine Informationen zum Gesundheitszustand dieser Kinder oder zur demografischen Verteilung von Hospitalisationen oder Krankheitsverläufen verfügbar. Allerdings werden die Liechtensteinischen Fälle in der Statistik des BAG mit der Schweiz mitgezählt. Seit 15.2.2021 gab es laut dieser keine Kalenderwoche, in der in der gesamten Schweiz und Liechtenstein gemeinsam mehr als 17 Kinder mit oder wegen einer Covid-Infektion hospitalisiert waren. Kinder sind folglich gesundheitlich weiterhin kaum, bis gar nicht von einer Covid-Infektion betroffen, auch wenn sie positiv getestet wurden.
Übrig bleibt einzig das Mysterium der asymptomatischen Übertragung - die Möglichkeit, dass symptomlose Kinder ältere Menschen anstecken und in Gefahr bringen könnten. Ob dies wirklich möglich ist, ist nach wie vor ungeklärt. Viele Wissenschaftler*innen und Mediziner*innen sind sich einig, dass die Virenlast bei asymptomatischer Übertragung nicht für einen Ausbruch der Krankheit ausreicht. Wer das jedoch zu laut äussert, dem drohen Sanktionen und Diffamierung. Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit verschiedenen Positionen scheint unmöglich. Denn ohne asymptomatische Übertragung, wäre beinahe der ganze Covid-Massnahmen-Katalog hinfällig. Und was dann?
Dass ungeachtet all dieser Unstimmigkeiten nun schon 6-Jährige Masken tragen müssen, wollten und wollen viele Eltern nicht akzeptieren und für Ihre Kinder einstehen. Neben Unterschriftensammlungen an Schulen, sollte auch ein visuelles Zeichen gesetzt werden. In diversen Gruppen wurden Ideen gesammelt. Man wollte die betroffenen Kinder und deren Anliegen sichtbar machen, ohne diese zu instrumentalisieren. Es kam die Idee auf, nur die (alten) Schuhe der Kinder hinzustellen und jeweils ein Blatt mit einem Argument gegen die Maskenpflicht ab 6 Jahren oder einer Aussage eines Kindes dazuzulegen. Eine Kerze sollte für Sichtbarkeit in der winterlichen Dunkelheit sorgen. Die Schuhe sollten die Kinder symbolisieren, die unter diesen Massnahmen leiden und gleichzeitig einem guten Zweck dienen. Denn von Anfang an war klar, dass die platzierten Schuhe anschliessend einer Hilfsorganisation gespendet werden würden. Die Zustimmung war gross. Mehrere Hundert Eltern wollten die Idee teilen und an der stillen Protestaktion teilnehmen.
Natürlich befinden sich in diversen Kommunikationsgruppen immer auch Journalisten, die dort heimlich recherchieren. So dauerte es nicht lange, bis die erste Medienmeldung zu der Aktion veröffentlicht wurde. In dieser wurde die geplante Protestaktion mit einem Holocaust-Mahnmal in Ungarn verglichen, wo ebenfalls Kinderschuhe genutzt werden, um auf Opfer aufmerksam zu machen. Ein Zug, auf den sowohl die Regierung, als auch die anderen Medien des Landes sofort aufsprangen. Anstatt auf die Sorgen der Eltern einzugehen und darüber zu berichten, wurde heftigst kritisiert, dass rechtsradikale Symbolik verwendet wird, weil die Verwendung von Kinderschuhen in einem stillen Protest an das Mahnmal in Ungarn erinnern solle und somit der Holocaust verharmlost oder verleugnet werde. Wer etwas recherchiert, findet jedoch weltweit diverse Protestaktionen, die Kinderschuhe als Symbolik verwenden. So zum Beispiel ein Klima-Protest in London, bei dem mehrere Tausend Kinderschuhe auf dem Trafalgar Square platziert wurden. Aber das würde ja der Sache nicht dienen. Indem die Protestaktion mit dem Holocaust-Mahnmal in Ungarn verglichen wurde, wurde von Medien und Regierung klargestellt: wer sich an so einer Aktion beteiligt, unterstützt rechtsradikale, antisemitische und staatsfeindliche Gruppierungen. Und das nicht zwischen den Zeilen, sondern sehr direkt. Wer an solchen Aktionen teilnehme, sei zudem ein schlechtes Vorbild für seine Kinder und würde diese instrumentalisieren.
Dass Schuhe platziert werden sollten, um eben keine Kinder zu instrumentalisieren und dass die Kinderschuhe nach der Aktion einer Hilfsorganisation als Spenden zukommen würden, war für die Medien nicht relevant. Beides wurde nie erwähnt, obwohl es ausdrücklich auf dem Flyer stand, der den Medien vorlag.
Die Medienmitteilungen hatten den gewünschten Effekt. Die Eltern, die an der Aktion teilnehmen wollten, begannen sich zu spalten. Ein Grossteil sprang direkt ab und wollte sich von der Protestaktion distanzieren. Die verbleibenden Eltern waren sich uneinig darüber, ob nun andere Kinderartikel platziert werden, oder ob man sich nicht verrückt machen lassen sollte. Man einigte sich darauf, dass Kinderartikel aller Art platziert werde - so lange sie auch als sinnvolle Spenden dienen. Es gab aber weiterhin Eltern, die nichts mit der Aktion zu tun haben wollten, solange die Möglichkeit bestehe, dass auch ein paar Schuhe dabei sein könnten.
