Unfreiwilliges Publikum
Meine Auftritte finden während der Unterrichtszeit vor Schulklassen statt; vor mir sitzen sozusagen unfreiwillige, «zwangsverpflichtete» Jugendliche, die nicht selber entscheiden, ob sie eine Lesung besuchen wollen oder nicht. Einige von ihnen freuen sich auf mich, anderen bin ich gleichgültig und nochmals andere denken sich ihren Teil über die komische kleine Frau vor ihnen, die so grässlich NICHT nach Fame aussieht, und die sie bestimmt gleich mit voll langweiligem Zeug volllabern wird.
Gelingt es mir nicht, dieses Publikum abzuholen und zu begeistern, kann ich weder auf wohlwollende Höflichkeit noch auf freundliches Ausharren hoffen oder gar zählen, sondern bekomme das deutlich zu spüren in Form von gelangweilten Blicken, Getuschel, Herumrutschen auf den Sitzen und offen gezeigter Langeweile. Als Jugendbuchautorin erlebe ich alles, von genial schönen, tief berührenden Lesungen bis hin zu absoluten Knochenjobs, bei denen mir meine Gage zuweilen mehr wie ein Schmerzgeld als ein Honorar vorkommt. Dennoch liebe ich diese Lesungen. Sie fordern viel von mir, vor allem volle Präsenz, Konzentration, Schlagfertigkeit und Aufmerksamkeit. Aber wenn sie gut laufen, geben sie mir unendlich viel Energie, Motivation und die Bestätigung, den richtigen Beruf gewählt zu haben.
Fragen bei mir Buchhändler*innen oder Bibliothekar*innen für eine öffentliche Lesung nach, bin ich knallehrlich und sage ihnen, wie es ist: «Es wird kaum jemand kommen.» Von den fünf bis sieben Anwesenden werden mindestens vier zum Personal gehören und vielleicht erbarmt sich noch irgendeine Verwandt- und Bekanntschaft von mir und füllt einen weiteren Stuhl. Ich habe längst gelernt, dass es dabei nicht um mich als Mensch geht, sondern um mich als reine Jugendbuchautorin, also eine Autorin, die keine Bücher für Erwachsene schreibt. So sehr mich solche gelegentlichen Anfragen freuen: Ich rate jeweils davon ab. Es sei denn, der Buchladen oder die Bibliothek laden gezielt eine oder mehrere Schulklassen ein, wobei wir dann wieder beim zwangsverpflichteten Publikum wären.
Mit zwangsverpflichteten Jugendlichen kann ich umgehen. In den allermeisten Fällen finde ich einen guten bis sehr guten Draht zu ihnen. Etwas anders sieht es manchmal mit den Lehrpersonen aus. Es gibt unter ihnen sehr aufmerksame und freundliche, es gibt aber auch jene, die es nicht für nötig halten, mir vor der Lesung kurz grüezi zu sagen oder sich nach der Lesung von mir zu verabschieden. Die strömen dann einfach mit den Jugendlichen zusammen in den Raum, setzen sich hin und warten darauf, dass ich anfange. Keine offizielle Begrüssung der Autorin, kein kurzes Vorstellen, nichts. Manche erwarten von mir, dass ich selber merke, wann es losgeht und vor allem, dass ich gleich auch noch um die nötige Ruhe besorgt bin. Und wenn ich viel Pech habe, lässt man mich dann zwischen zwei Lesungen 40 Minuten lang in einer kalten Aula ohne Kaffee auf die nächste Lesung warten (yap, ist tatsächlich passiert) oder ich sitze in der Pause in einem Lehrerzimmer, alle essen Geburtstagskuchen und kein Mensch denkt daran, dass ich vielleicht auch gerne ein Stück hätte …
Warum das so ist? Keine Ahnung. Mit Autorenkolleginnen zusammen rätsle ich manchmal, ob es daran liegt, dass wir «nur» für Jugendliche schreiben und lesen. Oder dass wir Frauen sind. Oder dass Lehrpersonen zu viel um die Ohren haben. Ein kleiner Trost ist mir dabei, dass es auch der Erfolgsautorin Kirsten Boie lange so ging. Sie hat das einmal unter dem Titel Lesungen sind ein Segen köstlich beschrieben (und den Lehrpersonen dabei gleich auch Tipps gegeben, was sie anders und besser machen können).
Ab und zu gibt es jedoch kühne, unerschrockene Veranstalter*innen. Die buchen mich selbst im vollen Wissen darum, dass ich als Jugendbuchautorin auf das Publikum die Zugkraft einer lahmen Ente habe (ein Platz im Qulturhimmel ist solchen Menschen sicher!). Und so darf ich in den nächsten Wochen gleich zwei Mal an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen, an einer Lesung in meiner Heimatgemeinde Wartau und an einer Diskussion übers Autorenleben in Baden (gemeinsam mit Sunil Mann). Auf beide Anlässe freue ich mich sehr. Noch mehr würde mich freuen, wenn Sie einen der Plätze mit Freude (und freiwillig) einnehmen würden. Es fehlen mir noch ein paar Details, doch spätestens Ende Oktober finden Sie weitere Informationen auf meiner Webseite unter dem Menüpunkt Termine. Bis bald – entweder im Wartau oder in Baden.