Geschichten aus der Isolation
Bild/Illu/Video: Alexandra Lea Meier

Geschichten aus der Isolation

Seit mehreren Wochen sind ich, mein Mann und unsere Tochter etwas erkältet und husten mal mehr und mal weniger. In der letzten Woche hatten wir dann auch abwechslungsweise Fieber und haben darum Covid-Selbsttests zu Hause gemacht. Wir hatten die Hoffnung, dass sich das Krank-Sein wenigstens lohne und wir anschliessend dafür die begehrten «du kommst für ein Jahr aus dem Gefängnis frei»-Karten bekommen. Nicht weil wir gerne an 3G- Events teilnehmen wollen, sondern weil unsere Tochter so gerne wieder einmal baden gehen würde. Die Tests waren aber alle negativ.


Die Fieber verschwanden wieder und zurück blieb nur die gewohnte, leichte Erkältung. Doch als mein Mann begann, sich wiederholt zu übergeben, haben wir der Vollständigkeit halber erneut getestet und zu unserem Erstaunen waren sein und mein Test positiv. Wir haben uns für den PCR-Test angemeldet und uns bis dahin verantwortungsbewusst selbst isoliert. Dass wir bis zum Testergebnis in Quarantäne müssen, wurde uns jedoch offiziell weder bei der Anmeldung noch beim Test selbst gesagt.


Mein Mann übergab sich weiterhin regelmässig und konnte keine Nahrung und nur wenig Flüssigkeit bei sich behalten. Hinzu kam ein Stechen auf der Brust und Schmerzen am ganzen Körper. Die Hausärztin wurde über die Symptome informiert. Sie sagte zwar «man solle sich jederzeit melden, wenn etwas sei» aber auch «wenn das so weitergehe, müsse er halt untersucht werden, aber sie mache das nicht. Dann müsse er ins Krankenhaus.» Behandlung der Symptome? Fehlanzeige. Einzig ein Medikament zur Vorbeugung einer Lungenentzündung bekam er auf unseren Wunsch verschrieben, weil es uns von einem befreundeten Arzt empfohlen wurde.


Am nächsten Tag waren die Ergebnisse da und einige Stunden später rief das Contact Tracing an. Ich gab ihnen Auskunft über unsere Kontakte und Symptome und informierte auch über die Infektion meiner Tochter und meines Mannes, da diese bisher noch nicht gemeldet wurde. Mein Mann übergab sich zu dem Zeitpunkt noch immer und konnte noch immer kaum Flüssigkeit und keine Nahrung behalten. Inzwischen war das seit bald zwei Tagen so. Ich fragte die Contact Tracerin, ob es tatsächlich der Wahrheit entspreche, dass alle Hausärzte Covid-Patienten ablehnen und man keinerlei Symptombehandlung bekomme. Ihre Antwort und die darauf folgende Konversation hier möglichst wortgetreu aus meinem Gedächtnis:

Contact Tracerin: «Ja, sie können nicht zum Arzt. Dafür sind wir ja da.»

Ich: «Dafür sind Sie da? Was bringt uns das denn?»

Contact Tracerin: «Ja, ich rufe Sie nun mindestens alle 48h an und fragen Sie, ob sich ihre Symptome verändert haben.»

Ich: «Und was bringt das?»

Contact Tracerin: «Ja, dann können wir das in der Statistik notieren»

Ich: «Und was bringt uns das bezüglich seinem Zustand?»

Contact Tracerin: «Ja, dann sage ich ihnen, wenn es so schlimm geworden ist, dass sie nun ins Spital müssen.»

Ich: «Aber sein Hauptproblem ist, dass er sich konstant erbricht, keine Nährstoffe und kaum Flüssigkeit behalten kann und dehydriert. Er braucht keine Beatmung, er braucht eine Behandlung der Übelkeit. Und die kommt vermutlich durch einen Magen-Darm-Infekt und gar nicht durch Covid.»

Contact Tracerin: «Nein, nein. Das ist ein ganz typischer Covid-Verlauf. Aber in Liechtenstein haben praktisch alle Hausarzt-Praxen die 3G-Regel eingeführt. Dort kann man ihn natürlich nicht hinschicken.»

Ich: «Kein Wunder sind die Krankenhäuser zusätzlich belastet!»

