Todesmutig
Der Tod, auf den homo sapiens bezogen, beendet ganz offensichtlich das Leben im
menschlichen Körper. Wir alle sterben. Und nochmals, wir. sterben. alle. und
dies unweigerlich. Deshalb sollten wir uns während unseres Lebens auf den Tod
vorbereiten, damit wir in Ruhe und ohne Reue und Bitternisse über die Schwelle
treten können. Ein Leben kann nicht gut oder schlecht gelebt werden. In unserer
Moral- und Ethikvorstellung vielleicht, aber in der Wirklichkeit der Existenz
nicht. Jedes Leben wird gelebt, ganz egal was man tut und lässt, wie man es tut
und wie lange man am Leben ist. Einige verlassen diese Welt schon nach
Augenblicken wieder, andere Menschen leben 100 Jahre lang. Ich frage mich
manchmal, ob wir bei der Geburt in unsere Menschenform noch gewusst haben, was
vor dem Leben war. Zerstören wir vielleicht sogar dieses Wissen, indem wir uns
zu sehr mit unserer Form als Mensch identifizieren?
Ich nehme an, dass «ich» meine Seele ist. Der dazugehörende Körper ist mir von
der Welt lediglich geliehen worden, damit ich eine Form habe und interagieren
kann. Im Zeitpunkt der Vergänglichkeit des Körpers, wird die Seele auf eine
Reise geschickt und irgendwann wacht sie vielleicht in einem anderen Körper auf.
Je vielfältiger die Erlebnisse und Erfahrungen während eines Menschenlebens
waren, desto genauer kennen wir uns selbst. Die Siege geben uns Vertrauen, Mut
und Zuversicht. Die Niederlagen formen unsere Fragen ans Leben. Fehlschläge
testen unsere Geduld mit uns selbst und der Welt. Für Zeitabschnitte müssen wir
vielleicht sogar nur leben, nur existieren, um unser Sein, unsere Seele
unbeschädigt zu lassen. Existieren ohne zu sein bedeutet zwar zu leben, aber
nicht mit Freude am Sein teilzunehmen und nicht staunen und nicht lachen zu
können. Auch weinen wird schwer, wenn du nur existierst. Du kannst zwar aus
Schmerz weinen, doch aus deinem Herzen weinst du nicht. Manchmal muss man
seinen Kern vor den Worten und Taten anderer schützen, indem man ihn tief in
sich selbst einschliesst und niemanden nah an sich ranlässt. Vergräbt man sein
Herz zu lange und zu tief, findet man es vielleicht niemals wieder. Das Leben
ohne zu sein, bedeutet ohne Herz und ohne Liebe zu leben. So kann man am Leben
und trotzdem tot oder zumindest herzlos sein. Für mich ist Tod und
Herzlosigkeit ein und dasselbe.
Ich bin überzeugt davon, dass es nach dem Überschreiten der Todesschwelle ein
neues Sein geben wird. Ebenso bin ich davon überzeugt, dass Vermögen und
Besitz, Macht und übertrieben egozentrisches Denken nach dem Leben keinerlei
Bedeutung haben werden. Wieso während des Lebens dann überhaupt danach streben?
So wie wir zurzeit leben als Gesellschaft, könnte man annehmen, dass wir den
Tod nicht akzeptieren wollen. Jung und schön hat die Welt zu sein. Zu leben als
ob es kein Ende gäbe, ist Gift für das Sein. Zuviel Arbeit, zu viel Bürokratie,
zu viel Krieg. Zu wenig sinnvolle Tätigkeiten, zu wenig Freiheit und Vertrauen.
Und ganz bestimmt zu wenig Frieden. Krieg mit uns selbst und unseren
Mitmenschen, die kleingeistigen Machtkämpfe bei der Arbeit oder auf der Bühne
der Weltpolitik sind schlussundendlich dasselbe.
Wenn der Tod Mut erfordert, um über die Schwelle zu treten, dann will ich zum
Lebensende hin mutig sein können und den Schritt wagen. Schon im Alter von 20
Jahren will ich jederzeit bereit sein und den Tod in mein Leben willkommen
heissen, damit er mich nicht erschrickt und ich etwas zu bereuen habe.
Dieses Leben ist deines. Jenes ist meines. Öffne dich dem Leben damit du zum Zeitpunkt des Todes nicht feststellen musst nicht gelebt zu haben und nicht am Leben gewesen zu sein. Staune, halte inne, benutze deine Sinne, vertraue und gehe in dich selbst, erfahre Ruhe und Frieden. Dieses Leben ist Deines. Nimm es dir, ergreife es, halte es fest und lass es erst zum Zeitpunkt des Todes los. Doch wenn der Tod an die Türe klopft, öffne ihm mit Freude und schenk ihm dein Leben, gib es her, aus beiden Händen.