Der Tag der Protestaktion kam. Und wider Erwarten füllte sich der Platz vor dem Regierungsgebäude mit mehreren Hundert Kinderartikeln, Kerzen und Blättern. Es war ein Bild, das mir den Atem stocken liess. Vor allem weil ich wusste, dass durch die Diffamierungs-Offensive der Medien und Regierung nur noch ein Bruchteil der Eltern an der Protestaktion teilgenommen hatte. Ich schätze, dass mehr als die Hälfte der ursprünglichen Teilnehmer abgesprungen ist.
Doch da war er, der grosse, leere Platz vor der Regierung. Hell erleuchtet von mehreren Hundert Kerzen. Gefüllt mit Kinderartikeln und Worten, die das Herz berühren. Teelichter, die Herzen formten, Kinderzeichnungen, Bitten und Appelle an die Regierung - vieles war zu finden, aber ganz sicher keine Springerstiefel und Hakenkreuze.
Es war eine wunderschöne Aktion, die still und leise ihren Protest kund tat.
Es war eine gemeinsame Aktion von Eltern, die ihre Kinder schützen wollen.
Es war eine Mischung aus Hoffnung und Hoffnungslosigkeit, die den Platz erfüllten.
Ich gehörte zu den Freiwilligen, die abends den Platz wieder aufräumten. Gemeinsam haben wir alle Kerzen eingesammelt, alle Spenden sortiert und die Appelle und Bitten an die Regierung vor deren Tür gelegt. Ich kann euch somit auch sagen, welchen Effekt die Medienmitteilungen auf die Spenden hatten. Diese bestanden nun nämlich hauptsächlich aus Stofftieren und Spielsachen. Natürlich, auch darüber freuen sich Kinder in Krisengebieten und selbstverständlich werden auch diese gespendet. Aber in erster Linie müssen diese Kinder den kalten Winter überstehen. Und dabei helfen warme Schuhe und Kleidung nunmal besser, als Stofftiere, Bücher und Spielzeugautos.
Die Medienmitteilungen zur Aktion fielen anschliessend sehr unterschiedlich aus. Das liechtensteinische Radio berichtete von 40 Personen, die an der Protestaktion teilnahmen. Der Platz wurde kurz nach Start der sechs Stunden dauernden Aktion besucht und für fast leer befunden. Die beiden Landeszeitungen verfolgten hingegen unterschiedliche Strategien. Während eine Zeitung weiterhin den Fokus darauf zu legen versuchte, dass trotz harscher Kritik auch ein paar Schuhe auf dem Platz gesichtet worden sind, berichtete die andere Zeitung relativ neutral über die Aktion selbst. Allerdings wurde im Voraus ein zweiter Artikel verfasst und ergänzend zum Bericht publiziert. Er berichtet darüber, dass staatsfeindliche Gruppierungen angeblich versuchen würden, besorgte Eltern für sich zu gewinnen. Begleitet von einem Symbolbild, das ein schwer bewaffnetes Polizei-Grossaufgebot zeigte.
Ja, es gibt Menschen in Liechtenstein, die rechtsradikales Gedankengut vertreten. Das ist kein Geheimnis und keine Neuheit und ein Problem, welches Liechtenstein seit vielen Jahren mit seinen Nachbarsstaaten teilt. Allerdings teilen diese Menschen gewiss nicht alle dieselbe Haltung zu den aktuellen Covid-Massnahmen. Extremisten gibt es auf allen Seiten. Sie haben jedoch mit der Befürwortung oder Ablehnung der Massnahmen an sich nichts zu tun. Denn wenn durch ein paar Menschen, die sich an Anti-Massnahmen-Demo’s mit Judensternen schmücken alle Massnahmen-Gegner zu Holocaust-Leugnern werden, dann müssten auch durch die paar Massnahmen-Befürworter, welche die Vergasung ungeimpfter Menschen fordern, alle Massnahmen Befürworter zu Nazis werden. Beides ist wenig sinnvoll. Und anstatt sich gegenseitig rechtsradikales Gedankengut vorzuwerfen, wäre es viel zielführender, sich mit den Fehlern aus dieser dunklen Zeit intensiv auseinander zu setzen und wachsam und achtsam dafür zu sorgen, dass sie sich ganz gewiss nicht wiederholen. Weder in dieser, noch in anderen Krisen.
Nun, wer aber unbedingt einen Weg finden möchte, besorgte Eltern zu diffamieren, wird ihn finden. Eine gehörige Portion Boshaftigkeit ist dazu aber schon nötig. Besonders nützlich hat sich in diesem Zusammenhang eben der Vorwurf des Antisemitismus erwiesen. Es ist quasi die eierlegende Wollmilchsau, um jede*n durch den Dreck zu ziehen. Ich bin mir sicher, man würde für jeden Kinderartikel irgendwo auf der Welt ein Holocaust-Denkmal finden. Zur Not findet man eben eines mit Kerzen, die gibt es überall. Wer die unterste Schublade bedienen möchte, tut dies auch. Und das immer öfter.