Contact Tracerin: «Nein, nein. Wir schicken natürlich niemanden mit Halsschmerzen hin. Sondern erst wenn die Symptome schlimm geworden sind.»

Ich: «Na toll, und bis dahin sehen sie einfach zu und warten ab, bis es soweit kommt.»

Mir wurde zudem noch erklärt, dass die Isolationszeit von mir und meiner Tochter eigentlich schon seit drei Wochen beendet wäre. Bei Symptomen zum Zeitpunkt der Testung werde der Beginn der Isolation auf den Beginn der Symptome gesetzt. Da unsere Erkältungssymptome bereits vor vier Wochen begonnen hätten, hätte auch die Isolation dort starten müssen. Aber da wir ja in dieser Zeit negativ getestet hätten, werde sie unsere Isolation dem Symptombeginn meines Mannes anpassen. Ich habe dann eingewendet, dass Selbsttests aber keinerlei Gültigkeit hätten und somit auch nicht für die Berechnung der Isolationszeit herangezogen werden dürfen. Daraufhin kam die Contact Tracerin ins Stottern. Das stimme natürlich schon, aber es würde ja keinen Sinn machen, wenn wir innerhalb der Familie unterschiedliche Isolationszeiten hätten, also werde sie die Isolationszeit dennoch bei allen angleichen. Ich war ehrlich zu genervt, um dagegen anzukämpfen.

Die Diskussion war somit beendet und ich stinksauer. Mir wurde plötzlich klar, wieso Krankenhäuser und medizinische Notfalldienste aktuell besonders gefordert werden. Kein Wunder, wenn Covid-Positive Menschen keinerlei Behandlung von Hausärzten bekommen. Die einzige Chance auf Behandlung ist das Krankenhaus. Und dabei spreche ich nicht von Beatmungen. Hinzu kommt die 3G-Regelung in - laut Aussage des Contact Tracings – «praktisch allen Hausarzt-Praxen in Liechtenstein» (vermutlich auch in vielen in der Schweiz). Ungeimpft wird dort also generell nur behandelt, wenn man zuvor Geld und Zeit für einen Test investiert hat. Ich bin vor einigen Tagen auf eines dieser 3G Schilder vor einer Praxis gestossen. Dort wurde sogar ausdrücklich ein negativer PCR-Test verlangt. Dass dieser ohne Symptome so manches Budget bei Weitem übersteigt, ist uns allen bewusst. Dass so diverse Verletzungen und Krankheiten, die ansonsten von Hausärzten behandelt werden, unbehandelt bleiben oder nur im Krankenhaus versorgt werden, erschliesst sich daraus ebenfalls.

Das Nachfragen der Contact Tracerin hat die Symptome meines Mannes natürlich nicht verbessert. Er hat sich weiterhin übergeben. Auch in der kommenden Nacht. Um 4 Uhr kam er an eine Grenze. Er ist generell schlank gebaut, aber in der Zwischenzeit war er nur noch Haut und Knochen. Das Stechen in der Brust wurde konstant mehr und im Erbrochenen befanden sich nun schwarze Stücke. Wir riefen die Notfallhotline der Krankenkasse an. Die Ärztin am Telefon riet uns, wegen dem Stechen in der Brust direkt in den Notfall zu fahren. Dort habe ich dann erst angerufen, weil die Fahrt in den Notfall mitten in der Nacht mit schlafendem Kind sich nicht so einfach gestaltet. Uns wurde vom diensthabenden Arzt dort gesagt, dass diese Symptome der Hausarzt behandeln solle. Ja, der Meinung sind wir auch. Tut er aber nicht. Der Arzt am Telefon konnte das gar nicht fassen. Wir sollen bitte versuchen, bis um 8 Uhr auszuharren und dann den hausärztlichen Notfalldienst anrufen. Dort bestehe vermutlich die Chance, dass er auch mit Covid behandelt werde. Falls nicht, sollen wir dann doch auf den Notfall kommen und falls Atemnot auftrete, vorher schon.

Ich konnte an dem Punkt gar nicht mehr fassen, wie dieses System funktionierte - beziehungsweise eben nicht funktionierte. Nach weiteren zwei Stunden Übergeben, hatte mein Mann um kurz nach 6 Uhr zum Stechen auf der Brust zusätzlich Atemnot entwickelt. Ich rief die 144, die sofort einen Krankenwagen schickte. Er wurde mitgenommen.


Auch die Rettungssanitäter waren entsetzt darüber, dass er nicht von Hausärzten behandelt werde. Im Krankenwagen bekam er kurz Sauerstoff, weil seine Sauerstoffsättigung fiel. Zudem wurde ihm eine Infusion gelegt, um ihm Flüssigkeit zuzuführen. Später stellte sich heraus, dass die Atemnot daher kam, dass das Zwerchfell durch die Dehydrierung verkrampfte. Nicht durch eine in Mitleidenschaft gezogene Lunge, sondern durch das Erbrechen hervorgerufen. Im Krankenhaus wurde er in der Notaufnahme untersucht und bekam Schmerzmittel, Magenschoner und Medikamente gegen die Übelkeit. Natürlich nicht, ohne ihn anzufahren, dass er sich das alles selbst zuzuschreiben habe, weil er nicht geimpft sei. Zudem gebe es im ganzen Spital nur ungeimpfte Covid-Patienten. Mein Mann hat daraufhin sein Handy gezückt, die Statistik vom BAG geöffnet, sie der Ärztin hingehalten und gesagt, das seien die offiziellen Zahlen - was sie sage, könne kaum der Wahrheit entsprechen. Daraufhin ist sie wortlos wieder gegangen.

Innert kurzer Zeit verbesserte sich sein Zustand durch die Behandlung massiv. Wäre all dies zu einem früheren Zeitpunkt geschehen, hätte er mit hoher Wahrscheinlichkeit nie ins Krankenhaus müssen. Nach weniger als fünf Stunden wurde er entlassen. Im Pyjama und einer dünnen Softshell-Jacke bei 5 Grad Celsius. Drinnen auf mich zu warten sei nicht möglich.

Seither musste er sich nicht mehr übergeben und konnte wieder essen und trinken. Sein Zustand verbesserte sich drastisch und nur Kopfschmerzen und ein lästiger, aber nicht schmerzhafter Husten blieben übrig. Alles Symptome, die gewiss nicht angenehm, aber aushaltbar sind.

Die anderen Geschichten zu weiteren Fauxpas des Contact Tracings würden an dieser Stelle den Rahmen sprengen und vom eigentlichen Thema ablenken.

Fakt bleibt: Covid-Positive Menschen werden von Hausärzten allgemein nicht mehr behandelt. Selbst dann nicht, wenn es sich um Erkrankungen oder Unfälle handelt, die mit der Covid-Infektion nichts zu tun haben. Aber auch Covid-Infektionen werden nicht behandelt. Dabei gäbe es durchaus Behandlungsmöglichkeiten. Ich will gar nicht daran denken, wie viele Spitaleinweisungen dadurch verhindert werden könnten. Hinzu kommt, dass Atemnot nicht nur ein Symptom von Covid ist. Sie tritt zum Beispiel auch bei Stress, psychischer Belastung und Angst auf. Und das hat mit Einbildung nichts zu tun. Wer Atemnot hat, hat Atemnot - ob durch eine Panikattacke oder Covid ausgelöst. Wie viele Menschen wohl mit ihrer Covid-Infektion von medizinischer Seite alleine gelassen werden und irgendwann Angst und Panik entwickeln? Erst recht wenn sie wissen, dass sie nur mit Atemnot behandelt und untersucht werden?


Zudem gibt es immer mehr Hausärzte, die Patienten ohne Zertifikat den Zutritt und somit Behandlungen und Untersuchungen komplett verweigern. All dies ist ein Problem. Und zwar ein grosses. Denn es schliesst nicht nur eine Menschengruppe von medizinischer Behandlung aus (ausser sie können es sich Tests für Arztbesuche finanziell leisten), sondern es belastet Krankenhäuser und deren Personal unnötig. Ein System, das gerade im Winter jedes Jahr ohnehin an seine Kapazitätsgrenzen stösst.

Wie kann das sein, wenn gleichzeitig jeder Politiker die Entlastung der Krankenhäuser als oberstes Ziel predigt? Wie kann diese Zusatzbelastung hingenommen werden? Es fühlt sich für mich sogar an, als werde sie bewusst provoziert. Mit Gesundheit haben solche Systeme nichts zu tun. Aber darüber soll sich jeder selbst Gedanken machen.

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